Irene von Alberti über Die geschützten Männer
Nach ihrem hybriden und diskursiven Film Der lange Sommer der Theorie erfreut uns Regisseurin Irene von Alberti jetzt mit einer Satire: Die geschützten Männer, basierend auf dem Roman von Robert Merle, erzählt das dystopische Szenario einer Viruspandemie, die ausschließlich Männer betrifft und somit den Weg für eine feministische Machtübernahme ebnet.
Was es mit diesem Stoff auf sich hat, warum Irene die satirische Form gewählt hat und wie sich ihr Film in das aktuelle politische und gesellschaftliche Klima in Deutschland einfügt, darüber habe ich mit ihr ein ausführliches Interview geführt. ___STEADY_PAYWALL___
„Ein Virus macht Genderunterschiede und droht das männliche Geschlecht auszulöschen.“
Sophie: Nach Der lange Sommer der Theorie, in dem Sexismus nur eines von mehreren politischen Themen war, ist Dein neuer Film nun klar ein feministischer. Wie kam es dazu, dass Du Dir ausgerechnet dieses (politische) Thema ausgesucht hast?
Irene: Mich interessieren in Filmen immer gesellschaftliche Versuchsanordnungen, aber in diesem Fall besonders Feminismus und Politik. Als ich jung war, dachte ich immer, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Sexismus mehr oder weniger aus unserem Alltag verschwindet. Wir wissen, dass es nicht so ist. Im Gegenteil, es gibt einen großen Backlash, der sogar an den Fundamenten des Feminismus rüttelt (wie z. B. in rechten Parteiprogrammen zu lesen ist). Es geschieht außerhalb unseres Umfelds, ist aber wirklich gefährlich.
Der Film basiert auf dem Roman von Robert Merle (den ich leider nicht kenne). Wie kam es dazu, dass Du diesen Roman als Vorlage gewählt hast? Und wie frei bzw. treu bist Du mit dieser Vorlage umgegangen?
Der gleichnamige Roman von Robert Merle ist aus den frühen 1970er Jahren. Auf Deutsch erschien er zuerst 1974 im Aufbau-Verlag und wurde ein großer Hit in der DDR. Ich finde die Grundidee wirklich genial: Ein Virus macht Genderunterschiede und droht das männliche Geschlecht auszulöschen. Das Patriarchat kracht in sich zusammen und die Frauen kommen an die „Macht“. Trotzdem bin ich komplett frei mit der Vorlage umgegangen. Vieles konnte man nicht so stehen lassen, z.B. rettet am Ende ein männlicher Virologe die ganze Welt, indem er die Männer vor dem Aussterben bewahrt. Den Job übernehmen bei mir Frauen. Auch ist inzwischen der Feminismus wesentlich weiter und differenzierter. Außerdem habe ich das Ganze von den USA nach Deutschland verlegt, was jetzt gut zur politischen Situation passt. Meine Vermutung ist, dass es mit mehr klugen Frauen an der Spitze vielleicht in den letzten drei Jahren besser gelaufen wäre.
Welche Rolle spielte das Erlebnis der Pandemie bei Deiner Entscheidung für diesen Stoff?
Die Entscheidung für den Stoff fiel schon vor der Pandemie. Ich hatte schon eine erste Drehbuchfassung, viele der Szenen spielten im Labor und hatten Informationen über Viren, Pandemie, Impfstoff und so weiter. Als wir alle nebenberufliche Virolog*innen wurden, konnte ich ganz viele Erklärungen streichen – was im Nachhinein gut war. Aber anfangs dachte ich: Oh je, das war’s, man kann keine Satire über eine Katastrophe machen.
„Es wird sicher z. B. Männer geben, die unangenehm berührt sind.“
Wie war der Prozess der Finanzierung? Wie haben die Filmförderungen auf dieses besondere Projekt reagiert?
Die Finanzierung war wirklich spannend. Bei den Entscheider*innen gab es entweder große Begeisterung oder totale Ablehnung. Dazwischen nichts. Manche haben die Tonalität des Drehbuchs nicht herauslesen können oder mochten das Genre Satire prinzipiell nicht. Ich glaube, der Ton wird jetzt gut verstanden, aber sicher wird es viel Diskussion geben.
Was für Diskussionen erwartest du da?
Es gibt ja immer ganz unterschiedliche Meinungen und Haltungen in politischen und gesellschaftlichen Fragen. Üblicherweise folgt man in Filmen der jeweiligen Haltung der Macher*innen. Ich habe aber versucht, schon von vornherein mehrere mögliche Perspektiven zuzulassen. Um eben den Diskurs offen zu halten (meine Haltung scheint aber trotzdem immer durch). Die Diskussionen können positiv und negativ dem Film gegenüber ausfallen. Es wird sicher z. B. Männer geben, die unangenehm berührt sind. Was es aber auch schon gab bei unseren Festivalvorstellungen, waren Diskussionen, die ganz weit weg vom Film geführt haben, die eher die Utopie am Ende weitergedacht haben.
Bei Der lange Sommer der Theorie war das Konzept, den Film wenn möglich mit einem anschließenden Gespräch zu zeigen, also in einem diskursiven Setting. Ist das jetzt auch wieder geplant?
Ja! Wenn der Film sich noch bis in den Januar in Kinos in Berlin hält – was ich sehr hoffe – planen wir 6-8 Vorführungen mit verschiedenen Gästen und Diskussionen in der ersten Januarhälfte.
