Luststreifen 2019: Fabulous
Lasseindra Ninja macht sich für einen Auftritt zurecht. In intimen Nahaufnahme zeigt Fabulous falsche Fingernägel, glitzerndes Augenmakeup und Foundation, dazu Lasseindras Stimme. Sie ist eine Größe in der europäischen Vouging-Szene, in ihrer Heimat Französisch-Guyana kennt sie kaum jemand.
Vouging entstand als Tanzstil einer marginalisierten, schwarzen LGBT*-Community in den 1980er Jahren. Derzeit erfährt Vouging unter anderem durch die Netflix-Serie Pose ein Revival, die vor allem für die große Präsenz von Trans*Personen gefeiert wird.
Umso spannender ist es, dass die Regisseurin Audrey Jean-Baptiste sich mit der emanzipatorischen Praxis, die Vouging auch heute noch darstellt, auseinandersetzt. Mit ihrem Dokumentarfilm Fabulous erzählt sie die persönliche Geschichte von Lasseindra Ninja, sie thematisiert die Herausforderungen der LGBT*-Community in Fanzösisch-Guyana und gibt der guyanischen Vouging-Szene eine Plattform.
Aufhänger der Dokumentation sind Lasseindras Vouging-Klassen, für die sie nach Guyana zurückkehrt. Lasseindra ist eine Kunstfigur, sie ist femme, sie ist tough und sie hat Xavier – so ihr Geburtsname – neue Horizonte eröffnet. In der Auseinandersetzung mit seiner Homosexualität bricht Xavier mit seiner Familie und beginnt ein neues Leben. In Brooklyn entdeckt er die Ballrooms, sieht zum ersten Mal Drag und Trans*Personen und findet endlich Worte, mit denen er sich ausdrücken kann.
Diese Möglichkeit möchte Lasseindra den Schüler_innen der Vouging-Klassen vermitteln. Anders als in New York oder europäischen Großstädten gibt es keine Gayclubs. Zugang zu Partys der LGBT*-Community erhält nur, wer jemanden kennt, der wen kennt. In Einzelinterviews schildern drei der Schüler ihre persönlichen Geschichten. Sie alle berichten wie Xavier davon, mit ihrer Familie oder ihrer Kirchengemeinde gebrochen zu haben, weil diese sie nicht akzeptieren konnten. Einer schildert, wie sein Vater ihm bereits als Kind drohte, er würde ihn umbringen, wenn er sich jemals als schwul outen würde. Audrey Jean-Baptiste durchbricht diese Interviewsituationen immer wieder mit Aufnahmen der Männer* beim Tanzen. Während sie weiterhin im Voice Over von Ablehnung und Demütigung erzählen, zeigen diese Szenen die Protagonisten selbstbewusst und gelöst.
Es geht nicht nur um Tanz, wie Lasseindra zu Beginn ihrer Klasse erklärt. Der Ballroom ist eine eigene Gesellschaftsform. Einzelne Teilnehmer_innen schließen sich in “Häusern” zusammen, die bei Wettbewerben im Team gegeneinander antreten. Die “Häuser” bilden Ersatzfamilien mit “Müttern” und “Vätern”, die die Erfahrungen ihrer “Kinder” teilen, und schaffen einen safe space. Audrey Jean-Baptiste nähert sich dieser Kultur und dieser Community gemeinsam mit Lasseindras Schüler_innen an und bezieht so auch die Zuschauer_innen ein. Mit dieser gemeinsamen Erkundung und Annäherung unterstreicht die Regisseurin dramaturgisch das Gemeinschaftliche und Spielerische im Vouging.
Bei all der Leichtigkeit im Tanz bleiben die negativen Erfahrungen und die gesellschaftliche Diskriminierung von LGBT* präsent. Lasseindra ermutigt ihre Schüler_innen nicht nur zur Sichtbarkeit im Ballroom, sondern auch im politischen Kampf: „Rechte für Homosexuelle existieren nur wegen der Frauen, die das Thema auf die Straße trugen“. Nichtsdestotrotz vermittelt Audrey Jean-Baptiste den Spaß und den Stolz der Protagonist_innen, indem sie ihren Film mit einer großen Show der Schüler_innen beendet, im Zuge derer jede_r einen Platz im Rampenlicht erhält. Fabulous wird der Idee und der Geschichte von Vouging absolut gerecht und hinterlässt ein Gefühl von Empowerment.
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