Maria Lassnig – Das Filmische Werk

Als Malerin erlangte die in Österreich geborene Künstlerin Maria Lassnig weltweit Bekanntheit, weniger Aufmerksamkeit kam allerdings ihrem Filmschaffen zu. Das österreichische Filmmuseum widmet sich nun mit dem Band Maria Lassnig. Das filmische Werk (hg. von Eszter Kondor, Michael Loebenstein, Peter Pakesch, Hans Werner Poschauko; im Synema-Verlag) den zum Teil bisher unveröffentlichten Filmarbeiten einer der bedeutendsten Künstlerinnen unserer Zeit. Gespräche, Archivmaterial, Statements und die beiliegende DVD geben einen vielseitigen Einblick in Leben und Schaffen der Kärntnerin, darunter ihr Engagement in der feministischen Bewegung im New York der 1970er Jahre. Es ist eine Zeitreise, die zugleich zeigt, dass die am Tricktisch zum Leben erweckten Themen – Body Awareness, Begehren, gesellschaftliche Rollenbilder – mit Lassnigs Ansätzen im heutigen Diskurs genauso Aktualität bewahren.

© Maria Lassnig Stiftung

Nach ihrem Studium der Malerei in Wien und Aufenthalten in Paris zog Lassnig 1968 nach New York. Dort tauchte sie in die Avantgarde-Szene ein, besuchte einen Zeichentrickkurs und begann sich in der Frauenbewegung zu engagieren. Die männlich dominierten Anthology Film Archives verstanden sich als Zentrum des experimentellen Films, Lassnig wollte diese Einseitigkeit aufbrechen. Nicht zuletzt um die Sichtbarkeit von weiblichen Avantgarde Filmemacherinnen zu erhöhen, gründete Lassnig 1974 mit Carolee Schneemann, Nancy Kendall, Silvanna Goldsmith, Rosalind Schneider u.a. die Women/Artist/Filmmakers, Inc.. Als politisch zu betrachten sind nicht nur die in diesem Kontext entstandenen Inhalte, sondern auch das solidarische Netzwerk der Filmemacherinnen und Aktivistinnen. In dieser Anfangszeit schuf Lassnig Animationsfilme wie Selfportrait (1971) oder die Liebesgeschichten Couples (1970) und Encounters (1972). Die eigene Wahrnehmung aber auch die Problematik von Liebesbeziehungen reflektieren darin in menschlichen, fluiden Formen gestaltete Bewegtbilder. Lassnig, die sich in ihrer Malerei dem Körperbewusstsein und Blickweisen widmete, entdeckte mit dem für sich neu beanspruchten Medium Film eine erweiterte Ausdrucksform und Sprache. Von einem „Low-Tech und Low-Budget Ansatz“ mit selbstreferentiellen Charakter spricht die Filmwissenschaftlerin Gabriele Jutz: Lassnig versuchte die eigene Materialität und die Herstellungsprozesse in den Filmen selbst nicht zu verbergen. ___STEADY_PAYWALL___

© Bob Parent

Die letztgenannten Filme bilden Teil einer Sammlung „kanonischer Filme“, die seit ihrer Entstehungszeit mehrfach öffentlich zugänglich gewesen waren. Neu ans Licht brachte das Projekt, aus dem auch das Buch entstand, eine Reihe von bisher unveröffentlichten „Films in Progress“ (eine Auswahl ist auf der beiliegenden DVD enthalten) aus Lassnigs New Yorker Zeit. Beschreibungen in der Filmografie des Buches geben zudem einen Einblick in weitere zehn bis dato unveröffentlichte Filme. Als Lassnig 1980, um ihre Professur an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst anzutreten, zurück nach Wien zog, nahm sie diese Filme in einer Kiste mit, worin sie bis zu ihrem Tod blieben. Ihre ehemaligen Studierenden Mara Mattuschka und Hans Werner Poschauko sollten sie posthum veröffentlichten, so der Wunsch. Eben dieses Projekt, das mit der Maria Lassnig Stiftung durchgeführt wurde, und seine Filme stehen im Mittelpunkt der Publikation.

