Drei Gedanken zu: Spencer
Die beeindruckende und zugleich tragische Geschichte um die britische Prinzessin Diana prägte die Neunziger Jahre maßgeblich. Mit dem Spielfilm Spencer widmeten sich Regisseur Pablo Larraín und Drehbuchautor Steven Knight einem Ausschnitt aus dem Leben der Diana Frances Spencer, um sich in dieser kondensierten Form dem Innenleben der realen Person auf fiktionale Weise anzunähern. Der Spielfilm serviert seinem Publikum keine Stammbäume, Irrungen und Wirrungen oder zeithistorische Daten, sondern kreiert die Gefühlswelt einer Ausbrecherin in einer beengenden, kalten, royalen Welt. Claire Mathons (Petite Maman, Porträt einer jungen Frau in Flammen, Atlantics) ansprechende Bilder weichen selten von Kristen Stewarts Seite, sodass der Film auf emotionaler Ebene weitgehend auch ohne die Vorkenntnis historischer Fakten funktioniert. Die unglücklich verheiratete Diana steckt in den Verpflichtungen des Königshauses und den erwarteten Selbstinszenierungen einer Prinzessin fest, aus denen sie sich befreien möchte aber nicht darf. Es ist „die Fabel einer wahren Tragödie“ in knapp zwei Stunden mit einem Sujet von begrenzter Zeit und an vornehmlich einem Ort: Im Anwesen Sandringham der Queen kommt die Königsfamilie im Jahr 1991 zum dreitägigen traditionsüberfüllten Weihnachtsessen zusammen. Diana hätte am liebsten gar nicht erst dort hingefunden.
Achtung: Spoiler im Text.
Prinzessinnenmärchen: Opfer oder Agentin?
Wie auch in Jean Seberg – Against all enemies verkörpert Kristen Stewart eine historische Persönlichkeit, die zu ihren Lebzeiten im Fadenkreuz außenstehender Interessen stand. Während Seberg vom FBI überwacht wurde, ließen Diana weder die Königsfamilie noch Paparazzis unbeobachtet. Im Gegensatz zu Jean Seberg enthält Larraíns Film lediglich eine Szene, in der Diana von einer Menge ausschließlich männlicher Fotografen abgelichtet wird. Das reicht aus. Denn dass die Prinzessin von Wales unter der Aufdringlichkeit der Klatschpresse litt, ist bekannt und findet auch in der Abwesenheit einer visuellen Inszenierung immer wieder Eingang in diese filmische Fabel. Während eines Gesprächs mit Charles etwa bemerkt Diana, dass die Paparazzi es meist nur auf sie abgesehen hätten, während ihm kaum Interesse zuteil wird. Die Sexualisierung von Frauen für die Presse, die Kommentare über Outfits und die Mutterrolle – all das sind die schrecklich bedrückenden und belastenden Seiten einer patriarchal geprägten (Medien-)Welt, die Spencer kommentiert, indem der Film Eckpunkte aus dem realen Leben der Diana aufnimmt. Der Film macht seine Protagonistin greifbarer als alle anderen Figuren und punktet mit präzisen Dialogen. Als einer der beiden Söhne fragt, welchen Job Diana habe, antwortet sie, sie sei Mutter. Die Folgefrage, ob sie dafür bezahlt werde, wirkt nur außerhalb eines hegemonialen Gewohnheitsdenkens logisch. Sie funktioniert als Kommentar auf die Selbstverständlichkeit von weiblicher Care-Arbeit – auch wenn Diana selbst in einem völlig anderen Klassenkontext steht als die meisten Mütter, eröffnet der Film hierdurch eine weitere Reflexionsebene. ___STEADY_PAYWALL___
„I watch so others do not see“, sagt ein angestellter Major (Timothy Spall), der um seinen Auftrag bemüht ist, die Prinzessin vor den Augen der Fotografen zu bewahren. Nachdem Diana von der Familie vorgehalten wird, dass sie sich vor offenen Vorhängen umgezogen habe, lässt die Queen kurzerhand ihre Vorhänge zunähen. Szenen, die einen an Märchen mit unglücklichen Prinzessinnen erinnern und auch mal wundern lassen, dass solche Geschichten in Kinderstuben stets en vogue sind. Stewarts Diana wirkt bemitleidenswert und zugleich stark. Sie versucht sich gegen die Vorschriften aufzulehnen, ist ermüdet von den immer gleichen Ritualen, deren Grund nur die Wahrung ihrer althergebrachten Tradition selbst ist. Wäre es da nicht besser sie aufzulösen, zu boykottieren, nicht so bitter ernst zu nehmen? Indem Diana sich ihre Freiräume schafft – sie kommt zu spät, sie verweigert Treffen oder stiehlt sich davon – wird sie zu ihrer eigenen Agentin, die auch ihre Söhne zum Andersdenken motiviert. Sie verfällt deshalb nicht in eine reine Opferrolle, was dem Film auf den ersten Blick vorgeworfen werden könnte.
