Was ist eigentlich feministische Filmkritik?
dieser Text ist entstanden in Zusammenarbeit mit Sabrina Vetter
In Vorbereitung auf das erste Seminar, das ich an einer Universität geben werde – zu “Feminismus und Film”, wie sollte es auch anders sein? – habe ich mich durch Grundlagentexte der feministischen Filmtheorie sowie insgesamt sehr viel feministische Literatur, insbesondere der vergangenen Jahre, gewühlt. Dabei habe ich keine Antwort auf die Frage danach gefunden, was feministische Filmkritik eigentlich sei, dafür aber sehr viele Gründe, diese Frage wieder und wieder und laut und eindringlich zu formulieren.
Historisch gesehen, ist feministische Filmkritik – kaum dass sie im Zuge der zweiten feministischen Welle des vergangenen Jahrhunderts geboren war – sehr schnell in den akademischen Diskurs übergegangen. Das zeigt sich auch an dem ersten und noch immer einzigen deutschsprachigen gedruckten Magazin zu Feminismus und Film mit dem Titel Frauen und Film, dessen Texte sich klar an ein akademisch gebildetes Publikum richten und sich vornehmlich mit der Analyse und filmhistorischen Einordnung von Werken und Filmemacher*innen beschäftigen. Ich würde an dieser Stelle einfach mal ganz frech behaupten – liebe Helke und Claudia, liebe Karola und Heide, bitte verzeiht mir – dass Frauen und Film kein Medium feministischer Filmkritik darstellt, zumindest dann nicht, wenn ich sie als Mittlerin bzw. Übersetzerin zwischen Kinopublikum und Film begreife. Denn dafür ist die Gruppe der Adressat*innen der Zeitschrift aus eben genannten Gründen zu begrenzt.
“Der Ton macht die Musik” oder “Die Macht der Sprache”
Ich war schon immer der Meinung, dass feministische Filmkritik sich auch formal vom patriarchalen Mainstream unterscheiden muss. Einer meiner größten Kritikpunkte an der zeitgenössischen Filmkritik, wie schon vielfach in Interviews und Texten von mir formuliert, ist die Arbeit mit Sprache als Ausschlussmechanismus. Oder anders formuliert: Ein Großteil der deutschen Filmkritik, insbesondere des Feuilletons, verwendet eine Sprache, die nur Menschen einer ganz bestimmten Bildungsschicht zugänglich ist. Wenn wir uns die Vergabe des Siegfried Kracauer Preises ansehen, dem hierzulande einzig ernstzunehmenden Preis für Filmkritik, zeigt sich auch dort, dass es eine ganz bestimmte Art von Filmkritik ist, die als preiswürdig erachtet wird. Eine Filmkritik nämlich, die insbesondere formal äußerst homogen ist. YouTuber (bewusst in der männlichen Form genutzt, da FLINTA sich mit der Diskussion von Filmen in diesem Medium zurückhalten – I wonder why), Podcaster*innen oder überhaupt alle Menschen, die Filmkritik jenseits von geschriebenen Texten betreiben, tauchen hier nicht auf. Ebenso wenig übrigens Filmkritiken, die inhaltlich einen feministischen, antirassistischen oder postkolonialen Fokus wählen. Das mit dem Preis verbundene Stipendium wurde an Personen vergeben, die sich in dem etablierten Rahmen der schriftlichen Filmkritik bewegen. Natürlich hängt diese Homogenität damit zusammen, wer sich überhaupt auf das Stipendium bewirbt, aber auch diese Zugangsvoraussetzung, nämlich wer sich angesprochen und aufgefordert fühlt, ließe sich ja reflektieren.
Aber jetzt habe ich schon verschiedene Aspekte in denselben Topf geworfen: Sprache, Form und Inhalt. Halten wir zunächst fest: Filmkritik nutzt eine gehobene Schriftsprache, gerne mit akademischen Einflüssen und Fremdwörtern, die einem Großteil der deutschen Bevölkerung in dieser Form gar nicht zugänglich ist. Weiterhin sprechen und schreiben Menschen inzwischen auf sehr unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Medien über Film – in Podcasts, YouTube-Videos, Instagram-Reels oder TikTok Clips, bei Letterboxd, Facebook und und und… – als nominierungs- und preiswürdig, als “echte” Filmkritik gelten aber noch immer Texte, die in etablierten journalistischen Medien erscheinen. Als Drittes ist das allgemeingültige Verständnis von Filmkritik noch immer jenes, das Texte vor allem auf die Machart der Werke eingehen, die filmhistorische Einordnung und inhaltliche Interpretationen vor allem auf einer abstrakten, kulturwissenschaftlichen oder philosophischen Ebene vornehmen. Texte, die Filme soziokulturell einordnen, z.B. in das alltagsrassistische, postkoloniale Patriarchat, erscheinen weniger professionell, setzen sich angeblich zu wenig mit dem “Eigentlichen” auseinander. Wie oft wurde und werde ich von Kolleg*innen der “wahren” Filmkritik dafür belächelt oder gar diskreditiert, dass ich Werke an ihrer (un)kritischen Darstellung sexistischer Stereotype und Narrative messe. DAS ist doch kein Qualitätsmerkmal!
