Morgen ist auch noch ein Tag

Feministische Filmkritik kann auch bedeuten, sich von etablierten Formen zu lösen. Deshalb nähern wir – Charlie Hain und Sophie Charlotte Rieger – uns dem Film Morgen ist auch noch ein Tag von Paola Cortellesi diesmal im Dialog. Da wir uns von der klassischen Filmkritik entfernen, enthält der folgende Text massive SPOILER und sollte erst nach der Filmsichtung gelesen werden.

Jana 25.03.2024 10:43

Hat jmd Interesse was zu Morgen ist auch noch ein Tag zu schreiben? “Morgen ist auch noch ein Tag lockte in Italien bereits mehr Besucher als Barbie und Oppenheimer in die Kinos und startet am 4. April auch in Deutschland. Der Film entführt nach Rom ins Jahr 1946, in eine Ära des Umbruchs, und erzählt die Geschichte von Delia (gespielt von Paola Cortellesi), einer Frau, die eine Rebellion gegen ihren aggressiven Ehemann plant und für ein besseres Leben für sich und ihre Kinder kämpft.”

Sophie 25.03.2024 10:45

Ich habe den gesehen und finde den sehr problematisch oder etwas freundlicher gesagt: komplex. Thematisch passt er super, aber ich bin nicht sicher, ob ich hinter dem Film an sich stehen kann. Hat ihn jemand außer mir gesehen? Würde mich freuen, wenn jemand was dazu macht. Könnte mir auch was Dialogisches vorstellen.

Eine Gruppe von Frauen, von denen wir nur die Gesichter sehen. Sie schauen teils, neugierig, teils verunsichert auf etwas, das sich jenseits des Bildausschnitts befindet. In der Mitte des Bildes sehen wir Delia.

© Tobis

Charlie 28.3.3024 um 02:39 Uhr

Ich hab jetzt Morgen ist auch noch ein Tag gesehen und puh, ich hab auch meine Probleme damit.

Wird beworben als Film über eine Frau, die sich ihrem gewalttätigen Mann entgegenstellt, aber ich fand, die meiste Zeit ist es einfach nur eine eher plakative und unangenehm Darstellung patriarchaler Gewalt. Also klar, das Thema soll unangenehm sein, aber es ist einfach deprimierend zu gucken, wenn es an tatsächlicher Rebellion, weiblicher Solidarität oder auch nur nuancierter Reflexion fehlt.

Als die Tochter, nachdem sie der Mutter Vorwürfe macht und beschließt, nicht so enden zu wollen, dann am Ende die gleiche Art von Gewalt erfährt, hätte ich mir z.B. irgendwas dazu gewünscht. Nicht unbedingt ein „girl boss“ „Das lasse ich mit mir nicht machen“-Moment, aber vielleicht eine Reflexion dazu, dass und warum auch eine „aufgeklärte“ Frau von solcher Gewalt betroffen sein und die Situation vielleicht nicht sofort verlassen kann.

Insgesamt liegt der Fokus auch sehr viel auf Männern: Der Ehemann, der Verlobte der Tochter, der Automechaniker, mit dem die Protagonistin vielleicht durchbrennt, der amerikanische Soldat. Die meisten nennenswerten Interaktionen mit anderen Frauen (außer der Tochter vielleicht) sind oft eher inkonsequent. Z.B. ermutigt ihre Freundin Marisa Delia erst, ihren Mann zu verlassen, und sagt dann, als es nicht klappt: „Was hast du denn erwartet?“ und dass sie doch an die Kinder denken solle. Und diese Freundin soll anscheinend das emanzipierte Gegenstück zu Delia sein, aber sie kommandiert ihren Mann eigentlich nur rum oder beleidigt ihn.

Fand’s ganz nett, dass am Ende rauskommt, dass Delias großer Plan nicht war, mit einem anderen Mann durchzubrennen (womit es dann wieder um Männer gegangen wäre), sondern wählen zu gehen, aber ich sehe den Zusammenhang zum Rest bzw. zum Thema häuslicher Gewalt nicht so ganz.

Weiß auch nicht, was ich von der Inszenierung der Gewalt an sich halte, mit dieser Choreographie und der Musik.

