Remake 2018: Noch mehr Highlights von den Frauenfilmtagen

War das schön! Vor dem Team hinter Remake – Frankfurter Frauenfilmtage, namentlich Heide Schlüpmann, Karola Gramann und Gaby Babić, kann ich nur meinen Hut ziehen. Nicht nur das Programm, das sie für diese erste Ausgabe der dezidiert feministischen und generationenübergreifenden Filmreihe zusammengestellt haben, auch die Sprecher_innen, die Filme ankündigten und in einen gesellschaftlichen und historischen Kontext rückten, waren ausgesprochen gut gewählt. Alles wirkte stimmig und von einer überaus starken feministisch-solidarischen Energie getragen, wie sie viel zu selten vorkommt. Bis zu 100 Jahre alte historische Filme wie Woman of Tomorrow (1914) standen im Programm neben Netflix-Produktionen wie What Happened, Miss Simone?, das Werk von Recha Jungmann, die selbst zu Gast war, wurde vorgestellt und emanzipatorische Kämpfe zogen sich motivisch durch das bunt gemischte Programm.

Laura Mulvey, Karola GramannKathi Kamleitner © Filmlöwin

Für mich persönlich wurde bei Remake ein kleiner Traum wahr, denn ich lernte – wenn auch nur kurz – mit Laura Mulvey eines meiner großen Idole persönlich kennen, ich frühstückte mit Jutta Brückner und verbrachte viel Zeit mit Kathi Kamleitner, die gerade zu feministischen Filmfestivals promoviert und das Glasgower Frauenfilmfestival Femspectives mitbegründet hat. Kurzum: Ich traf eine Vielzahl inspirierender Frauen* und war ganz beseelt von der Atmosphäre der Veranstaltung. Wie so oft in „Frauen*räumen“ fühlte ich mich auf eine ganz spezifische Art und Weise geborgen, weil niemals bedroht oder in Frage gestellt. Bei einem feministischen oder auch Frauen*filmfestival muss ich nicht fürchten, meine Arbeit verteidigen zu müssen. Ich kann über Filme diskutieren, ohne meine Argumente an sich zu rechtfertigen. Die Menschen begegnen mir auf Augenhöhe und mit Respekt, manchmal sogar mit ausgesprochener Anerkennung meiner Arbeit. Ich sitze in dem beruhigenden Bewusstsein im Kino, dass wir alle hier eine gemeinsame Einstellung teilen, dass uns ein Ziel verbindet, dass wir dieselbe Ungerechtigkeit als solche erleben und uns für eine gleichberechtigte Welt einsetzen. Es mag trivial klingen, aber diese Atmosphäre ist ein Streicheln meiner oftmals so geplagten feministischen Seele, denn eine Filmreihe wie Remake ist in vielerlei Hinsicht einer der sehr wenigen sexismusfreien Räume, die mir in meiner Gegenwart zur Verfügung stehen.

Aber genug der Vorrede, denn ich würde dem Festival Unrecht tun, wenn ich hier nur auf meine persönlichen Befindlichkeiten, nicht aber auf die Filme selbst eingehen würde. Leider hatte ich auf Grund eines Hacks meiner Webseite kaum Zeit, ausführliche Kritiken zu verfassen, deshalb möchte ich nun wie schon nach dem DOK Leipzig 2018 eine Auswahl der Filme und meine Perspektive darauf in gebotener Kürze vorstellen.

Etwas tut weh © Recha Jungmann

Etwas tut weh von Recha Jungmann

Die Kinothek Asta Nielsen hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Filminstitut drei Langfilme und einen Kurzfilm von Recha Jungmann restauriert, die im Anschluss an das Remake Festival auf Kinotour durch Deutschland gehen werden. Ich hatte leider nur Gelegenheit, einen davon zu sichten: Etwas tut weh.

