Im Dialog: Touched

Im Dialog – Sabrina Vetter und Sophie Charlotte Rieger nähern sich dem Film Touched von Claudia Rorarius in Form einer dialogischen Filmkritik. Da wir uns von der klassischen Filmkritik entfernen, enthält der folgende Text SPOILER und sollte erst nach der Filmsichtung gelesen werden.

Sabrina 15.04.2024 14:07 

Ich schaue mir gerne Touched von Claudia Rorarius an. Die Synopse der Produktionsfirma: „Maria arbeitet als Betreuerin in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen. Sie durchläuft eine transformative Reise, als sie auf Alex, einen querschnittsgelähmten Bewohner, trifft. Sie gehen eine verbotene Beziehung ein, angetrieben von ihrer sexuellen Entdeckung und tiefen Verbindung zueinander. Mit der Vertiefung ihrer Bindung stoßen Alex‘ Forderungen und Demütigungen Maria an ihre Grenzen. TOUCHED erforscht die Feinheiten von Liebe, Abhängigkeiten und den Herausforderungen, die entstehen, wenn diese Elemente aufeinandertreffen.“

Sophie 15.04.2024 14:09

Ich schaue den gerade aber zweite Meinung schadet nicht.

Sophie 16.04.2024 09:36

Hast du vielleicht Lust, dazu wieder einen Dialog zu machen?___STEADY_PAYWALL___

© Cologne Cine Collective

Sabrina 16.04.2024 14:42

Ich finde den Film auf jeden Fall interessant (Stichwort: Sehgewohnheiten), er wirft aber doch auch einiges an Themen durcheinander. Seine Länge fand ich im Endeffekt kontraproduktiv zu seinem Aufbau.

Sophie 16.04.2024 14:57

Bei der Länge gehe ich mit. Möglicherweise lag es auch an meiner Situation, als ich den Film gesichtet habe (Kita mit Personalmangel, „bitte holen Sie ihre Kinder so früh wie möglich ab“), aber mein Gefühl war auch, dass Touched von seiner Länge nicht profitiert hat. Zu den Sehgewohnheiten: Ich war am Anfang ganz begeistert, wie Claudia Rorarius die dicke Hauptfigur so wunderschön in Szene setzt, doch irgendwann habe ich mich gefragt, ob hier wirklich eine Normalisierung dadurch stattfindet oder sie nicht doch am Ende Spektakel bleibt. Und: Steckt da nicht ein männlicher Blick drin, wenn nur die weibliche Hauptfigur erotisch wirkt, die männliche aber nicht? Es wäre ja auch möglich gewesen, den behinderten Körper von Alex so zu inszenieren, dass er begehrenswert wirkt – so wie ihn ja auch Maria empfindet, aus deren Perspektive wir die Geschichte ja eigentlich erleben.

Ein anderer Aspekt bei dem ich Bauchschmerzen hatte, war die Frage von sexuellem Konsens. Irgendwann wird das Machtspiel zwischen Maria und Alex deutlicher und wir sehen, wie unterschiedlich Macht in einer Beziehung ausgeübt wird und dass das nicht nur mit Gender oder Körper zu tun hat – aber eben auch. Nur diese erste intime Berührung – da können wir als Zuschauer*innen nicht eindeutig Alex‘ Einverständnis sehen. Wenn ich jetzt die Genderrollen vertausche, weiß ich ganz sicher, dass ich den Film als Geschichte über Missbrauch gelesen hätte…