Sophie 28.3.3024 um 09:14 Uhr

Den Twist am Ende fand ich auch ziemlich großartig. Leider lässt der sich ja aus Spoiler-Gründen nicht in einer Rezension benennen. Und ergo auch nicht bei der Einordnung des Films. Damit bleibt es ein Film über häusliche Gewalt. Aber so richtig setzt er sich damit ja nicht auseinander, also gibt keine Analyse patriarchaler Strukturen, sondern nur eine Darstellung derselben. Und wenn ich mich recht entsinne, bleibt die Gewalt auch singulär – oder gab es noch eine andere Familie, in der häusliche Gewalt vorkam?

In meiner Vorstellung – das war die deutsche Premiere glaube ich – wurde sehr viel gelacht, auch schon bei dieser ersten Szene, in der die Hauptfigur so heftig geohrfeigt wird. Ich verstehe schon das Ansinnen, also die Brechung einer klassisch voyeuristischen Gewaltdarstellung durch die komödiantische Verzerrung oder auch die Tanzchoreographie. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das im von Gewalt gekennzeichneten Patriarchat funktioniert oder nicht doch eher die Gewalt weiter normalisiert. Niemand ist mehr geschockt, Frauen schlagen ist halt normal.

Und ich weiß nicht, ob das Lachen über häusliche Gewalt in IRGENDEINEM Kontext okay ist. So ganz grundsätzlich.

Ich fand den Film zum Teil richtig langweilig und auch schwer zu ertragen. Ich wollte es einfach nicht mehr sehen. Diese Erniedrigungen, diese Demut… Und im Grunde gibt es keinen echten Ausbruch daraus. Denn wie wir alle wissen, hat das Frauenwahlrecht nicht zur Abschaffung des Patriarchats oder auch zur endgültigen Abschaffung patriarchaler Gewalt geführt. Der Film fühlt sich ein bisschen an wie ein Beruhigungsmittel. Er soll irgendwie so ein bisschen einlullen mit diesen magisch-realistischen Momenten und am Ende dann alles erfahrene Leid (und das noch anstehende, denn soweit wir wissen, verlässt Delia ihren Mann nicht) mit einem einzigen Akt wegwischen. Das Patriarchat lehnt sich zurück und sagt: Wir haben Frauen das Wahlrecht gegeben, mehr müssen wir nicht tun. Was vor allem auch bedeutet: An UNS müssen wir nichts ändern. An keiner Stelle werden die Männer dieser Geschichte herausgefordert, sich, ihre Vorstellung von Männlichkeit oder ihr Handeln zu hinterfragen oder zu ändern.

Delia und Ivano in ihrer spärlich eingerichteten Wohnung. Delia trägt eine Schürze und hält eine Teekanne in der Hand. Ivano trägt ein weißes Herrenunterhemd und blickt sie verärgert an.

© Tobis

Sophie 28.3.3024 um 09:24 Uhr

Das mit dem Fokus auf die Männer habe ich nicht so stark empfunden wie Du. Gerade durch den Handlungsstrang um die Tochter habe ich es schon als Geschichte über Frauen empfunden. Im Gegenteil finde ich, dass die Männer Abziehbilder bleiben, während die Frauen komplexere Figuren sind – was ja normalerweise umgekehrt der Fall ist. Doch egal wie herum es ist, problematisch ist es immer, denn diese männlichen Abziehbilder führen ja eben dazu, dass wir nicht erfahren, wie patriarchale Gewalt entsteht oder aufrechterhalten wird. Und der Prinz Charming in der KFZ-Werkstatt ist ja nun alles andere als eine komplexe Figur, wir erfahren also auch nicht, weshalb er anders ist. Wir haben also statt einer „Hure-Heilige“-Aufstellung ein „Schläger-Prinz-Paradigma“…

Charlie 28.3.3024 um 10:50 Uhr

Ja genau, ich fand die Darstellung der Gewalt und generell patriarchaler Strukturen sehr platt irgendwie — mit den offensichtlichsten, klassischen Beispielen —, aber es fehlt eine Auseinandersetzung damit, auf welchen grundlegenden misogynen Ansichten und Rollenbildern die basieren, wie sie am Leben gehalten werden (was es z.B. auch so schwer macht für Frauen, sich zu solidarisieren), dass es auch „subtilere“ Formen davon gibt, die man nicht gleich als solche erkennt, etc.