In diesem dokumentarisch-experimentellen Langfilm setzt sich die deutsche Regisseurin auf sehr persönliche Weise mit ihrer eigenen Familiengeschichte auseinander. Sie oder viel mehr ihre Protagonistinnen kehren in das Dorf und vor allem das Haus zurück, in dem Recha aufgewachsen ist, in dem sich die von Tod und Zerwürfnissen gekennzeichnete Geschichte der Familie abgespielt hat. Ein Mädchen* und eine junge Frau* wühlen in den Ruinen des Hauses im buchstäblichen Sinne in Erinnerungen, Interviews mit Nachbar_innen erzählen Versionen der Vergangenheit, Recha Jungmann läuft stumm durch die Straßen des Dorfes – Etwas tut weh malt mit filmischen Mitteln ein komplexes und vor allem emotionales Familienportrait. Dieses Bild ist flüchtig, es ist Ausdruck eines Moments, des Moments der Erinnerung, den der Film zugleich festhält und loslässt. Denn die Schlussfolgerung der Filmemacherin ist eben jene, das es Zeit sei loszulassen. Aber vielleicht braucht es eben manchmal einen Film, um genau dies tun zu können.

So kryptisch wie das vielleicht klingen mag, ist auch Jungmanns Film – insofern, als dass er nicht auf herkömmlichen narrativen Wegen operiert, sondern – wenn auch chronologisch – einer inneren, subjektiven Dramaturgie folgt. Am Ende haben wir als Zuschauer_innen ein Gespür für die Regisseurin, für die Ereignisse in diesem Haus, für die Geschichte dieser Familie. Aber wie wir dieses Gespür erlangt haben, bleibt – zumindest für mich – mysteriös.

Es mag etwas mit meiner eigenen Familiengeschichte zu tun haben, dass mich Es tut weh so tief berührt hat. Ohne zu psychologisieren oder Kapitel dieser Familiengeschichte detailliert aufzuarbeiten, vermittelt Recha Jungmann das Gefühl des Unfriedens, des nicht Abschließen Könnens, der Sehnsucht und der Trauer. „Vielleicht muss ich einfach auch so einen Film machen“, schoss es mir nach der Vorführung durch den Kopf.

Cyankali © Bundesarchiv

Cyankali / Abort / Whose Choice? – Drei Filme zum Thema Abtreibung

Als bedrückend empfand ich den Programmteil zum Thema Abtreibung. Bedrückend deshalb, weil es so frustrierend war, zu erkennen, dass dieses Thema nicht erst seit gestern, auch nicht erst seit den 70er Jahren, sondern schon seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verhandelt wird – und wir von einer Legalisierung noch immer weit entfernt sind. Natürlich zeigen Filme wie Cyankali, Abort und Whose Choice? aber auch, wie weit wir schon gekommen sind.

Der älteste der genannten Filme ist das Stummfilmdrama Cyankali von Hans Tintner. Es erzählt die Geschichte einer Berliner Arbeiterfamilie, die ohnehin unter prekären Bedingungen lebend durch einen Arbeiterstreik in noch schlimmere Nöte gerät. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt stellt die junge Heldin Hete fest, dass sie schwanger ist. Doch es erscheint ihr unmöglich, noch einen weiteren Menschen zu versorgen. Auch fehlen ihr und ihrem treu sorgenden Freund die finanziellen Mittel für eigenen Wohnraum. Hete sieht sich gezwungen, eine Abtreibung zu ersuchen. Die wird ihr jedoch verwehrt, denn nur gesundheitliche Gründe rechtfertigen einen legalen Abbruch, ökonomische Notlagen werden nicht berücksichtigt. So bleibt Hete nichts als der Weg zu einer illegalen Abtreiberin, der zugleich auch ihren sicheren Weg in den Tod bedeutet.

Der Titel des Films, Cyankali, bezieht sich auf die Abtreibungspraxis, schwangeren Frauen* Zyankali zu verabreichen. Der Film beginnt mit der Einblendung von Zeitungsausschnitten, die vom Tod eben solcher Frauen* berichten, und positioniert sich somit von Anfang an klar für ein Aufweichen der Abtreibungsregelung. 1930. Und wir diskutieren noch heute.

