Drei Gedanken zu: Anna und die Apokalypse

Ein Zombie-Apokalypse-Musical-Weihnachtsfilm? Das klingt schon von vornherein nach einer ziemlich wilden Mischung. Und weil der Titel, Anna und die Apokalypse, eine weibliche* Hauptfigur verspricht, habe ich mir dieses verrückte Genre-Mashup zu Gemüte geführt und mir drei Gedanken dazu gemacht. Im Zentrum dieser Überlegungen stehen diesmal stereotyp sexistische Zuschreibungen und die verschiedenen Wege, wie der Film sich ihnen nähert.

Vorweg noch zwei wichtige intersektionale Randbemerkungen: Auch wenn der Hauptcast peinlich genau auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen weiblichen* und männlichen* Charakteren achtet, so stechen doch die absolute Abwesenheit von nicht-weißen Figuren sowie die sehr klischeehafte queere Steph (Sarah Swire) hervor, die natürlich mit kurzen Haaren und „Männer*kleidung“ auftreten muss.

Und Achtung: DER FOLGENDE TEXT ENTHÄLT SPOILER

Stereotype bestätigen: Boys will be Boys – auch während der Apokalypse

Die häufigste Herangehensweise an sexistische Stereotype ist im zeitgenössischen Kino leider noch die Bestätigung derselben. Und auch Anna und die Apokalypse wählt stellenweise diesen kritikwürdigen Weg. So reagieren die jungen Männer* der Geschichte zunächst mit verspielter Euphorie auf die einsetzende Zombie-Apokalypse, statt dieser mit dem gebotenen Ernst zu begegnen. Währenddessen begreifen die Frauen* als sozial verantwortliche Wesen sofort den ultimativen Handlungsbedarf. Besonders hervorzuheben ist hier Nebenfigur Lisa (Marli Siu), die sich im besten Sinne weiblicher* Care-Arbeit liebevoll um die Großmutter ihres Freundes kümmert, während dieser durch die Zombie-Apokalypse irrt. Die Frauen* sind also engagiert, die Männer* auf eine kindliche Weise vom Ernst der Lage unberührt und dabei dennoch ausgesprochen niedlich und liebenswert.

Diese apologetische „Boys will be Boys“-Haltung zeigt sich auch an einer Gruppe klassischer Highschool-Bullys, die das Weltuntergangschaos dazu nutzen, Supermärkte zu plündern und sich als (vermeintlich) Testosteron sprühende Superhelden aufzuspielen. Auch diese Figuren nehmen die lebensbedrohliche Lage als solche nicht ernst, klopfen weiterhin Machosprüche und legen ein weitgehend rücksichtsloses Verhalten an den Tag. Weil… nun ja… vermutlich, weil Jungs* halt so sind.

Ein ebenfalls höchst bedauerliches Stereotyp in dieser Geschichte ist, dass ausschließlich Männer* für das Überleben ihrer Freund_innen das eigene Leben opfern. Sterben Frauen*, so tun sie das in Folge eines Unfalls oder Angriffs, der sich außerhalb ihrer Kontrolle befindet. Damit zementiert Anna und die Apokalypse das ungeschriebene Gesetz des Kinos, dass nur Männer* Märtyrer sein dürfen.

© Splendid

Stereotype entlarven: Das Problem mit meinen Erwartungen

An anderer Stelle, ob bewusst oder unbewusst, konfrontiert mich Anna und die Apokalypse mit stereotypen Zuschreibungen, die von mir selbst ausgehen. Hier handelt es sich freilich um individuelle Interpretationen der Bilder, weshalb ich diesen Punkt bewusst subjektiv adressiere und offen lasse, inwiefern sich andere Zuschauer_innen damit identifizieren können.

Es gibt eine Szene, in der Anna (Ella Hunt) und ihre bester Freund Josh (Malcolm Cumming) unabhängig voneinander morgens das Haus verlassen und singend – denn es handelt sich ja um ein Musical – zur Schule tanzen. Beide haben sie Kopfhörer mit Musik im Ohr und sind so versunken in ihre gute Laune und Lebenslust, dass sie die untrüglichen Zeichen der Zombieapokalypse nicht wahrnehmen. Interessant ist die völlig unterschiedliche Wirkung dieser aneinander montierten Szenen. Während Josh für mich auf eine tapsige Weise in seiner Unwissenheit eher naiv und niedlich erscheint, wirkt Anna in ihrer Selbstvergessenheit eher arrogant und ignorant. Diese Wirkung ist jedoch sehr wahrscheinlich keine direkte Konsequenz der Inszenierung, sondern meiner eigenen Projektion bzw. Interpretation des jeweiligen Verhaltens. Von einem Mann* erwarte ich nicht, dass er einen Blick für sein (soziales) Umfeld besitzt, während ich bei der Frau* empört darüber bin, dass sie komplett über die sie umgebende Katastrophe hinwegsieht.

