Berlinale 2025: Heldin

„Dann wählt am Sonntag auch das Richtige“, ruft ein Zuschauer in die Vorführung von Heldin bei der 75. Berlinale. „Nicht nur klatschen.“ Gerade hat Floria, die Pflegefachkraft und Hauptfigur in Petra Volpes neuem Spielfilm, auf der Leinwand die Uhr eines arroganten Privatpatienten aus dem Fenster geworfen, den derselbe Zuschauer, der jetzt auf die anstehende Bundestagswahl verweist, kurz zuvor lauthals als „FDP-Wähler“ bezeichnet hat. Tatsächlich spielt Heldin in der Schweiz und nicht in Deutschland, aber das ist für diese Publikumsreaktion vollkommen irrelevant. Für meine Wahrnehmung des Films ebenfalls. 

Der von Petra Volpe in ihrem Film eindrücklich inszenierte Pflegenotstand ist kein Schweizer Problem. Es ist ein internationales und auch und insbesondere ein deutsches Problem. Alle, die in Deutschland in der Pflege arbeiten, Menschen aus diesem Berufsfeld kennen oder selbst auf Pflege angewiesen sind bzw. in den letzten Jahren waren, wissen das. Die Sorge um andere Menschen im Allgemeinen und die Krankenhauspflege im Besonderen sind sowohl fachlich wie auch menschlich überaus anspruchsvolle Tätigkeiten, die – weil klassische „Frauenberufe“ – im kapitalistischen Patriarchat von Natur aus unterbezahlt sind und weit weniger Respekt erfahren, als ihnen zusteht. Durch die sich verschärfende Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und diverse andere Faktoren politischen und gesellschaftlichen Versagens, hat sich dieser Berufszweig endgültig zu einem entwickelt, den Menschen nur noch aus tiefer Liebe ausüben können, weil es schlicht und einfach kaum mehr einen anderen Grund gibt, sich diesen Arbeitsbedingungen auszusetzen.___STEADY_PAYWALL___

© Zodiac Pictures 2025

Warum Floria ihren Beruf ausübt, wissen wir nicht. Von dem Moment an, in dem sie das Krankenhaus betritt, bis zu dem Moment, in dem sie es wieder verlässt, ist die Pflegefachkraft durchgehend beschäftigt. Ein Telefonat mit der kleinen Tochter sowie ein Nervenzusammenbruch sind tatsächlich die einzigen Pausen, die der Arbeitsalltag Floria vergönnt. Auf der unterbesetzten Station der Chirurgie eilt sie von Patient*in zu Patient*in, schafft nicht einmal ihren Routinerundgang, weil sich ständig neue Aufgaben ergeben. Patient*innen müssen in den OP gebracht werden, der Transportdienst braucht zu lange, eine Patientin benötigt ihr Antibiotikum, ein Patient ein Schmerzmittel und der Privatpatient beschwert sich, dass er jetzt schon über 20 Minuten auf seine Tasse Tee wartet. 

Heldin begleitet Floria durch ihre Schicht. Da die Kamera stets die Nähe zur Hauptfigur sucht, die von einer Tätigkeit zur nächsten hetzt, überträgt sich der Stress binnen Minuten von der Leinwand auf das Publikum und lässt bis zum Ende des Films nicht mehr nach. Auf diese Weise erhält Petra Volpe eine herausfordernde Grundspannung permanent aufrecht, ohne dass sie die Leinwandhandlung mit filmischen Mitteln zusätzlich dramatisieren würde. Lediglich die Musikuntermalung droht zunehmend ein Unheil an. Doch als es dann passiert, wirkt es schockierend beiläufig. Nicht weil Volpes Inszenierung der Schwere der Ereignisse nicht gerecht würde, sondern weil die Anspannung in Hauptfigur und Publikum bereits so groß, die Atemlosigkeit und darin resultierende stille Verzweiflung bereits so omnipräsent sind, dass vermeintliche Extremsituationen gar nicht mehr herausstechen. Sie gehören für Floria zum Alltag. Und damit auch für uns als Zuschauer*innen.

Der Kontrast aus Kassenpatient*innen und Privatpatient wirkt in dieser, der Realität verpflichteten Darstellung leider ein wenig konstruiert, ist zu sehr darauf ausgerichtet, uns eine Botschaft zu übermitteln. Natürlich fehlt dem Privatpatienten das Verständnis für die Gesamtsituation, natürlich ist er nicht wirklich ein schlechter Mensch, sondern – wie alle anderen Patient*innen auch – von seiner Krankheit überfordert. Ein bisschen weniger Klischee wäre hier vielleicht zielführender gewesen, um die Probleme eines Zweiklassensystems in der Medizin zu veranschaulichen. 

Letztlich ist auch die Reaktion aus dem Publikum Symptom dieser pointierten, um nicht zu sagen stereotypen Darstellung. Es ist zu einfach, auf diese eine Figur sämtliche Antipathien zu entladen, die sich im Laufe des ebenso atemlosen wie deprimierenden Films aufgestaut haben. Es ist zu einfach, dem „FDP-Wähler“ die Schuld für das zerfallende Gesundheitssystem zu geben. Und selbst die Aufforderung, zur Bundestagswahl „das Richtige“ zu wählen, ist verfehlt. Ich erinnere mich noch gut, wie während der Pandemie Menschen am Fenster für die „Held*innen“ in den Krankenhäusern applaudierten und sich gleichzeitig über Pandemiemaßnahmen echauffierten, die in erster Linie dazu dienten, die Situation in den Krankenhäusern, den Arbeitsalltag dieser Held*innen, unter Kontrolle zu bringen. Insofern ist der zweite Teil des Zurufs aus dem Publikum, „Klatschen reicht nicht“, der Wichtigere. 

Klatschen reicht nicht. Heldin gucken reicht nicht. Stattdessen brauchen wir Mut zur Reflexion, zur Überprüfung der eigenen Privilegien. Was habe ich, was andere nicht haben? Was kann ich tun, um das auszugleichen? Was kann ich – neben dem Kreuz an der richtigen Stelle des Wahlzettels – zum Pflegenotstand positiv beitragen? Wie spreche ich über die Pflege und die Menschen, die in ihr arbeiten? Wie gehe ich mit Sorgearbeit in den eigenen vier Wänden um? Wie behandele ich Menschen, die mich medizinisch versorgen?

So viele Fragen. Vielleicht kann Heldin seinem Publikum dabei helfen, sich wenigstens ein paar davon zu stellen. 

Kinostart: 27. Februar 2025

Sophie Charlotte Rieger
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