Die Fotografin

Model, surrealistische Künstlerin, Kriegsreporterin – die amerikanische Fotografin Lee Miller (1907-1977) lebte, wie der Titel einer Biografie es ausdrückt, viele Leben. Einem davon widmet Kamerafrau Ellen Kuras ihr Spielfilm-Regiedebüt Die Fotografin, basierend auf der Biografie Immer lieber woanders: Die Leben der Lee Miller von Millers Sohn Antony Penrose. Das Herzensprojekt von Hauptdarstellerin und Co-Produzentin Kate Winslet, die sich über Jahre hinweg intensiv in das Leben und Werk der Fotografin einarbeitete, konzentriert sich auf Millers Zeit als Kriegsberichterstatterin im Zweiten Weltkrieg. So zeichnet das Biopic das eindrucksvolle Bild einer Frau, die sexistischen Rollenbildern trotzt und ihr Leben riskiert, um ihre Stimme zu nutzen und über die Schrecken des Krieges und die Verbrechen des Nazi-Regimes zu informieren. 

Die Fotografin: Lee Miller (Kate Winslet) und David Scherman (Andy Samberg)

©Sky UK Ltd / Kimberley French

___STEADY_PAYWALL___

Der Einstieg in den Film verläuft etwas holprig und eher schleppend. Nach einer kurzen, zusammenhanglosen Vorblende auf Millers Arbeit im Zweiten Weltkrieg lernen wir sie zunächst als Mitglied einer Künstler*innengruppe im Frankreich der späten 30er-Jahre kennen. Ihr surrealistisches künstlerisches Frühwerk spielt dabei leider nahezu keine Rolle. Stattdessen fasst die Gruppe Millers bisherige Karriere mit Bezug auf ihre Zeit als Model scherzhaft als „Titten und Arsch“ zusammen. Lediglich Roland Penrose (Alexander Skarsgård), Millers zukünftiger Ehemann, der für eine später eher unwichtige Figur eine erstaunlich lange Einführung erhält, komplimentiert kurz ihre „richtige Arbeit“. 

Zum Glück bleibt es jedoch nicht bei der Charakterisierung Millers über ihr Aussehen oder ihre Beziehung zu Männern. Die Einführung der Figur in dem scheinbar unbeschwerten Setting stellt sich als wichtiger Kontrast heraus, sowohl zu der Darstellung ihrer späteren Arbeit als Kriegsfotografin, die den Großteil des restlichen Films einnimmt, als auch zu der Rahmenhandlung in den 70ern, in der eine zynische, ältere Miller ihrem Sohn Antony Penrose (Josh O’Connor) ihre Geschichte erzählt. So zeigt der Film neben Millers Arbeit auch eindrücklich die Folgen eines Kriegstraumas, die sich in ihrer scheinbar unterkühlten Beziehung zu Antony auch in die nächste Generation übertragen. 

Kate Winslet als Lee Miller in Die Fotografin.

©Sky UK Ltd / Kimberley French

Über den Zweiten Weltkrieg existieren bereits zahlreiche Filme. Die Fotografin hebt sich hier sowohl durch den Fokus auf Kriegsjournalismus und dessen politische Bedeutung als auch durch seine explizit weibliche Perspektive ab. Während sie Millers Früh- und Spätwerk im Film kaum Aufmerksamkeit widmet, legt Kuras einen starken visuellen Fokus auf Millers Kriegsfotografien. Sie begleitet ihre Protagonistin an verschiedene Schauplätze und zeigt dabei speziell, wie die Fotografin ihre Motive auswählt und die Fotos vorbereitet. Diesen Entstehungsprozess stellt sie in der Rahmenhandlung den fertigen Fotos gegenüber, welche, wie der Abspann zeigt, auf realen Arbeiten Millers basieren. Zusätzlich thematisiert Die Fotografin auch Zensur (z. B. der Bilder aus den Konzentrationslagern, durch die die britische Bevölkerung „nicht verstört werden sollte“) und Millers Schwierigkeiten, ihre zutiefst traumatischen Erlebnisse unter diesen Umständen zu verarbeiten. Weiteres Potential hätte es in Millers Verbindung zur Fotografie als künstlerisches und journalistisches Medium gegeben, beispielsweise den Fragen, wie sie zur Fotografie kam und warum sie das Medium schätzt. Diese spielen im Film aufgrund des politischen und zeitlich engen Fokus jedoch leider keine Rolle. 