Inmitten der üppigen Tafeln und Organisation der Weihnachtstage um verschiedene Menüs, erbricht Diana immer wieder, wechselt ihre Roben und taucht zu spät zu den georderten Zeiten auf. Die Mengen an hors d’oeuvres, pastiches und Cremes stehen in einer Linie mit Dianas Bulimie und ihrem erdrückten Dasein. Eine symbolisch aufgeladene Kette sprengt Diana mehrmals in teilweise surrealen Szenen im Verlaufe des Films. Es sind die die Perlen, die Charles ihr und zugleich auch seiner Liebe Camilla zu Weihnachten schenkte und die so viel mehr als den Reichtum der Krone bedeuten. Als Diana Charles über den Esstisch hinweg beobachtet, fasst sie sich an die Perlen, ihr Atem wird schneller und die Streicher auf der Tonspur erzeugen eine beklemmende Atmosphäre, einen inneren Horror, den das umzäunte und bewachte Anwesen nur verstärkt. Das Essen, die ständigen Kleiderwechsel – für jeden Punkt der Tagesordnung gibt es eine Robe – das Anwesen und die Familie ergeben einen absurden, beklemmenden Mikrokosmos, in dem Diana nur einen weiteren aber essentiellen Teil des repräsentativen Inventars darstellt und aus dem sie entschieden ausbricht.
die Frauen an Dianas Seite
Diana ist auf sich allein gestellt. Ihr Mann Charles distanziert sich nicht nur emotional sondern auch physisch von ihr. Die Queen gleicht einer nicht wirklich fassbaren Erscheinung, der Rest der Familie fungiert als Beiwerk der Erzählung. Die einzige Vertraute an der Seite der Protagonistin ist ihre Ankleidedame Maggie (Sally Hawkins). Mit ihr spricht Diana wie zu einer Freundin, ihr kann sie ihr Herz öffnen, wenn im Übrigen nur die Etikette regiert. Die Beziehung zwischen diesen beiden Figuren sticht durch ihre Aufrichtigkeit hervor, die sonst nur zwischen Diana und ihren Söhnen vorhanden ist. Gegen Ende fügt Spencer der Verbindung eine weitere Facette hinzu, die überrascht, durch ihre unaufgeregten Dialoge erneut punktet und zudem ein bisschen Diversität in die heterosexuelle high-class Bubble einbringt.
