Berlinale 2024: Ivo – Kurzkritik

Das Sterben gehört zum Leben dazu und doch blenden wir es gerne aus. Nicht unbedingt den Tod an sich, sondern das Warten darauf. In ihrem neuen Film stellt Eva Trobisch genau diesen Prozess des Sterbens in den Mittelpunkt, wenn sie die Geschichte der titelgebenden Palliativpflegerin Ivo (Minna Wündrich) erzählt. In der häuslichen Pflege ist Ivo ständig unterwegs. Mahlzeiten nimmt sie am Steuer ihres Autos zu sich, während sie von einem Einsatzort zum nächsten fährt. Ab und an verbringt sie abends Zeit mit der jugendlichen Tochter, doch die meiste Zeit leben die beiden nebeneinander her. Ivos engste emotionale Bindung ist die zu ihrer Freundin Sol (Pia Hierzegger) und deren Ehemann Franz (Lukas Turtur), mit denen sie in eine komplexe Dreiecksgeschichte verstrickt ist: Ivo pflegt die an ALS erkrankte Sol, während sie mit Franz eine heimliche Affäre unterhält. Die Situation spitzt sich zu, als Sol die Freundin hinter dem Rücken ihres Partners um Sterbehilfe bittet.___STEADY_PAYWALL___

© Adrian Campean

Eva Trobisch erzählt diese Geschichte mit nahezu unerträglicher Ruhe. Ivo ist ereignisarm, begleitet die Hauptfigur vornehmlich durch ihren Alltag bei Hausbesuchen und im manchmal zärtlichen, manchmal konfliktgeladenen Kontakt zu Sol und Franz. Dabei entwickelt die Inszenierung niemals Tragik, sondern ist emotional distanziert, vielleicht ähnlich wie die Palliativpflege an sich, die trotz ihrer feinfühligen Beziehung zu den Klient*innen eine gewisse professionelle Distanz wahren muss. Und auch die Dramaturgie spiegelt den erzählten Prozess des Sterbens, ein manchmal schmerzhaftes Warten auf das Unvermeidliche.

Ivo gewährt Einblicke in ganz unterschiedliche Palliativfälle und Familienkonstellationen und bleibt dabei stets respektvoll, ohne das Leid oder Leiden der Beteiligten für eine emotionale Regung des Publikums zu instrumentalisieren. Auf diese Weise eröffnet Eva Trobisch ihren Zuschauer*innen einen Erfahrungs- und Reflektionsraum, in dem sie sich frei bewegen können. Vorsichtig formuliert sie ethische Fragen nach Sterbehilfe und begleitetem Freitod, ohne diese zu forcieren oder Antworten zu liefern. Aber natürlich liegt gerade in dieser Offenheit auch eine Aussage.

Kinostart: 20.06.2024

Sophie Charlotte Rieger
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