Über Miller als Protagonistin bemüht sich Die Fotografin zudem sichtlich um eine speziell weibliche Perspektive, die in Kriegsfilmen häufig zu kurz kommt. Nicht nur muss Miller sich stets mehr bemühen als ihre männlichen Kollegen, um ihren Beruf ausüben zu dürfen; sie zeigt auch in ihrer Arbeit ein Interesse an den Frauen, denen sie während des Krieges begegnet. Diese haben teilweise, wie Miller selbst, mit mangelnder Wertschätzung und Einschränkungen in der Ausübung ihres Berufes zu kämpfen. Auch misogyne und sexuelle Gewalt, für die Miller eine besondere Sensibilität zeigt, beleuchtet der Film in verschiedenen Facetten, sowohl als Aspekt des Krieges als auch als gesamtgesellschaftliches Problem.

Die Fotografin: Lee Miller dokumentiert fotografisch, wie einer vermeintlichen französischen Nazi-Kollaborateurin als öffentliche Demütigung die Haare geschnitten werden.

©Sky UK Ltd / Kimberley French

Schauspielerisch trägt Hauptdarstellerin Kate Winslet den Film zum Großteil allein und beweist einmal mehr ihre Leidenschaft für das Projekt. Sowohl ihre Bewunderung für Millers Arbeit und persönliche Stärke als auch ihre Sensibilität für die verletzliche Seite und Traumata ihrer Figur zeichnen sich in ihrem facettenreichen Schauspiel ab und erwecken so die Protagonistin zum Leben. Eine schöne Anekdote von einer Berliner Preview mit Gast Antony Penrose: Auf die Frage nach seiner Meinung zu Winslets Darstellung erwiderte Penrose, als er sie das erste Mal in der Rolle der Lee Miller gesehen habe, sei es gewesen, als sehe er seine Mutter wieder vor sich stehen. 

Neben Winslet beeindrucken auch Marion Cotillard in der kleinen, aber emotionalen Rolle der Solange D‘Ayen (eine französische Journalistin und Freundin Millers) sowie Andrea Riseborough als Millers Verlegerin Audrey Withers. Die Männer an Winslets Seite dagegen bleiben eher blass, auch weil das Drehbuch ihnen wenig Spielraum für außergewöhnliche schauspielerische Leistungen bietet. Im Falle David Schermans (Andy Samberg) – ein Journalistenkollege Millers, der sie während großer Teile ihrer Kriegsberichterstattung begleitete – zeigt sich eine verpasste Chance: Die Frage, wie seine jüdische Identität möglicherweise seine Arbeit und emotionalen Reaktionen darauf beeinflusste (z. B. bei der Befreiung eines Konzentrationslagers, die er und Miller dokumentierten), hätte eine interessante Parallele zu dem Einfluss sein können, den Millers Erfahrungen als Frau auf ihre Arbeit hatten. Diesen Aspekt erwähnt Scherman im Film jedoch nur am Rande. Stattdessen widmet Die Fotografin seinen möglichen unerwiderten romantischen Gefühlen für Miller mehr Aufmerksamkeit, was teils wie ein unbeholfener Versuch wirkt, Lacher in einen sonst eher ernsten Film einzubauen. 

Die Fotografin: Lee Miller (Kate Winslet) und David Scherman (Andy Samberg)

©Sky UK Ltd / Kimberley French

Ein fehlender Fokus auf eine männliche Figur lässt sich einem Biopic über eine Frau jedoch kaum vorwerfen. Im Gegenteil: Trotz kleinerer erzählerischer Schwächen ist Die Fotografin ein gelungenes Beispiel für einen Film, der sich primär für das künstlerische und politische Werk seiner Protagonistin interessiert. Im Rahmen des gewählten Fokus auf Millers Kriegsfotografien beleuchtet er deren Entstehung und Bedeutung, ohne diese in den Schatten von Millers Privatleben und ihrer Beziehung zu Männern zu stellen, wie einige andere Biopics es leider mit dem Werk berühmter Frauen tun (s. z. B. Marie Curie, Astrid, Emily). Diese inhaltliche und auch speziell visuelle Würdigung von Millers Werk, ebenso wie Winslets überzeugende Darstellung, machen Die Fotografin zu einem sehenswerten Biopic über genau das, was der deutsche Titel verspricht: Lee Miller, die Fotografin.

Die Fotografin ist seit heute als Video on Demand erhältlich und erscheint am 16. Januar 2025 auf DVD und Blu-ray. 

Charlie Hain
Letzte Artikel von Charlie Hain (Alle anzeigen)