Drei Gedanken zu: Widows – Tödliche Witwen

Ich bin ein großer Fan von Steve McQueen, dem Regisseur, nicht dem Schauspieler. Insbesondere seiner ersten beiden Langfilme Hunger und Shame, auch wenn diese männlich* zentriert waren. Weniger konnte ich mit 12 Years A Slave anfangen, aus vielerlei Gründen, darunter auch, dass mir die Inszenierung zu gefällig und zu sehr auf Oscar-Tauglichkeit ausgerichtet war (was ja auch trefflich funktionierte). Und da McQueens neuer Film nun endlich einmal um Frauen* kreist, kann ich nicht umhin, mir über Widows – Tödliche Witwen drei Gedanken zu machen.

Ein paar Worte zum Inhalt: Nach dem Tod ihrer kriminellen Männer* tun sich drei Witwen zusammen, um in die Fußstapfen der Verstorbenen zu treten und mit dem Diebesgut ihre Schulden zu begleichen.

© 20th Century Fox

1. Let’s talk about race

Der Film beginnt mit dem Kuss eines weißen Mannes mit einer Schwarzen Frau: Viola Davis liegt im Bett mit Liam Neeson. Wie radikal dieses Bild ist, hatte Davis kürzlich schon in einem Interview betont. Und obwohl ich dieses Interview vorab gesehen hatte, obwohl ich mir einbilde in dieser Hinsicht maximal vorurteilsfrei zu sein (Einbildung ist halt die beste Bildung), erschien auch mir dieses erste Bild des Films maximal radikal. Und ich ärgerte mich über meine eigene Reaktion: Wie kann es sein, dass ich es nicht normal finde, dass Viola Davis und Liam Neeson ein Liebespaar spielen?

Zu meiner Verteidigung: Der Film selbst findet das auch nicht ganz normal, sondern problematisiert die Beziehung der beiden mehrfach und auf unterschiedlichen Ebenen. Bis ein weißer Mann* und eine Schwarze Frau* auf der Leinwand einfach nur ein Paar sein können, muss wohl noch etwas Zeit ins Land gehen. Andererseits steht das Thema race eben auch im Zentrum von Widows – Tödliche Witwen. Im Hintergrund der Geschichte um drei Witwen, die in die Fußstapfen ihrer kriminellen Ehemänner treten, spielt sich nämlich ein Schwarz-weißer Wahlkampf in einem „Problembezirk“ Detroits ab. Nachdem die weißen Mulligans über Jahre an der Macht waren, will nun der Schwarze Kandidat Jamal Manning eine Wende herbeiführen. Dabei sind die Kandidaten gleichsam unsympathisch: Jack Mulligan ist rückratlos und korrupt, Manning genießt die Unterstützung gewaltbereiter Gangster zur Durchsetzung seiner Etappenziele. Und es ist ausgerechnet sein Wahlkampfbudget, dass die Ehemänner* der Witwen bei ihrem letzten Coup veruntreut haben. Somit ist es auch Jamal Manning beziehungsweise sein eiskalter und brutaler Bruder Jatemme, der den Witwen nun nach dem Leben trachtet.

Freilich wirkt diese Zuordnung wieder rassistisch: Die weißen Männer* sind korrupt, die Schwarzen kriminell. Vielleicht aber geht es auch weniger um platte Zuordnungen als um die Darstellung unterschiedlicher Machtwerkzeuge: Beide Gruppen kämpfen letztlich um die Macht über das eigene Leben, wie dies übrigens auch die Witwen tun, und bedienen sich dabei den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Korrupt statt kriminell und gewalttätig zu sein, ist ein weißes Privileg! Die Mannings können es sich in einer zu tiefst rassistischen Welt im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten, ohne den Einsatz von Gewalt an die Spitze der Nahrungskette zu gelangen. Und es ist Jamals explizit als solches formulierte Ziel, mit seiner politischen Position diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

Das Thema race, für das wir in Deutschland nicht mal einen angemessenen Begriff haben, ist in unseren hiesigen Diskursen weniger von Bedeutung. Das sollte es aber nicht sein, denn Rassismus spielt auch in unserer Gesellschaft eine sehr große Rolle – insbesondere wenn es darum geht, welche Menschen mit welchen Mitteln ihr Leben sichern können. Deshalb können wir eigentlich gar nicht genug darüber reden. Und deshalb gehört auch dieses Thema in einen feministischen Blog.

