Astrid

Willkommen zur Kritik eines Films über eine berühmte Frau*: Astrid Lindgren. Schon der Titel fügt sich in die uns bereits vertraute Tradition, Filme über berühmte Frauen* lediglich mit deren Vornamen zu benennen. Ich habe mal kurz recherchiert, wie denn so Bio-Pics über männliche* Autoren genannt werden. Da gibt es Capote oder auch The Trials of Oscar Wild, Voltaire, The Kidnapping of Michel Houellebecq, The Adventures of Mark Twain, The Life of Emile Zola. Auf weiblicher* Seite, die sich deutlich schmaler gestaltet, habe ich spontan folgende Filme gefunden DianaPaula, JackieNelly, Iris und Mrs. Parker and the Vicious Circle. Immerhin in einem der Titel taucht hier der ganze Name auf. Halleluja!

Der Fairness halber muss über Astrid gleich einleitend gesagt werden, dass es sich nicht um die filmische Biographie einer berühmten Schriftstellerin handelt, sondern eher um die Emanzipationsgeschichte einer unverheirateten Mutter in einer Zeit, in der diese Lebenssituation mit gesellschaftlicher Ächtung verbunden war. Das ist eine Geschichte, die unbedingt erzählt werden sollte und sie birgt in der Tat viel emanzipatorisches Potential. Doch hatte zumindest ich mir von einem Film über eine meiner absoluten Lieblingsautorinnen etwas anderes erwartet.

© DCM Erik-Molberg-Hansen

Aber nun endlich zum Inhalt: Die 16jährige Astrid, die in einer ausgesprochen frommen Familie im ländlichen Småland (Schweden) aufwächst, erhält unverhofft ein Volontariat bei der lokalen Zeitung und verliebt sich Hals über Kopf in ihren Chef Blomberg. Der lässt sich gerade von seiner hysterischen Exfrau scheiden (ja, hysterisch!), ergreift die Gelegenheit aber dennoch beim Schopf, ein Verhältnis mit seiner jungen und hübschen Assistentin zu beginnen. Es kommt wie es kommen muss: Astrid wird schwanger, ihre Familie ist entsetzt, Blombergs hysterische Ex will ihn der Unzucht anklagen… und so muss die junge werdende Mutter eine schwere Entscheidung treffen: Soll sie ihr Kind heimlich in Dänemark gebären und bei einer Pflegefamilie zurücklassen?

Die jugendliche Astrid Lindgren, damals noch Ericsson, ist ein Energiebündel, das sich gegen jede Regel sträubt und im Zuge dessen auch so manche feministische Botschaft zu verkünden weiß. Eins ist klar: Astrid wird eine dieser Frauen*, die als „schwierig“ gelten und doch eigentlich nur intelligent genug sind, das Patriarchat als solches zu entlarven. Insofern ist es nur konsequent, dass sie für jedes Problem, das sich ihr in den Weg stellt, eine Lösung sucht und findet, koste es was wolle. Die Stärke, die die junge Frau* dabei an den Tag legt, ist beeindruckend und inspirierend – und zwar auf eine ähnliche Weise wie die Geschichten von Heldinnen wie Pipi Langstrumpf oder Ronja Räubertochter.

© DCM Erik-Molberg-Hansen

Geschmälert wird die emanzipatorisch wertvolle Botschaft ausschließlich durch die Figur von Blombergs Ex-Frau, deren hysterisches – also unverständlich emotionales – Auftreten nur am Rande eine Erklärung findet, die freilich nichts mit Blomberg selbst zu tun hat. Auch das Faktum, dass dieser eine Beziehung mit seiner minderjährigen Angestellten eingeht, scheint der Film nicht weiter problematisch zu finden. So wie Regisseurin Pernille Fischer Christensen auch nicht davor zurückschreckt, die zumindest im Film erst 16jährige Hauptdarstellerin Alba August wiederholt halbnackt und als verführerische Lolita zu inszenieren. Ja, Astrid beginnt das Verhältnis aus eigener Initiative. Der Mut, den sie bei der unverhohlenen Verführung ihres Chefs an den Tag legt, ist in Anbetracht ihrer Herkunft wirklich erstaunlich. Da die Kamera von Erik Molberg Hansen aber so unheimlich verliebt in Astrid selbst ist, beziehungsweise in Alba August, versäumt es Fischer Christensen die Begierde der jungen Frau* auf eine für uns nachvollziehbare Weise zu inszenieren. Die Folge: Wir verstehen sofort, was der bereits siebenfache Vater Blomberg an seiner kleinen Gehilfin attraktiv findet. Warum sich diese jedoch zu dem deutlich älteren Mann auch körperlich hingezogen fühlt, bleibt bis zum Ende eine unbeantwortete Frage.

Astrids kurze Karriere in der Zeitungsredaktion bleibt dann auch der einzige Einblick in die berufliche Entwicklung der Figur. Für einen kurzen Moment wird die Magie der Worte sichtbar. Auch die Liebe der Heldin zu verrückten Geschichten macht sich hier und da bemerkbar. Doch mit ihrer Schwangerschaft tritt all das in den Hintergrund und es entspinnt sich ein zugegebener Maßen berührendes Drama um ihren Kampf für ein familiäres Happy End jenseits gesellschaftlicher Normen.

Die Schriftstellerin Astrid Lindgren taucht nur zu Beginn und Ende des Films auf, wenn sie als alte Frau* stapelweise Geburtstagspost ihrer jungen Fans liest und dabei auch auf eine Kassette mit persönlichen Grußbotschaften einer Schulklasse stößt. Es sind die darauf aufgenommenen Kommentare, die während der Binnenhandlung im Voice Over immer wieder versuchen, einen Bezug zwischen den Filmereignissen und Lindgrens Werk herzustellen. Leider mag dies nicht so ganz gelingen. Die immens kurz gefassten Anspielungen auf Bücher wie Mio, mein Mio und natürlich Pipi Langstrumpf können der generationenübergreifenden Bedeutung Lindgren’scher Erzählungen nicht einmal im Ansatz Rechnung tragen und verbinden sich zudem nur ungenügend mit dem Plot des Films. Auf diese Weise erfahren wir kaum etwas über die literarische Persönlichkeit Astrid Lindgren.

© DCM Erik-Molberg-Hansen

All dieser Kritik zum Trotz muss ich am Schluss doch auch gestehen, die eine oder andere Träne verdrückt zu haben. In der Inszenierung ihres emanzipatorisch wertvollen Dramas ist Pernille Fischer Christensen absolut souverän. Die gefühlsbetonte Musikuntermalung tut ihr Übriges, um das Publikum immer und immer wieder zutiefst anzurühren – ohne dabei die Kraft und das Empowerment der Heldin zu schwächen. Astrid Ericsson wirkt niemals als Opfer ihrer Umstände und bleibt stets eine Kämpferin, die für ihre Überzeugung und Moral einsteht.

Würde dieser Film nicht vorgeben, ein Bio-Pic über Astrid Lindgren zu sein, würde ich ihn vermutlich abgöttisch lieben. So aber bleibt in mir neben der Rührung auch große Trauer darüber, dass wir es wieder mit einem weiblich* besetzten Bio-Pic zu tun haben, dass sich mehr für das Privatleben als für die beruflichen Errungenschaften seiner Heldin interessiert. Der Name deutet es eben schon an: Es geht um Astrid – nicht um Astrid Lindgren.

Kinostart: 6. Dezember 2018

Sophie Charlotte Rieger
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