Die objektive Filmkritik ist ein patriarchaler Mythos
In ihrem Buch Monster: A Fan’s Dilemma schreibt die US-amerikanische Autorin und, ja, Filmkritikerin Claire Dederer: “What makes great art depends on who we are and what we live through.” Ausgehend von der Frage, wie mit Werken von verurteilten Straftäter*innen umzugehen wäre, kommt sie zu der Erkenntnis, dass die Trennung von Werk und Autor*in das Produkt einer privilegierten Perspektive ist. Menschen, die sich bei der Bewertung eines Films nicht dafür interessieren, ob dieser von einem Vergewaltiger stammt, ob er frauenfeindlich oder rassistisch ist, sind vermutlich auch Menschen, die weder von sexualisierter Gewalt, noch Sexismus oder Rassismus betroffen sind. Oder noch klarer formuliert: Filmkritik wie wir sie in Deutschland (und vermutlich im gesamten globalen Norden) heute begreifen, ist ein Privileg weißer nicht-behinderter cis-heterosexueller Männer ohne patriarchale Gewalterfahrung.
“Aber nein”, werden diese Männer jetzt widersprechen, “bei Filmkritik geht es um eine objektive Haltung!” “Ach wirklich”, antworte ich ihnen, “und was genau macht Deine Haltung als umfassend privilegierter Mensch objektiv?” Die Antwort ist: Nichts. Nur weil wir weiße, nicht behinderte, cis-heterosexuelle Männer als Blaupause dieser Gesellschaft begreifen, um patriarchale Machtstrukturen nicht infragestellen zu müssen, ist ihre Haltung noch lange nicht objektiv. Sie ist zutiefst gekennzeichnet von ihren Privilegien. Zum Beispiel davon, dass die eigene Meinung Gehör und Respekt erfährt, etwas das FLINTA und insbesondere weiblich gelesene Personen auch im 21. Jahrhundert von sich noch immer nicht behaupten können. Wir sind es gewohnt, unsere Meinungen vorsichtig zu formulieren… also das ist jetzt wirklich nur MEINE Perspektive und Du kannst das selbstverständlich anders sehen. Wobei ich diese Herangehensweise ehrlich gesagt ganz vernünftig finde, aber ich bin eben auch weiblich sozialisiert. Es ist kein Zufall, dass eine der wenigen in unserem Sujet bekannten Personen, die die vermeintlich objektive Haltung von Filmkritik vermieden und ihre Texte bewusst subjektiv formuliert hat, eine Frau ist: Pauline Kael (auch wenn sie mit meinem feministischen Anliegen vermutlich nicht konform ginge): “The writing I did over three decades may give readers the sense of how movies interacted with public life, and give them, too, the critic’s first flushes of discovery. I’m frequently asked why I don’t write my memoirs. I think I have.”
Die ganze Idee von Filmkritik jedoch beruht auf der Annahme, eine Person könne allen Personen erklären, was ein guter Film sei. Und das wiederum ist eine zutiefst patriarchale Haltung. Sie nimmt keine Rücksicht auf die Vielfalt des menschlichen Lebens und Erlebens, sondern sie zwingt das individuelle und vielgestaltige Kunsterleben in ein Meinungskorsett: Wenn Du diesen Film gut findest, hast Du halt keine Ahnung! Wenn Du jenen Film schlecht findest, hast Du ihn wohl nicht verstanden!
Kann Filmkritik überhaupt feministisch sein? Und wenn ja, wie?
Filmkritik ist also in sich bereits Produkt und in gewisser Weise auch Bedingung patriarchaler Herrschaftsstrukturen. Sie zementiert Hierarchien, die sich am Zugang zu Bildung orientieren, freilich ohne diesen Maßstab offenzulegen. Sie bestreitet die Relevanz von Feminismus, Antirassismus und allen anderen herrschaftskritischen Diskursen. Sie nimmt die Meinung der Herrschenden als objektiv an. Wie kann sie also feministisch sein? Geht das überhaupt oder ist die Bewertung von Filmen und ihren Macher*innen in sich schon immer Ausdruck patriarchaler Verhältnisse?