Und ja, Delia war die einzige, bei der physische Gewalt explizit thematisiert wurde. Ansonsten hat man primär Männer gesehen, die ihren Frauen sagen, sie sollen den Mund halten. Und in einer Szene drohen sich die Nachbarsfrauen gegenseitig, etwas den Männern der jeweils anderen zu erzählen, sozusagen als Strafe, damit die Frauen von deren Männern verprügelt werden. Das fand ich ganz interessant, wie die Frauen patriarchale Gewalt auch als Waffe einsetzen.

Ich kann mir gut vorstellen, wo gelacht wurde. Manche Szenen hatten etwas von Slapstick, fand ich, was mich sehr irritiert hat. Hab auch einige Rezensionen auf Letterboxd gesehen, wo die Leute davon sprechen, wie „beautiful“ dieser Film wäre, und ich finde nicht, dass das der Eindruck ist, den so ein Film auslösen sollte.

Eine Einkaufsstraße im Stil der 40er Jahre. Vor einem Laden bildet sich eine lange Schlange auf dem Gehweg, die sich über die Breite des gesamten Bildausschnitts zieht. In der Schlange stehen ausschließlich Frauen und Kinder.

© Tobis

Charlie 28.3.3024 um 10:54 Uhr

Dafür, dass der Film explizit als Film über eine „Rebellion“ Delias gegen ihren Mann beworben wird, macht er einfach zu wenig. Er stellt, sehr vereinfacht, Strukturen dar, von denen wir schon wissen, dass sie existieren, deprimiert uns anderthalb Stunden mit der Darstellung von Gewalt, und bietet dann weder eine richtige Auseinandersetzung noch eine Lösung oder auch nur irgendwelche Lichtblicke sondern diese Scheinlösung.

Charlie 28.3.3024 um 11:05 Uhr

Stimmt, die Männer bleiben eher platt. Auch z.B. der amerikanische Soldat, den ich übrigens auf seine Art selbst übergrifft fand (er fässt sie dauernd an, obwohl sie sagt, dass sie das nicht will, oder nutzt seine militärische Autorität, um sie zum Stehenbleiben zu bringen). Und der Nachbar, der den Schwiegervater so toll findet (obwohl er offensichtlich ein Krimineller war und generell mega unsympathisch ist), wirkte eher wie eine Karikatur.

Trotzdem stehen Männer im Fokus der meisten Interaktionen von Frauen. Die Storyline der Tochter dreht sich z.B. primär um ihre Verlobung und ihr Wunsch, zur Schule zu gehen, wird nur am Anfang und Ende kurz angeschnitten. Wir erfahren nicht, was sie eigentlich vom Leben will, ob und wie sie sich mit patriarchalen Strukturen und Gewalt auseinandersetzt (ihre Interaktionen mit ihrer Mutter zeigen ja, dass sie sie nicht als normal ansieht), und wie es sein kann, dass sie letztendlich auch eine Betroffene wird und bitterlich um einen Mann weint, der sie kurz vorher als ihren Besitz bezeichnet und gewürgt hat. (Das wäre ein spannendes Thema gewesen.) Richtig komplex fand ich sie nicht.

Und an sich wäre es ja okay, Männer in den Mittelpunkt zu stellen, um zu zeigen, dass eine patriarchale Gesellschaft  so geschaffen ist, dass Männer der Mittelpunkt sind, aber dafür werden diese Strukturen zu oberflächlich behandelt, finde ich.

Sophie 28.3.3024 um 11:28 Uhr

Das ist ein guter Hinweis, also der auf Marcellas flachen Charakter, dass wir nichts über sie erfahren, das über ihre Liebesbeziehung hinausgeht. Eigentlich ist das ja bei fast allen Figuren so – die Hauptfigur einmal ausgenommen (wobei: Was ist denn eigentlich deren Traum? Wenn sie frei „wählen“ könnte, wofür würde sie sich entscheiden?). Vielleicht ist das Problem des also Films auch ganz grundsätzlich, dass er einfach nur bekannte Typen in einem bekannten Narrativ anordnet, dafür aber einen anderen Tonfall als gewohnt annimmt… wobei, ohne Beispiele zu haben, ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es schwarz-weiß und/oder Stummfilme gibt, in denen Frauen geschlagen werden und es soll als Gag funktionieren. Jedenfalls sind Typen in typischen Narrativen eben keine Analyse, sondern ein Fortschreiben dieser Typen und typischen Narrative.