© 20th Century Fox

2. Alle Männer sind böse – und was nun?

Wie eben ausgeführt werden beide durch das Thema race definierten Gruppen gleichermaßen ambivalent dargestellt: Sie mögen ihre positiven Eigenschaften besitzen, irgendwo unter ihrem dicken Panzer toxischer Männlichkeit*, aber im Grunde sind sie alle gewaltbereit und egoistisch. Ja, selbst in den eigenen Reihen existiert in den unterschiedlichsten Männer*gemeinschaften, die vier verstorbenen Kriminellen eingeschlossen, keine Solidarität und freilich schon gar keine Form der Zärtlichkeit, Verbundenheit oder Liebe. Kurz gesagt: Das Männer*bild, dass Steve McQueen in Widows – Tödliche Witwen entwirft ist über die Maßen traurig und darüber hinaus höchst problematisch. Bis auf einen einzigen Protagonisten (!) tritt hier kein Mann* als Sympathieträger auf. Es gibt keine Identifikationsfigur, kein Vorbild für das männliche* Publikum dieses Films. Stattdessen findet durch die Zurschaustellung toxisch-männlichen* Gebarens eine Form des shamings statt: Männer* sind einfach alle schlecht – mag sein, dass die Gesellschaft sie so gemacht hat, aber was zählt ist das Ergebnis. Wie soll auf diesen Angriff etwas anderes Folgen als ein maskulinistischer Beißreflex? Wo kein Ausweg aus der Hölle toxischer Männlichkeit* angeboten wird, kann sie doch nur mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigt werden!

Dass die Frauen* der Geschichte wiederum allesamt friedliebend und größtenteils loyal sind, nur zu Gewalt greifen, wenn ihr Leben (durch Männer*) bedroht wird, ist übrigens genauso problematisch. Wo das männliche* Publikum beschämt wird, verweigert Steve McQueen seinen Zuschauerinnen die ihnen zustehende Fehlbarkeit. Trotz des – übrigens fürchterlich irreführenden – Titels gibt es in Widows – Tödliche Witwen keine einzige böse Frau*! Oder anders gesagt: In Widows – Tödliche Witwen gibt es eigentlich gar keine tödlichen Witwen.

© 20th Century Fox

3. Ist eine emanzipierte Frau ein Mann?

Nach dem Tod ihrer Männer* stehen die drei Witwen vor dem Nichts. Lindas (Michelle Rodriguez) Gatte hat nicht nur sein kriminelles Einkommen, sondern auch ihren Modeladen verspielt. Alice (Elizabeth Debicki) steht nach dem Ende des von häuslicher Gewalt geprägten Versorgermodells vollkommen ohne Einkommen da. Und Veronica (Viola Davis) besitzt ebenfalls nichts und steht dazu noch ganz oben auf Jamals Abschussliste. Wenn die drei Frauen* sich nun zusammentun, um einen von Veronicas Ehemann* Harry ausgeheckten Coup in die Tat umzusetzen, dann erarbeiten sie sich damit auch eine neue, eigene und unabhängige Existenz.

Dieser Emanzipationsprozess funktioniert nach dem „Ruanda-Schema“, wie ich es einmal nennen möchte. Ruanda hat bis heute mehr Frauen* im Parlament als Deutschland. Das hat den ganz einfachen Grund, dass im Krieg so viele Männer* ums Leben kamen, dass der politische Wiederaufbau des Landes nicht ohne Frauen* hätte funktionieren können. Und auf ähnliche Weise machen auch die Witwen hier aus der Not eine Tugend: Wo keine Männer* mehr da sind, um kriminell Geld zu erbeuten, müssen sie es eben selbst tun.

Den größten Entwicklungsprozess vollzieht dabei Alice. War sie zuvor unfähig gewesen, sich gegen die Gewalt ihres Ehemannes* zu wehren, so findet sie nun das notwendige Selbstbewusstsein, um sich nicht nur eine finanziell, sondern vor allem eine mentale Unabhängigkeit zu erarbeiten. Dabei nimmt sie einen kleinen und ermächtigenden Schlenker über selbstbestimmte Sexarbeit, die Steve McQueen übrigens niemals abwertet, sondern als legitime Einkommensquelle stehen lässt und dabei noch ein wichtige Grenze zieht: Der Kunde zahlt für Alices Körper, aber ihr Leben gehört nur ihr.

Der emanzipatorische Prozess der drei Heldinnen ist in meinen Augen dennoch fragwürdig, folgt er doch der altbekannten Logik, dass die Übernahme männlicher* Eigenschaften das Ziel des Unterfangens darstellt. Kurz vor dem Überfall stellt Anführerin Veronica beispielsweise fest, dass die inzwischen vierköpfige Gruppe nur noch drei Tage habe, um männlich* genug zu werden. Denn nur dann kann der Coup gelingen.

Bleibt der Mann* also auch hier die Blaupause, das Optimum, an das sich die Frau* annähern muss? Ich glaube, die Antwort lautet: JA. Doch es verhält sich damit wie mit der vermeintlich rassistischen Unterscheidung der konkurrierenden Politiker. In einer derartig sexistischen Welt, muss Frau* vermutlich ihren Mann* stehen, um die Macht über das eigene Leben zu erlangen.

Ob zutreffend oder nicht, empfinde ich das als eine äußerst traurige Botschaft. Deshalb und auf Grund der als alternativlos inszenierten toxischen Männlichkeit* muss ich Widows – Tödliche Witwen leider meine Auszeichnung „Emanzipatorisch Wertvoll“ vorenthalten.

PS: Kann bitte jemand etwas gegen diesen furchtbaren Verleihtitel tun? Ist doch nicht zum Aushalten…

Kinostart: 6. Dezember 2018

Sophie Charlotte Rieger
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