Sabrina 16.04.2024 16:11

Die Inszenierung von Marias Körper fand ich auch die extreme Stärke des Films. Wie du sagst, wunderschön, und ich hätte mir das daher tatsächlich sogar mehr und vielfältiger gewünscht. Wir sehen sie ja oft im Bett in legerer Kleidung (oder ganz unbekleidet), oft bei der Arbeit, ab und an beim Tanzen zu Hause. Dann seltener beim Ausgehen (Karaoke) oder Schwimmen. Was ist aber mit den vielleicht banaleren Dingen des Alltags? Einkaufen, Bahnfahren, im Gespräch mit Kolleg*innen etc. In welchen Räumen bewegt sie sich? Maria erscheint ja sehr isoliert, vielleicht einsam, wenn ich das richtig interpretiere. Wie lebt es sich in dieser Isolation? Da hätte ich einfach gerne mehr gesehen, um Maria besser kennenzulernen. Wir erfahren ja auch Persönliches über Alex, da kommt dann schon nach und nach eine Geschichte zusammen, aber auch eher nur mühsam. In seiner Länge hätte der Film da noch etwas tiefer in die Figuren und ihre Hintergründe gehen können (gerne auch, um das tolle Schauspiel-Duo Isold Halldórudóttir und Stavros Zafeiris auszuschöpfen). Ich verstehe Touched im Endeffekt für mich dann auch eher als einen Film über individuelle Menschenkörper, weniger über die Menschen hinter diesen Körpern.

Sabrina 16.04.2024 16:27

Zu deinem Punkt, welcher Körper mehr im Mittelpunkt steht und wie die beiden Hauptfiguren füreinander aber auch die Zuschauer*innen begehrenswert sind, da spielt für mich der Filmaufbau eine große Rolle. Ich finde die ersten Begegnungen zwischen den beiden im Krankenzimmer und beim Reha-Schwimmen bis hin zum ersten sexuellen Kontakt laufen so schnell ab. Das passiert alles innerhalb der ersten 20 Minuten. Bei einer Filmlänge von über 2h hätte dieses Kennenlernen, diese Annäherungen gerne viel mehr Raum einnehmen können. So hätte auch Alex‘ Körper nicht nur im Kontext der Pflege, die ihm zukommt, und die „Rettung“, die er durch Maria erfährt, für die Zuschauer*innen gezeigt werden können.

Sabrina 16.04.2024 16:44

Das mit den Bauchschmerzen kann ich unterstreichen. Ich empfinde die erste intime Begegnung in Alex‘ Krankenbett nicht als von Konsens geprägt. Intime/soziale Beziehungen zwischen Patient*in und Pfleger*in sind ein sehr schwieriges Thema und Maria wird hier ja nahezu zu einem Negativbeispiel, und schließlich als Täterin für mich lesbar. Sie wird ja auch zu Recht gerügt, als sie später von ihrer Kollegin in Alex‘ Bett erwischt wird. Von Anfang ist die Beziehung somit von starken Machtgefällen und von Abhängigkeiten geprägt, die für mich nicht immer zu Ende verhandelt werden. Ich finde es stark, dass sich Claudia Rorarius auf so unaufgeregte Art an diese Themen rantraut und sie zeigt ja auch im Laufe des Films, dass sich die Abhängigkeiten in der Beziehung zwischen Maria und Alex ändern. Ich finde diese aber im Endeffekt, und was der Film über sie sagen möchte, zu schwer zu fassen.

© Cologne Cine Collective

Sophie 16.04.2024 16:58

Was meinst Du mit „zu schwer zu fassen“? Dass das ursprüngliche Machtungleichgewicht zwischen Pflegekraft und Patient nicht eindeutig ist? Oder was genau?

Sabrina 16.04.2024 17:55

Mir geht es da um die Frage, was Konsens in diesem Machtungleichgewicht und in diesen Abhängigkeiten bedeutet oder überhaupt bedeuten kann, vor allem aus der Sicht von Patient*innen. Ich hatte dann irgendwann den Gedanken, dass die Darstellung der ersten übergriffigen Begegnung zwischen Maria und Alex, für Zuschauer:innen einmal mehr einen für mich nicht nötigen Zugang zu Diskussionen um „Grauzonen“ der sexualisierten Gewalt geben könnte. Das ist aber sicher nicht, wo Rorarius hinwollte. Daher bleibt es für mich schwer zu verstehen, wie sich Marias Übergriff gepaart mit Alex‘ emotionaler Apathie z. B. sexpositiv auslegen lassen und das lässt sich für mich auch bis zum Schluss nicht klären.