Gemeinsam mit Restaurator:innen widmeten sich die beiden Künstler:innen Mattuschka und Poschauko der Vollendung dieser zum Teil nur in sehr fragmentarischer Form vorhandenen Filme. Aus Gesprächen erfahren wir als Leser:innen des Buches, welche Fragen und Herausforderungen am Anfang dieses Projektes standen: Die Frage nach Werktreue und der eigenen künstlerischen Handschrift, sowie zeitgeschichtliche Dimensionen bilden nur einen Teil des komplexen Umgangs mit dem Nachlass. Zu Beginn jedenfalls musste das Team die analogen Filmrollen entwirren, diese von Kreppband befreien und sie digitalisieren, um im zweiten Schritt die Reihenfolge der Bilder wieder bzw. neu zusammenzustellen. Hinweise dazu lieferten auch Notizhefte, in denen Lassnig ihre Ideen skizzierte und die ebenfalls auf 70 Seiten  im Buch abgedruckt sind.

© Maria Lassnig Stiftung

Maria Lassnig liefert somit nicht nur einen Einblick in das filmische Schaffen der Künstlerin, sondern auch in das anspruchsvolle Projekt, ihre unfertigen Werke zu vollenden. Das Öffnen dieser unberührten Schatzkiste realisierte den „Traum aller Kunsthistoriker*innen“, wie Kuratorin Jocelyn Miller schreibt, denn sie ergänzten und erweiterten die Sichtweise auf das gesamte Werk Lassnigs.
Der weibliche Körper und das Bewusstsein der e
igenen physischen Gestalt spielten in ihrer Malerei und den Filmarbeiten eine große Rolle. Kein Realismus, sondern eine Art „gefühlte Realität“ darzustellen, strebte Lassnig stets an. In ihrem Filmwerk aus den 1970ern finden sich neben den Animationen (darunter Zeichnungen, Tricklegetechnik, Siebdrucke) auch dokumentarische Porträts von Frauen. In der Reihe Soul Sisters (1972 – 1976) kommen Bekannte der Filmemacherin zu Wort bzw. spricht sie selbst aus dem Off oder unterlegt Musik; Doppelbelichtungen und surreale Montagen liefern vielschichtige Sinneserlebnisse. Auch Aufnahmen aus New Yorker Stadtteilen bilden Inhalte kurzer Filme: z.B. Godfather I – III (1974): hierfür filmte sie Dreharbeiten zu Coppolas gleichnamigen Film; oder Broadway I – II  (frühe 1970er) worin Drag-Künstler:innen in Straßenperformances zu sehen sind.

Nachdem Lassnig 1980 nach Wien zurückgekehrt war, brach sie nach Außen hin mit dem Feminismus: Sie wollte in keine „Frauen-Schublade“ gesteckt werden, um sich mit Männern messen zu können, so ihr Ansatz. Konsequenterweise bezeichnete sie sich fortan auch als Künstler und nicht als Künstlerin. In Wien initiierte sie 1985 die Animationsfilmvereinigung  ASIFA Austria, die heute weiterhin besteht. Ihr gemeinsam mit Sielcki entwickelter Film  Maria Lassnigs Kantate (1992), in dem sie ihre eigene Lebensgeschichte collageartig singend erzählt, feierte 1993 auf der Berlinale Premiere. An ihrem Anti-Kriegsfilm arbeitete sie mehrere Jahrzehnte: darin erzählt sie die Geschichte von Krieg und Gewalt von der Antike bis zur Gegenwart – nur männliche Akteure kommen darin vor. Wie in der Kantate bilden Animation und real gespielte Szenen mit Musik ein satirisches Werk.

© Maria Lassnig Stiftung

Einen ebenso spannenden Beitrag stellen die im Buch enthaltenen „Reminiszenzen von internationalen Künstler*innen, Kurator*innen, Filmschaffenden“ dar, in denen Erzählungen von Wegbegleiter:innen den Lesenden die vielseitige Maria Lassnig näherbringen, darunter Ulrike Ottinger, Peter Tscherkassky und Rosalind Schneider. Letztere bemerkte 2020 rückblickend ins New York der 1970er: „Wir waren Pionierinnen. Wir zeigten Avantgardefilme von Frauen zu einer Zeit, als solche Arbeiten noch überhaupt nicht als Kunstform wahrgenommen wurden, und ebneten damit den Weg für die nächste Generation von Filmemacherinnen“. Lassnig und die Women/Artist/Filmmakers, Inc. lieferten mit ihrem Schaffen einen besonders wichtigen Beitrag zur feministischen Filmgeschichte und eine wunderbare Kombination von Geschichtsdokument und Zeitlosigkeit.

Die Publikation ist im März 2021 erschienen.
Im sixpack-Verleih sind die Filme online verfügbar. 

 

Bianca Jasmina Rauch
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