In eine ähnliche Kerbe schlagen die zuvor erwähnten Macho-Typen, deren über die Maßen simples Gemüt ich zunächst unreflektiert hinnehme, denn „Boys will be boys“. Doch kurz darauf fühle ich mich schon wieder darin ertappt: Es handelt sich hierbei doch um ein ebenso sexistisches Stereotyp, das ich aber viel gewillter bin zu akzeptieren als beispielsweise eine Gruppe „dummer“ Cheerleader.

Ich bezweifle allerdings, dass Anna und die Apokalypse hier bewusst mit meinem unconscious bias spielt. Dennoch bietet der Film eine ausgezeichnete Basis, um mit diesem mal kritisch ins Gericht zu gehen!

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Stereotype umkehren: Auch weibliche* Männer* sind ein sexistisches Klischee

Kein Zweifel wiederum besteht daran, dass sich Anna und die Apokalypse grundsätzlich darum bemüht, sexistische Stereotype zu dekonstruieren. Bedauerlicher Weise schießt der Film dabei über das Ziel hinaus, beziehungsweise verstrickt sich in Umkehrungen, die schließlich ebenso sexistisch und zum Teil misogyn wirken wie die ursprüngliche stereotype Zuordnung.

Die zentralen Frauen*figuren, Anna und Steph, treten den Untoten mit Mut und Wut gegenüber, während ihre männlichen* Begleiter John und Chris (Christopher Leveaux) sichtbar die Hosen voll haben. Bei dieser Umkehrung handelt es sich jedoch nicht um die Dekonstruktion stereotyper Zuordnung, sondern im Grunde um ihre Konsolidierung. Denn insbesondere Johns eher sanftes, empathisches und zartes Gemüt erweist sich mehrfach als Stolperstein. So steht es definitiv der Liebe zu Anna im Wege, die sich stattdessen für den Macho Nick (Ben Wiggins) interessiert. Und es ist auch jener, der im Gegensatz zu John und Chris die Apokalypse bis zum Ende des Films überlebt.

Auch die Kontextualisierung mit der schon mehrfach erwähnten Bully-Truppe, die sich stereotyp männlich* aufführt, lässt das Verhalten von John und Chris auf herablassende Weise als mädchen*haft erscheinen – nach dem selben Prinzip, wie Jungen* manchmal Dinge gesagt werden wie „Du wirfst den Ball wie ein Mädchen“, um ihre Defizite zu benennen. Diese Rhetorik assoziiert weibliche* Eigenschaften, beziehungsweise Mädchen* und Frauen*, per se mit Minderwertigkeit und ist ergo misogyn. Besonders eindrücklich illustriert das ein Kommentar von Macker Nick gegenüber Weichei John. Als letzterer beim Aufbruch der Gruppe zögert, spricht der Vorzeige-Macho: „Muss Tim erst noch seinen Tampon wechseln?“ Spätestens damit ist sein ängstliches Verhalten stereotyp als weiblich* und gleichzeitig negativ charakterisiert.

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Jetzt ließe sich natürlich die Frage formulieren, ob Feigheit denn grundsätzlich etwas Negatives sei. Schließlich ist Angst ein sehr gesunder Überlebensinstinkt. Allerdings schaffen es in Anna und die Apokalypse nur jene Figuren bis zum Ende der Geschichte, die männlich* konnotierte Eigenschaften wie Mut und buchstäbliche Schlagfertigkeit an den Tag legen.

Ein paar Worte zum Schluss

Der Grat zwischen der Offenlegung und Bestätigung von sexistischen Stereotypen ist sehr schmal: Wann werden sie entlarvt und kritisiert, wann tragen sie zur Aufrechterhaltung diskriminierender Strukturen bei? In vielen Fällen ist diese Frage nicht eindeutig zu beantworten, schließlich hängt es auch von der Gendersensibilität des Publikums und dessen Bereitschaft ab, das Medium Film kritisch zu betrachten und zu hinterfragen. Und vielleicht kann ein Artikel wie dieser zu genau dieser Bereitschaft beitragen.

Kinostart: 6. Dezember 2018

Sophie Charlotte Rieger
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