Freilich sind die Argumente hier andere: Hetes Wunsch, die Schwangerschaft abzubrechen, entspringt einer finanziellen Notlage und nicht jener grundlegenden Verfügungsgewalt über den eigenen Körper, die Feminist_innen heute einfordern. Dennoch fallen auch Sätze wie „Gibt’s denn im Leben nichts anderes als Fressen, Pennen, Kinderkriegen?“, die vorsichtig auf eine Sehnsucht nach weiblicher* Selbstverwirklichung jenseits von Mutterschaft verweisen. Und aus welchen Gründen auch immer die Möglichkeit legaler Schwangerschaftsabbrüche eingefordert wird: Dass dies bereits ein unter männlicher* Regie entstandener Film aus dem Jahre 1930 tut, während 2018 Frauen*ärztinnen vor Gericht gestellt werden, weil sie ihre Patentinnen online über die Möglichkeit einer Abtreibung informieren, deprimiert zumindest mich zutiefst. Die DVD zu Cyankali ist übrigens bei Absolut Medien erhältlich.

Die beiden Dokumentarfilm Abort (Norwegen, 1971) und Whose Choice? (Großbritannien, 1976) zeichnen jeweils den Weg einer schwangeren jungen Frau* nach, die sich in ihrem Land um eine Abtreibung bemüht. Gerahmt von Interviews mit Fachmenschen und Aktivistinnen beschreiben die Filme von Vibeke Løkkeberg bzw. der London Women’s Film Group die Hürden auf dem Weg zu einem legalen Abbruch. Auffällig dabei ist, dass es sich insbesondere im Fall von Whose Choice? um eine freie Wahl handelt. Die Protagonistin in diesem Film entscheidet sich nicht auf Grund finanzieller Nöte für eine Abtreibung, entscheidet sich nicht gegen ein Kind, sondern für sich. Sie befindet schlicht und einfach, dass noch nicht der richtige Zeitpunkt für eine Schwangerschaft und Familiengründung gekommen sei. Auch die junge Frau* in Abort ist nicht von Zwängen getrieben, sondern schlicht und einfach jung, ohne feste Beziehung und nicht bereit bzw. willens, zu diesem Zeitpunkt Mutter zu werden. In beiden Fällen übrigens tragen die Männer* die hauptsächliche Verantwortung für die „Unfälle“, während es die Frauen* sind, die beschämt und in die Illegalität gedrängt werden – denn für keine der beiden Protagonistinnen steht eine legale Abtreibung zur Verfügung.

Im heutigen Deutschland ist das freilich anders, doch die erniedrigenden Beratungsgespräche, die wir in Abort und Whose Choice? miterleben, gibt es noch immer. Mehr Infos zur aktuellen Lage in Deutschland findet ihr auf der Webseite des Bündnis Sexuelle Selbstbestimmung.

Die Stille um Christine M. (De Stilte Rond Christine M.) © EYE Film Instituut Amsterdam

Pianeta Venere / De Stilte Rond Christine M. – Die Kraft der Absurdität

Neben der bitteren Erkenntnis, dass sich einzelne feministische Kämpfe schon über einen Zeitraum von hundert Jahren erstrecken, faszinierte mich auch die visuelle und inhaltliche Kraft einzelner Filme des Programms, die ich in dieser Form im zeitgenössischen Kino oft vermisse.

So zum Beispiel in Pianeta Venera (Planet Venus) der italienischen Regisseurin Elda Tattoli aus dem Jahre 1972, einer Antigone-Version mit 70er Jahre Revolutionsgeist. Wie in der griechischen Tragödie möchte die Heldin hier ihren Bruder begraben, obwohl dies auf Grund seiner politischen Abtrünnigkeit streng verboten ist. Tattolis Version der Geschichte ist surreal: Auf den Straßen von Mailand steigen die Menschen über die Leichen der Revolutionär_innen hinweg, die arglos dort liegen gelassen werden, wo sie gefallen sind. Nur ein mysteriöser Fremder ist bereit, Antigone bei der illegalen Bestattung zu helfen, was jedoch zur Festnahme der beiden und schließlich zum Märtyrertod der Held_innen führt. So verlangt es zwar die griechische Sage, doch selbstverständlich ist dies im Kino nicht, denn sich für das Wohl anderer zu opfern ist in den meisten Filmen noch immer reine Männer*sache.

