FFHH 2019: Porträt einer jungen Frau in Flammen

Wer blickt wie auf wen? Diese Frage stellen wir uns nicht nur in der feministischen Filmanalyse, sondern natürlich auch in der Bildenden Kunst. Denn hier wie dort fällt auf: Frauen* sind als Modelle und Musen, selten aber als Künstlerinnen sichtbar. Der künstlerische Genius ist in der Regel männlich*, sein Objekt weiblich*. Mit Kamera oder Pinsel bannen Maler und Regisseure ihre Perspektive auf jenes weibliche* Leinwandobjekt und halten diese ihre Perspektive des heterosexuellen Begehrens als Kunstwerk fest. In einer patriarchalen und heteronorm strukturierten Gesellschaft entwickelt sich dieser Blick schließlich zur Definition von Kunst per se: Der Mann* blick auf die Frau*. Oder wie es Laura Mulvey für das Medium Film formuliert hat: Die Kamera hat einen „männlichen“ Blick.

Wenn die Malerin Marianne (Noémie Merlant) nun also zu Beginn des historisch Ende des 18. Jahrhunderts verorteten Films Porträt einer jungen Frau in Flammen ihre Kunststudentinnen dazu auffordert, ein Bild von ihr zu malen, dann bricht sie mit der männlichen* Blicktradition gleich mehrfach. In dieser Szene liegt das künstlerische Genie im Pinsel der Frauen* und es ist das Motiv selbst, dass die Macht über das Bild übernimmt, sein Einverständnis ausspricht und sich selbst inszeniert. Neben ihren Schülerinnen adressiert Marianne anschließend auch das Kinopublikum, wenn sie dazu einlädt, einer Episode aus ihrem Leben zu lauschen, die als Rückblende nun den Großteil des Films einnimmt. Auf diese Weise behält die Heldin des Films nicht nur die Macht über ihr Bild, sondern auch die über ihre Geschichte.

Portrait einer jungen Frau in Flammen

© Alamode Film

Anblicken und Angeblickt werden ist auch das Thema der Binnenhandlung: Marianne erhält den Auftrag, das Portrait der Tochter aus gutem Hause, Héloïse (Adèle Haenel), zu malen. Heimlich, denn das Modell ist unwillig, ist das Bild doch das Vorspiel jener arrangierten Hochzeit, die die junge Frau* lieber vermeiden würde. Das Portrait repräsentiert symbolisch wie auch tatsächlich die Aufgabe ihres Selbstbestimmungsrechts: So wie das Gemälde wird auch Héloïse in den Besitz ihres Ehemannes* übergehen. So wie das Konterfei im Rahmen eingesperrt ist, landet auch das Original in einer Art Gefängnis gesellschaftlicher Normen und Verpflichtungen.

Um ihrer Aufgabe nachzukommen, bleibt Marianne nichts anderes übrig, als ihr Modell bei den gemeinsamen Spaziergängen so eingehend zu beobachten, dass sie jedes Detail aus dem Gedächtnis auf die Leinwand bringen kann. Daraus ergeben sich derart intime Blicke, dass wir als Zuschauer_innen ebenso wie Héloïse das aufmerksame Auge der Künstlerin nicht mehr von erotischem Begehren unterscheiden können. Oder ist dieser Unterschied vielleicht von vornherein beliebig? Porträt einer jungen Frau in Flammen ist durch und durch ein Film über das Spannungsverhältnis zwischen blickendem Subjekt und angeblicktem Objekt, darüber wie wir einander sehen und erkennen, wie Blicke Beziehung und Machtverhältnisse etablieren, aber auch darüber, wie wir diese verändern oder gar auflösen können.

Doch all diesen Überlegungen zum Trotz hat Céline Sciamma keinen verkopften, sondern einen überaus sinnlichen Film geschaffen, der das wachsende Begehren und die leise aufblühende Liebe zwischen den beiden Frauen* in intimen Bildern zu transportieren weiß. Dabei generiert die Regisseurin große Kraft aus der Reduktion ihres Settings. Es sind vor allem die Kostüme, die die historische Epoche etablieren. Die Räume, in denen die Figuren agieren, sind hingegen weitgehend leer, so dass der Fokus ganz auf den Charakteren liegt. Kein Tand und Tüll lenkt von der (Blick)Beziehung der beiden Heldinnen und der sich steigernden erotischen Spannung ab.

Auch bei der Figurenaufstellung arbeitet Céline Sciamma sparsam. Neben Marianne und Héloïse treten nur noch zwei weitere für die Handlung relevante Figuren auf: Die Dame* des Hauses, also Mariannes Mutter (Valeria Golino), und das Dienstmädchen* Sophie (Luàna Bajrami). Die Handlung von Porträt einer jungen Frau in Flammen ist bewusst in einem weiblichen* Universum angesiedelt.

Doch obwohl in dieser Geschichte keine einzige benannte Männer*figur auftritt, ist das Patriarchat als gesellschaftliches Korsett stets spürbar – in der drohenden Hochzeit Héloïses ebenso wie auch in der männlichen* Perspektive ihres Portraits, dieser Auftragsarbeit, die der Logik eines männlichen Kunstbegriffs entspringt. Am Ende aber begreift Marianne genau das, nämlich dass die Regeln der männlich* geprägten und definierten „Kunst“ nicht ihre Regeln sein können. Es ist die Begegnung mit Héloïse, die ihrem Schaffen eine neue Richtung gibt. Kunst wird vom Werkzeug patriarchaler Machtstrukturen zu einem Werkzeug der Subversion, wenn Marianne beispielsweise die Szene einer Abtreibung zeichnet.

Portrait einer jungen Frau in Flammen

© Alamode Film

Céline Sciamma erzählt also neben ihrer Liebesgeschichte in Porträt einer jungen Frau in Flammen auch von der feministischen Aneignung der Kunst im Allgemeinen und des Bildes im Konkreten, von der Sichtbarmachung weiblicher* Lebensrealitäten und somit der Kunstproduktion als potentiell emanzipatorischem Akt. Und es ist dieser Subtext, der die in „malerischen“, aber niemals kitschigen Bildern gefilmte Liebesgeschichte mit einer Bedeutung auflädt, die über die politische Relevanz einer queeren Romanze weit hinausgeht. Somit hat Céline Sciamma einen sowohl wunderschönen, wie auch klugen, einen sinnlichen wie auch intellektuell stimulierenden, vor allem aber einen durch und durch feministischen Film geschaffen.

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)