In surrealen Szenen taucht auch die Märtyrerin Anne Boleyn auf, deren Biografie Diana in Sandringham liest. Die Königin von England wurde von ihrem Ehemann Heinrich VIII. wegen vorgeblichen Ehebruchs enthauptet 1536 – während er selbst andere Frauen hatte. Sie begegnet Diana in dem kalten Anwesen als gleichgesinnte Rebellin, als eine Art Hoffnungsanker, als Trägerin geteilten Leides und Schicksals, als Person, die ebenso in den Fesseln adeliger Traditionen festhing. Boleyns Geschichte fungiert in Spencer als Parallele zu Dianas Leben und verdeutlicht eine historische Kontinuität in der härteren öffentlichen Beurteilung von weiblichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Es ist Dianas role model aus dem 16. Jahrhundert, eine interessante Verknüpfung.
Historische Fragmente und Fiktionalität
Dass ein Film wie Spencer nicht auf seine historische Exaktheit ausgerichtet ist, macht allein schon seine Rahmung klar. Über Prinzessin Diana existieren zahlreiche Dokumentationen, Spielfilme, Serien, unzählige Pressefotografien und Videos und die Faszination über das Königshaus hält weiter an – was nicht zuletzt die Beliebtheit der Serie The Crown bewies. Auch wenn Filme bzw. Serien, die auf historischen Begebenheiten basieren, zugleich ihre Fiktionalität konstatieren, schaffen sie aber unweigerlich auch (erneut) Bilder und Meinungen über diese dargestellten Personen und Ereignisse. So mag auch Spencer einen Einfluss auf die Wahrnehmung der 1997 bei einem Autounfall verunglückten Diana Spencer üben. Die Erzählung jagt aber keine vermeintlichen Wahrheiten hinterher, bauscht Geheimnisse auf oder diminuiert die Prinzessin – er ist ein Experiment der emotionalen Annäherung an eine längst zur Legende gewordene Frau. Der rote Faden des Films ist Dianas Innenleben, der Rest Versatzstücke einer Version ihrer Persönlichkeit.
Autor Steven Knight hat für das Drehbuch Gespräche mit Weggefährten DIanas geführt, welche Aspekte von Spencer nun an eine Wahrheit herankommen und welche frei erfunden sind, lässt sich nicht sagen. Auch wenn wir wissen, dass wir es mit Fiktion zu tun haben, versuchen wir natürlich immer wieder Verbindungen zur realen Diana zu schaffen. Die Gespräche der Protagonistin mit unterschiedlichen Personen des Anwesens kehren stets einen neuen Aspekt ihrer Lebenseinstellung, ihrer Psyche oder Bilder ihrer Gefühle hervor. Manch eine Dialogzeile bringt die Inszenierung von Intimität und Öffentlichkeit, die Konstruktion von Tabu und Etikette gekonnt auf die Spitze. „I wish to masturbate“, sagt Diana trocken zu einer Angestellten, damit diese ihr Zimmer verlässt. Eine Aussage, die den Codes des Hauses sicherlich nicht entspricht, doch auch keine Einwände hervorrufen kann. Genauso wie auf Dianas wiederholte Frage „Wie sehe ich aus?“ nur positive und immer gleiche Antworten folgen. Diana ist unsere Brücke zur Welt einer steifen Familie, deren Prunk wir schaulustig und mit bitterem Beigeschmack beobachten.
Spencer schafft es in seinen zwei Stunden immer wieder zu berühren. Kristen Stewart kreiert ihre eigene Interpretation von Diana und tritt dabei fragil und stark zugleich auf. Nur ihr erster Auftritt irritiert, denn hier gibt sie sich gar unschuldig-naiv und lässt kurz fürchten, ihr Spiel setzte sich den ganzen Film über in dieser Manier fort. Doch nach dieser Szene im Kaffee und sobald eins sich auf die Fiktionalität der Darstellung, die nicht als Kopie einer Legende verstanden werden sollte, eingelassen hat, kann Stewart trotzdem überzeugen. Kamerafrau Claire Mathon nimmt ihr Gesicht oft stark in den Fokus, schafft miniaturhafte Aufnahmen des Anwesens aus der Vogelperspektive und Kamerafahren, die Michael Ballhaus staunen ließen.
Kinostart: 13. Januar 2022
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