Der Moment, in dem sich Antigone im Kugelhagel schützend vor ihren Mitstreiter wirft, ist nicht die einzige kraftvolle Widerstandsszene. Im Klima antipsychiatrischer Diskurse entstanden, beleuchtet Pianete Venere auch die Macht des Krankheitsbegriffs und inszeniert die von der Gesellschaft ausgeschlossenen psychisch Kranken als mutige Retter_innen, die – vielleicht gerade auf Grund ihrer Marginalisierung – den Mut und auch die Klarsicht besitzen, sich über menschenverachtende Gesetze hinweg zu setzen. Die Held_innen der Geschichte positionieren sich gegen ein patriarchales Establishment alter, weißer Männer*, das zur Aufrechterhaltung der eigenen Macht im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht.

Elda Tattolis kraftvolle Bildkompositionen verströmen eine Energie des Widerstands, die heutzutage vergeblich ihres Gleichen sucht und viel größer ist als „nur“ der Diskurs um Geschlechtergerechtigkeit. Pianeta Venere ist nicht nur ein beindruckendes, weil mutiges Stück Filmkunst, sondern auch ein visuell wie inhaltlicher Ansporn, den alten, weißen Männern* der Gegenwart die Stirn zu bieten.

Dass auch in der Ruhe Kraft liegen kann, zeigt Die Stille um Christine M. von der niederländischen Regisseurin Marleen Gorris aus dem Jahr 1982. Auch hier geht es surreal zu, wenn drei einander völlig unbekannte Frauen* gemeinsam den brutalen Mord an einem Boutiquenbesitzer begehen. Eine Psychiaterin wird mit der Begutachtung der Angeklagten beauftragt. Während sich eine von ihnen, Christine M., in Schweigen hüllt, geben die anderen beiden zwar Auskunft über den Tathergang, zeigen bei scheinbar klarem Verstand aber keinerlei Reue. Und schließlich ist sich auch die Psychiaterin nicht mehr sicher, wer hier eigentlich verrückt ist: Die drei Mörderinnen oder das Patriarchat.

Es ist keine leichte Aufgabe, Die Stille um Christine M. aufzuschlüsseln. Der Mord am Boutiquenbesitzer ist in jedem Fall nicht wortwörtlich gemeint. Es handelt sich vielmehr um die Zuspitzung unterschiedlicher Formen von Sexismus, denen die drei Heldinnen ausgesetzt sind und die auch die Psychiaterin zu verstehen beginnt. All das erzählt Marleen Gorris mit solchem Witz, Gespür für messerscharfe Pointen und Liebe zu ihren Figuren, dass mich der Erfolg des Films zu seiner Zeit nicht sonderlich überrascht: Die Stille um Christine M. war der erfolgreichste niederländische Film seines Jahrgangs! Dabei bezieht diese insgesamt leise Groteske ihre Kraft nicht aus der Übertreibung, sondern der subtilen Zurschaustellung alltäglicher Absurditäten einer sexistischen Gesellschaft. Genial!

© Filmlöwin

Und zum Schluss:

Genial war auch das Remake Festival und deshalb hier noch einmal abschließend ein großes Lob an das Team der Kinothek Asta Nielsen, das diese großartige Filmreihe initiiert, kuratiert und durchgeführt hat. Ich kann die nächste Ausgabe gar nicht erwarten!

Und zum Schluss hier noch meine Einführung des Films Yours in Sisterhood von Irene Lusztig, eine quasi-historische Einbettung in unseren heutigen feministischen Kontext im Zuge einer imaginären Zeitreise:

Sophie Charlotte Rieger
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