Zwei Frauen, eine davon Delia, vor einer beschädigten Mauer. Sie tragen geblümte Blusen und rauchen Zigaretten. Sie lächeln.

© Tobis

Charlie 28.3.3024 um 11:30 Uhr

Ich habe auch überlegt, ob der Film visuell andere, alte Filme referenziert, was ich vermutlich nicht bemerken würde, weil ich keine italienischen Filme aus der Zeit und generell wenige Filme aus der Zeit kenne.

Was ich auch seltsam fand, von der Erzählweise her, war, dass der Film in mehreren Szenen etabliert, dass Delia und William, der Soldat, kaum kommunizieren können, weil sie die jeweils andere Sprache nicht sprechen, und dann hilft er ihr auf einmal aus dem Nichts, die Bar der Eltern von Marcellas Verlobtem zu sprengen. Das war ein bisschen deus ex machina. Und wirkte unlogisch irgendwie.

Sophie 28.3.3024 um 11:33 Uhr

Christoph Peters von Filmstarts schreibt: „An Bilder von Männern, die ihre Frauen schlagen, hat man sich im Kino womöglich längst gewöhnt – aber ähnlich wie in The Zone Of Interest zwingt einen das extra Maß an Abstraktion hier regelrecht dazu, sich mit der Grausamkeit des Geschehens tatsächlich auseinanderzusetzen.“ Interessant – ich habe mich so überhaupt gar nicht dazu angeregt gefühlt, mich mit Gewalt an Frauen auseinanderzusetzen. Ich glaube, der weiß gar nicht, auf welche Weise Mann sich mit dem Thema auseinandersetzen könnte.

Sophie 28.3.3024 um 11:33 Uhr

Das mit der Explosion fand ich auch dramaturgisch ziemlich schwach.

Zur stilistischen Referenz: „Deutlich ist etwa der Einfluss der Dramen des italienischen Neorealismus zu sehen, etwa in der Gestaltung von Kostümen, in Farbgebung und Settings, aber auch in der inhaltlichen Orientierung hin zu Alltagsgeschichten, dem Kampf ums tägliche Überleben und zum Milieu der „kleinen Leute“. “ (Katharina Zeckau im Filmdienst)

Aber egal wie toll ein Film auf ästhetischer Ebene agiert, es geht ja auch um die Wirkung – oder besser gesagt, MIR geht es um die Wirkung. Da ist es mir erstmal egal, auf wen oder was sich der Film bezieht. Den Bezug schneidet ja eh nur ein sehr kleiner Teil des Publikums mit.

Charlie 28.3.3024 um 11:38 Uhr

Ja, ich fühl mich auch gar nicht durch den Film angeregt, das Thema zu reflektieren. Die allererste Ohrfeige hat z.B. nicht mal einen Kontext. Die wachen auf und er ohrfeigt sie. Ich find’s einfach schwach, Gewalt als „Das war damals halt so“ darzustellen. Die Idee, dass Männer das dürfen oder sogar „müssen“, kam ja von irgendwoher. Und das wird hier gar nicht thematisiert

Sophie 28.2.3024 um 11:39 Uhr

Ich würde auch in Frage stellen, ob das nur “damals” so war… Das ist ja auch so ein Effekt des Films, dass er so tut, als erzähle er etwas, dass nur mit der Vergangenheit zu tun hat und dann kam das Wahlrecht und dann wurde alles besser. 

Ich finde es auch bezeichnet, dass männliche Kritiker das als Auseinandersetzung mit der Thematik bezeichnen (Andreas Köhnemann schreibt bei kino-zeitMorgen ist auch noch ein Tag ist ein beeindruckender Film über Emanzipation”). Frage mich, wie da so deren professioneller Hintergrund zu dem Aspekt aussieht…

Vielleicht können wir festhalten, dass es auf stilistischer/ästhetischer Ebene ein interessanter Film ist, aber dass er nicht das er erreicht, was er erreichen will und schlimmstensfalls das Gegenteil produziert?

👍 (Charlie)

Kinostart: 4. April 2024

Sophie Charlotte Rieger
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