Ich möchte noch mal zu Claire Dederer zurückgehen: “What makes great art depends on who we are and what we live through”. Nach über zehn Jahren, in denen ich versucht habe, feministische Filmkritik innerhalb zutiefst patriarchaler Strukturen zu betreiben und zu etablieren, erkenne ich, dass dieses Unternehmen zum Scheitern verurteilt sein muss. Ich habe mich zwar schon immer bemüht, meine Texte möglichst allgemeinverständlich zu formulieren, aber mit dem Verzicht auf bzw. der Erklärung von Fachbegriffen und der Vermeidung abenteuerlicher Nebensatzkonstruktionen ist es noch nicht getan. Ich glaube, eine tatsächlich feministische Filmkritik muss uneingeschränkt subjektiv sein. Sie muss der Tatsache Rechnung tragen, dass die Rezeption von Film – und Kunst im Allgemeinen – ein individueller Prozess ist, dass jede Person jeden Film anders, nämlich auf der Leinwand ihres eigenen Lebens wahrnimmt, dass Lebensrealitäten unendlich vielfältig sind und somit auch die Qualität und Bedeutungen eines einzelnen filmischen Werks extrem variieren kann. Als feministische Filmkritiker*innen sollten wir anfangen, viel mehr mit Sprache, Form und Inhalt zu experimentieren und uns dabei nicht von den alten weißen Herren unserer Zunft einschüchtern zu lassen. Wir sollten mutig genug sein, uns selbst zu offenbaren, unser Leben, unsere Erfahrungen und Gefühle als Bewertungsmaßstab und Interpretationswerkzeuge transparent zu machen. Radikal und absolut schamlos subjektiv zu sein. Dabei muss nicht jeder Text auf dieselbe Weise konsequent mit feministischen Termini jonglieren – im absoluten Gegenteil. Es geht ja gerade um den Mut zur Vielfalt, vielleicht auch Uneindeutigkeit, um das Schreiben in einem heterogenen Kollektiv, das – wie bei FILMLÖWIN – bewusst unterschiedliche Sprachen und Herangehensweisen nutzt, das aber vor dem Hintergrund gemeinsamer feministischer Überzeugungen und Zielsetzungen tut.
Das liebe Geld – Die ökonomische Realität von Filmkritik
Ja, die ökonomischen Zwänge machen es uns noch schwerer als das Überleben im Haifischbecken Filmkritik ohnehin schon ist, ließe sich doch mit einer Anpassung an den Status Quo wenigstens noch ein bisschen Geld verdienen. Aber mal im Ernst: Niemand in diesem Land kann von Filmkritik leben. Wer außer Filmkritik keine weitere Lohnarbeit betreibt, hat entweder Opas Erbe unter der Matratze oder ist von staatlicher Unterstützung abhängig. Und sollte es da draußen doch eine Person geben, die ihr Geld ausschließlich mit Filmrezensionen verdient, dann ist sie mit Sicherheit weiß, männlich, über 60 und höchstwahrscheinlich kinderlos.
An dieser Stelle gönnt mir einen kleinen Exkurs in die ökonomischen Zusammenhänge der patriarchalen Filmkritik. Die schlechte Bezahlung bildet einen weiteren Ausschlussmechanismen, macht sie es doch marginalisierten Personen weitaus schwerer, hier Fuß zu fassen. Menschen, die Sorgearbeit leisten, können sich eine Karriere in der Filmkritik direkt abschminken. Ich zumindest kann es mir als alleinerziehende Person nicht mehr leisten, für 30-50 Euro pro Text zu schreiben. Bei zwei Stunden Filmsichtung, gegebenenfalls Fahrtweg und Korrekturschleifen mit der Redaktion bedeutet das nämlich einen Stundenlohn von ziemlich optimistisch berechneten 5 bis 8 Euro. Der Verband der deutschen Filmkritik jedoch versteht sich nicht als ein Berufsverband, der sich mit der ökonomischen Arbeitsrealität seiner Mitglieder beschäftigt, sondern seine Aktivitäten gelten dem Film an sich, dem Kunstwerk im abstrakten Raum seiner ästhetischen Bestandteile, vielleicht maximal noch seiner Entstehungsbedingungen. Bösartig formuliert könnten wir sagen: Die deutsche Filmkritik hat keinerlei Interesse inklusiver zu werden, sondern konsolidiert aktiv patriarchale Herrschaftsstrukturen – in der persönlichen Interaktion und Organisation wie auch in ihren Texten.
Und auch daraus können wir etwas für die Praxis einer feministischen Filmkritik ableiten: Eine wahrhaft feministische Filmkritik kann sich nicht von den eigenen Produktionsbedingungen lösen, sondern muss sich im Gegenteil auch immer damit beschäftigen, in welchen Kontexten und unter welchen (ökonomischen) Bedingungen sie durch wen überhaupt stattfinden kann und sich aktiv darum bemühen, marginalisierte Stimmen zu integrieren wie auch ein solidarisches Miteinander zu schaffen, in dem Kritiker*innen sich gegenseitig (z.B. durch die Vermittlung von Lohnarbeit) unterstützen, anstatt miteinander in Konkurrenz zu treten. Insofern ist dieser Text, wer hätte es gedacht (ich jedenfalls nicht!) ebenfalls feministische Filmkritik.
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