Berlinale 2019: Born in Evin
Die eigene Entstehungsgeschichte zu erforschen, bedeutet auch immer, sich selbst zu erforschen. Es ist ein Prozess der Identitätsfindung. Wir beginnen ihn meist als kleine Kinder mit Fragen danach, wo und wie sich unsere Eltern kennengelernt haben oder wie wir auf die Welt gekommen sind. Aber was passiert, wenn ausgerechnet diese Fragen zu den großen Tabus der Familie gehören?
Schauspielerin Maryam Zaree, die einige vielleicht als Gerichtsmedizinerin aus dem Berliner Tatort kennen, begibt sich in ihrem Debutfilm Born in Evin auf die schwierige Suche nach ihrer eigenen Vergangenheit. Geboren im titelgebenden Gefängnis im Iran, steht ihre Kindheit unter dem Schatten hochgradig traumatischer Erlebnisse. Maryam selbst erinnert sich an nichts, ihre Mutter verweigert jegliche Aussage. Auf der Suche nach Antworten beginnt die junge Frau* schließlich ihre Fragen an sich in Zweifel zu ziehen.
Born in Evin begleitet die Filmemacherin und Protagonistin größtenteils chronologisch bei ihrer Mission. Kleine Ausflüge in die Vergangenheit, beispielsweise durch alte Video- oder Tonaufnahmen, komplettieren die filmische Erzählung. Dabei steht Maryam Zaree mit all ihrer Verletzlichkeit stets im Fokus, es ist ihre Stimme, die im Voice Over die Bilder kommentiert und ergänzt. Dies ist ihre Geschichte und in gewisser Weise ist der Film selbst die Antwort auf alle ihre Fragen.
Doch irgendetwas stimmt nicht. Vielleicht ist es die fehlende Präsenz der Mutter, zu der Maryam nach eigener Aussage ein sehr herzliches Verhältnis hat, die aber dennoch größtenteils unsichtbar bleibt. Dies liegt nicht per se an deren Stille, vielmehr agiert sie auch mit ihrer Kritik des Filmprojekts stets ausschließlich im Hintergrund. Dabei geht es doch bei der Geschichte von Zarees Geburt gerade um die Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Und auch auf der Gegenwartsebene ist die Suche der Protagonistin nach ihrer „Ursprungsgeschichte“ auch die Suche nach einer neuen Ebene der Begegnung mit der Frau*, die sie geboren hat.
Zuweilen irritiert auch die Montage. Immer wieder sind da Bilder, die mit dem Erzählfluss brechen, deren Funktion nicht ersichtlich ist sind. So begleitet die Kamera Maryam Zaree beispielsweise bei der Erkundung einer verfallenen Waldhütte, ohne dass wir wüssten, wo sich diese Hütte befindet und in welchem Zusammenhang sie mit dem Thema des Films steht. Sie dient als hohle Kulisse der Voice Over Erzählung, jedoch ohne einen symbolischen Beitrag zu leisten und sich auf diesem Wege mit dem Kontext zu verbinden.
Insgesamt wirken handwerkliche und dramaturgische Ebenen des Films ein wenig unausgegoren. Insbesondere letztere ist wohl auch ein Zeugnis der non-linearen Suche der Regisseurin, die statt Antworten nur immer nur Fragen findet. So bleibt auch das Fazit des Films unklar: Wie es Maryam Zaree letztlich gelingt, sich mit den blinden Flecken ihrer Vergangenheit auszusöhnen und trotzdem Frieden mit sich und mit der Familie zu finden, kann ihr Dokumentarfilm nicht vermitteln.
Inhaltlich ist Born in Evin dennoch ebenso spannend wie berührend. Ohne die Einzelschicksale der Menschen vor der Kamera auszuschlachten, vermag der Film doch einen Eindruck davon zu vermitteln, was die interviewten Frauen* im iranischen Gefängnis erlebt haben. Manchmal verwirren die aufgeschlossene, ja fast fröhliche Mimik und Gestik, die Erzählungen von Folter und Misshandlung untermalen, und es ist gerade dieser Widerspruch, der zugleich beeindruckt wie auch schockiert. Born in Evin ist auch ein Film über das Überleben, darüber wie viel Stärke Menschen besitzen, um sich auch nach den schrecklichsten Erlebnissen wieder einen glücklichen Alltag aufzubauen. In diesem Kontext wird auch die Weigerung von Maryams Mutter, in die düstere Vergangenheit hinabzusteigen, zunehmend verständlich. Auch wenn manchmal Tränen fließen, sind diese stets zurückhaltend. Es niemals ein niederdrückendes Drama, das Maryam Zaree hier inszeniert, sondern immer nur ein Abbild emotionaler Berührung und Begegnung.
Im gesellschaftlichen Kontext und Zeitgeschehen betrachtet, ist Born in Evin zudem auch ein Film über Flucht. Es ist kein Zufall, dass Zaree recht zu Anfang im Rahmen eines Blicks in ihren Arbeitsalltag die deutsche TV-Landschaft für ihre Darstellung von Geflüchteten kritisiert. Born in Evin leistet sowohl einen Beitrag dazu, die Ursachen für Flucht nachzuvollziehen, wie auch einen Blick in die Zukunft zu werfen. Zarees Mutter, wie alle anderen, die in dem Film zu Wort kommen, spricht mehrere Sprachen fließend, ist beruflich außerordentlich erfolgreich und trägt – Überraschung – kein Kopftuch. Eindeutig und dabei zugleich subtil widerlegt Born in Evin Vorurteile gegenüber den Menschen, die auf Grund von Krieg und Verfolgung in Deutschland eine neue Heimat suchen. So traurig es auch ist, dass diese Bilder einen „Gegenbeweis“ gegen verbreitete Meinungsbilder darstellen, so bedeutsam ist dieser Film doch im aktuellen gesellschaftspolitischen Klima unseres Landes.
Screenings bei der Berlinale 2019
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