„wichtig ist mir bei allen Filmen, dass sie noch nachwirken“
Welches Publikum hattest bzw. hast Du für diesen Film im Kopf? Wen adressierst Du und warum?
Zuerst dachte ich an ein älteres, weibliches Publikum, aber die bisherigen Vorführungen haben gezeigt, dass sich doch auch sehr junge Menschen dafür interessieren – weiblich, männlich, non-binär. Sie bringen eine Lust am Diskurs mit, die ich super finde. Es gibt auch viele männliche Feministen, die den Film anschauen. Ich möchte ein möglichst breites Publikum adressieren, in der Hoffnung, dass sie nach dem Film noch stundenlang diskutieren.
Dein Film hat einen ganz besonderen Humor, den einige Zuschauer*innen vermutlich als sperrig empfinden. Inwiefern kann und soll Dein Film unterhalten? Und weshalb die wenig gefällige Form?
Vielleicht ist es bei manchen Szenen so, dass uns das Lachen im Hals stecken bleibt, wenn zum Beispiel Szenen geschlechtsspezifische Gewalt mit umgekehrten Rollen nachspielen. Das ist erst mal lustig, da wird im Kino gelacht, aber natürlich ist es empörend. Auch ist die Erzählung nicht so geradlinig wie bei Mainstream Filmen. Ich habe viele Twists eingebaut, man ist immer aufgefordert mitzudenken. Das kann sperrig wirken und anstrengend sein, aber wichtig ist mir bei allen Filmen, dass sie noch nachwirken, dass sie nicht zu Ende sind, wenn der Abspann läuft. Und ich hoffe, dass das Publikum mit einer guten Energie aus dem Kino kommt.
Gut, dass Du die Szenen über sexualisierte bzw. geschlechtsspezifische Gewalt ansprichst. Die sind bei mir auch hängen geblieben. Wie bist Du da rangegangen?
Diese Szenen habe ich viel mit meinen Spieler*innen besprochen. Wir alle waren uns ziemlich sicher, dass die Szenen mit den umgedrehten Rollen genauso unangenehm und empörend sind wie mit den „richtigen“ Rollen. Das Lachen ist kurz und beinhaltet vielleicht auch ein Fünkchen freudiger Rachegefühle, aber dann kommt mehr oder weniger schnell die Erkenntnis, wie unfair es eben auch andersherum wäre.
“Es geht viel zu viel Energie bei Grabenkämpfen verloren.”
Du zeigst in Deinem Film Grabenkämpfe innerhalb der feministischen Bewegung und auch, wie die feministische Bewegung korrumpiert werden kann. Wie siehst Du aktuelle feministische Diskurse und Bewegungen?
Was ich am aktuellen Feminismus wirklich schätze, ist, wie inklusiv er mittlerweile ist. Früher war es eher ein Thema für weiße Frauen aus der nördlichen Hemisphäre, jetzt umfasst er viel mehr. Viele von den theoretischen Diskursen sind ja auch schon in der Umsetzung begriffen oder umgesetzt. Trotzdem bin ich aber der Meinung, dass in Verbindung mit Macht sich auch schnell Dogmen entwickeln können.
Obwohl du von inklusivem Feminismus sprichst, sind Deine Hauptfiguren recht homogen – weiß und cis. Wie kommt das? Ist das als Seitenhieb auf den „white feminism“ zu verstehen?
„White feminism“ ist ja immer noch hauptsächliche Realität, und so kann man es im gezeigten diversen oder queeren Umfeld durchaus als Seitenhieb empfinden. Ein anderer Grund für diese Konstellation ist dem Genre geschuldet. Eine Satire ist per se immer ein wenig plakativ. Es hätte nicht gepasst, den ganzen Reichtum an Diversität mit feinen Schattierungen zu zeichnen. Satire (oder auch Komödie) haut mehr auf die Pauke. Deshalb habe ich den Spagat gewagt, einerseits ein moderneres Bild zu zeigen, andererseits auch wieder in leicht verständliche „Schubladen“ zu fallen.
Mir hat an Deinem Film besonders gefallen, dass er nicht nur kritisiert, sondern auch eine Utopie aufmacht. Mal ganz persönlich gefragt: Glaubst Du, dass wir Sexismus und Misogynie tatsächlich überwinden können? Was können wir als Einzelne tun, damit „am Ende alles gut“ wird?
Im Film basiert die Utopie zunächst einmal auf einer komplett zusammengebrochenen Wirtschaft in einem isolierten Land. Also der Kapitalismus verschwindet und macht Platz für eine ganz neue Ökonomie. Darauf können wir wahrscheinlich lange warten, aber wir könnten jetzt schon vieles besser machen. Es geht damit los, auf jegliche Formen von Rechthaberei zu verzichten und andere Meinungen in Diskursen zuzulassen. Großzügigkeit und Verständnis können dabei sehr helfen. Wieder mehr über Utopien nachzudenken und zu reden ist ebenfalls ein Weg, auf neue Ideen zu kommen. Es geht viel zu viel Energie bei Grabenkämpfen verloren. Überhaupt mal mehr miteinander sprechen, wäre ein Anfang. Die Frage ist nur, wo die Gelegenheit dazu ist. Vielleicht im Kino?
Die geschützten Männer startet am 12. Dezember 2024 im Kino.
- Irene von Alberti über Die geschützten Männer - 11. Dezember 2024
- Interview: Elizabeth Sankey über Witches - 25. November 2024
- FFHH 2024: Blindgänger - 2. Oktober 2024