Sophie 16.04.2024 18:18

Beim Thema Konsens bin ich zu 100% bei Dir. Du fasst genau in Worte, was ich denke. Was bei mir mitschwingt, ist ein kurzes Gespräch mit Claudia Rorarius zu ihrem Film (ich darf mich öffentlich darauf beziehen, also mache ich das mal hier), in dem sie mir erklärte, ihr Film sei sehr persönlich. Ihr Vater hatte aufgrund einer Erkrankung eine körperliche Behinderung und somit ist der Film auch eine Form der Verarbeitung ihrer eigenen Beziehung mit dem Thema Behinderung und ihrem Vater. Vor diesem Hintergrund betrachtet, glaube ich fast, dass Claudia Rorarius der fehlende sexuelle Konsens nicht bewusst ist, dass es ihr weniger darum, als um die Liebesgeschichte und deren Hürden geht (was natürlich nichts daran ändert, dass der Film das Thema Konsens dennoch aufmacht – und zwar auf problematische Art und Weise).

Ich mochte übrigens sehr, sehr, sehr die Tanzszenen, besonders die letzte. Bei dieser letzten Tanzszene hatte ich so den Gedanken, dass ich diese ganze Geschichte gerne als Tanztheater gesehen hätte und sie in dieser noch abstrahierteren Form (im Gegensatz zum Film, der mehr Realitätsillusion schafft) besser gefunden hätte. Ich habe ohnehin viel über die Form nachgedacht. Einerseits die langen Einstellungen, sparsamer Schnitt, wenig Einsatz von Musik und wenn, dann meist diegetisch, also als Teil der Handlung. Gleichzeitig wirkte das Pflegeheim sehr artifiziell und auch die Privaträume von Maria farblich so durchgestylt (und auch mal rot und mal grün, oder?), dass wieder eine gewisse Künstlichkeit entstand. Ich glaube, dass dieser Bruch total wichtig war, um von der konkreten Geschichte weg zu einem größeren Thema zu kommen. Vielleicht hätte das eben sogar noch stärker sein müssen, damit der Film eben nicht Gefahr läuft auf die Realität übertragen zu werden mit der Idee: eine*n Patient*in intim berührend, mal eben so, ist okay.

©2PilotsFilmproduction, Soquietfilms2023 

Sabrina 16.04.2024 23:16

Mit der Tanzszene ganz zum Schluss konnte ich im ersten Moment nicht so viel anfangen, auch weil es in dieser Form die einzige im Film war. Da war mir der Bruch mit den wenige Szenen zuvor gezeigten Geschehnisse in der Höhle zu groß. Im Rückblick empfinde ich die finale Szene aber als einen schönen Abschluss für Marias und Alex‘ Beziehung. Nicht nur spielt der Tanz eine wichtige Rolle in Marias Leben, sie teilt ja auch einen echten, nicht-fantastischen Moment des Tanzes mit Alex als sie ihre Beine aneinander bindet und ihn festhält. Er sagt, er träumt vom Rennen und Fliegen, sie gibt ihm diesen Tanz. Das ist für mich eigentlich die intimste Szene des Films, da sie von körperlicher und emotionaler Nähe geprägt ist. Der fantastische Tanz zum Schluss, in dem Alex selbst auch aktiv ist und die Tanzbewegungen mitbestimmt, erinnert für mich an diesen Moment, aber eben auf einer anderen Ebene. Und auch hier werden wieder die Sehgewohnheiten des Publikums angesprochen: Haben wir so eine Tanzchoreographie schon mal in einem Film sehen dürfen?

Sabrina 16.04.2024 23:37

Ich finde interessant, dass du das Pflegeheim als „artifiziell“ bezeichnest. Ich sehe das ähnlich in dem Sinne, dass es sehr unbelebt wirkt. Es gibt kaum Lärm, es erscheint als würden dort nur drei Pfleger*innen arbeiten. In der Realität ist das ein sehr viel geschäftiger Ort. Ich fand aber an diesem Setting besonders die Farben interessant. Die Wände durchgehend bunt, hatte es nicht sogar Teppichboden in den Gängen(?), dann die Shots von der Geburtstagsparty mit bunten Ballons. Da ist bei mir schon eine gewisse Wärme in und für diesen Ort der Pflege angekommen. Die Brüche als Teil der Form habe ich aber auch so wahrgenommen, wie du sie beschreibst: lange Einstellungen, durchgestylt, aber wenig aufregend. Ich würde da noch die immer wiederkehrenden Bilder der Berge, die in den letzten Filmminuten eine große Rolle spielen (oder zumindest ihr Fuß), ergänzen wollen.

Sophie 16.04.2024 um 23:41 Uhr

Zum Pflegeheim: Es ist nicht nur bunt, es ist pastell! Das sind eigentlich so Wöchner:innenstation-Farben, Farben, die ich mit kleinen Babys und der Rosa-Hellblau-Falle verbinde. Dadurch bekommt dieser Ort etwas total unschuldiges, sanftes. Und genau das steht in hartem Kontrast zu einem tatsächlichen Pflegealltag. Was die wenigen Personen angeht, habe ich aber auch gedacht, dass hier vielleicht Budget-Gründe vorliegen, die die Produktion auf wenige Spielorte und wenige Figuren beschränkt haben.

© Cologne Cine Collective

Sabrina 16.04.2024 23:49

Was mir noch wichtig ist anzumerken, wenn ich schon über die „Wärme“ des Films spreche, ist das Hauptrollen-Duo. Isold Halldórudóttirs und Stavros Zafeiris‘ (für beide ist es glaube ich der erste Film) Zusammenspiel macht viel mit dem Film auf emotionaler Ebene. Marias Isolation, Alex‘ Wut, die Unsicherheiten der beiden, die sich unterschiedlich ausdrücken, und die jeweiligen Machtpositionen, die ebenfalls unterschiedlich auftreten – wie die Schauspieler*innen das jeweils ausdrücken, hat mich mit jeder der beiden Figuren mitgehen lassen.

Sophie 17.04.2024 um 09:18 Uhr

Die beiden Hauptdarsteller*innen fand ich auch beeindruckend. Beide für sich, aber vor allem auch in der Interaktion, machen sie sich durch die Intimität der Szenen auch sehr verletzlich, finde ich. Ich weiß nicht, ob ich ihnen alle Szenen abgenommen habe, aber die Dynamik zwischen den Figuren habe ich sehr genossen, ihr sehr gerne zugesehen. Und auch hier wieder dieser Bruch mit Sehgewohnheiten: Die große, starke, dicke Frau und daneben der kleine, zarte, zerbrechliche, zum Teil hilflose Mann. Und die große Frage: Kann da jemals Augenhöhe entstehen? (Vielleicht tatsächlich einzig in der gemeinsamen Tanzszene im Film, die Du weiter oben beschreibst?)

Was machen wir draus? Gibt’s ein Fazit? Braucht es überhaupt immer ein Fazit?

Sabrina 17.04.2024 um 19:55 Uhr

Es kommt auf jeden Fall viel im Film zusammen, nicht jedem Thema oder Aspekt wird Touched aber gleichermaßen gerecht. Manches bleibt vielleicht sogar völlig unberücksichtigt. Ich denke da weiterhin, dass die lange Laufzeit etwas anders hätte ausgeschöpft werden können, z. B. in der Charakterzeichnung oder im zeitlichen Ablauf der Story. Ich habe ihn aber gerne gesehen und er sollte von allen wertgeschätzt werden, die mal was anderes im Kino sehen wollen. Er bricht, auch aufgrund seiner Form, mit den Sehgewohnheiten, Figuren wie Maria und Alex begegnen uns viel zu selten im Film. Das Ergebnis des persönlichen Zugangs der Regisseurin ist für mich bewegend wie auch neu. Persönlicher Zugang sollte nicht nur beim Filmeschauen, sondern auch beim Filmemachen wichtig sein. Gerne mehr von solch aufregenden Geschichten wie Gesichtern!

Touched ist ab dem 2. Mai 2024 im Kino zu sehen.

Sophie Charlotte Rieger
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