Berlinale 2020: The Assistant

Mit ihrem ersten Spielfilm schlägt Kitty Green nach drei dokumentarischen Werken nur scheinbar neue Wege ein, denn The Assistant ist nicht mehr oder weniger fiktional als beispielsweise Casting JonBenet, sondern wählt lediglich eine andere Herangehensweise, schaut nicht auf den realen Einzelfall, sondern die paradigmatische Fiktion und erzählt dabei eine nicht minder wahre, sondern am Ende vielleicht sogar wahrhaftigere Geschichte.

Jane hat gerade das College abgeschlossen, arbeitet nun als Assistentin einer New Yorker Produktionsfirma und sitzt mit zwei männlichen Kollegen im Vorzimmer eines großen Medienbosses vom Format Harvey Weinsteins. Sie ist die erste, die morgens im Büro die Lichter anknipst und die letzte, die sie abends wieder ausmacht. Zwischendurch kümmert sich Jane um einfach alles – Anrufe, Kopien, Gästebetreuung sowie die wütende Ehefrau des Chefs. Dieser wiederum glänzt sowohl im Büro als auch im gesamten Film durch Abwesenheit und tritt vor allem als wütende Stimme am Telefon in Erscheinung, wenn er Jane mal wieder verbal erniedrigt, was diese mit derselben stoischen Ruhe erträgt wie alle anderen Gängeleien und Ungerechtigkeiten ihres Büroalltags.

Jane an ihrem Schreibtisch, in der Hand hält sie den Telefonhörer.

© Forensic Films

Dieselbe stoische Ruhe legt auch Kitty Green mit ihrer Inszenierung an den Tag. Es sind oft statische Kameraeinstellungen und betont langsame Fahrten, mit denen sie Janes Arbeitstag einfängt. Dabei gibt die Regisseurin und Drehbuchautorin insbesondere zu Beginn ihres Films den repetitiven Hilfstätigkeiten ausreichend Raum, um einerseits das Tempo der Erzählung zu drosseln und zugleich eine Eintönigkeit zu erzeugen, die sich auf der Bildebene in den blassen Farben von Ausstattung und Kostüm widerspiegelt. Obwohl die Menschen in diesem Film augenscheinlich sehr beschäftigt sind, wirken sie im übertragenen Sinne tatenlos. Über allem schwebt eine spürbar trügerische Ereignislosigkeit.

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Dass die Arbeitslast und fehlende Anerkennung an Jane als letztes Glied der Hackordnung nicht spurlos vorübergehen, lässt Hauptdarstellerin Julia Garner mit ihrem differenzierten Schauspiel nur sehr subtil durchblicken. Kurz reibt sie sich die Schläfen, legt dann aber sofort wieder die Maske der Demut an und widmet sich der nächsten Aufgabe. Jane behält selbst dann die Ruhe, als sie eindeutige Hinweise auf den Machtmissbrauch durch ihren Chef registriert. Und auch dann wenn ihre Versuche, diesen innerhalb des Unternehmens anzuzeigen, kläglich scheitern.

Jane mit angespanntem Gesichtsausdruck. Sie greift sich an die Schläfen.

© Forensic Films

Es ist spätestens dieser Moment, als ihr der für derlei Beschwerden zuständige Mitarbeiter tröstend „Mach Dir keine Sorgen, Du bist nicht sein Typ!“ hinterherruft, an dem Inhalt und Form von The Assistant auf schmerzliche Weise miteinander kollidieren. Schon zuvor irritiert der Widerspruch aus ruhiger Inszenierung und stressigem Büroalltag, doch je mehr sich die Themen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch als Fokus des Films herauskristallisieren, desto unangenehmer gestaltet sich die nicht aus der Ruhe zu bringende Inszenierung. Damit ergeht es uns ebenso wie der Hauptfigur, die fassungslos ist in Anbetracht der flächendeckenden Ignoranz oder auch Akzeptanz des offensichtlichen Verbrechens, der trügerischen Ruhe und Gleichgültigkeit, mit der ihre Ansprechpartner:innen das Thema vom Tisch wischen.

In der Reduktion der Filmhandlung auf einen einzigen Tag im Leben einer nicht von sexualisierter Gewalt betroffenen Angestellten, wählt Kitty Green die geeignete Herangehensweise für ein ebenso komplexes wie auch sensibles Thema. Indem sie weder den Produzenten noch die Gewalt jemals bildlich abbildet, kann sich Green ganz auf jene Machtstrukturen konzentrieren, um die es beim Thema #MeToo eigentlich geht und die ein viel größeres Netz bilden als nur die Vorgänge auf der zu zweifelhaftem Ruhm gelangten „Besetzungscouch“. The Assistant bietet keine voyeuristische Ablenkung vom Kern der Geschichte und auch keine emotionale Katharsis. Stattdessen zeigt Kitty Green mit unerbittlicher Direktheit, wie mehrheitlich, aber nicht ausschließlich, männliche Mitwisser:innen ein System der patriarchalen Macht und Gewalt aufrecht erhalten. Als Kinopublikum müssen wir die Gewissheit um die Wahrhaftigkeit dieser Darstellung ebenso aushalten wie die Tatsache, dass diese Geschichte kein Happy Ending hat oder haben darf. Das macht The Assistant zu einem durch und durch unbequemen Film. Und das aus genau den richtigen Gründen.

Dass uns die Regisseurin ebenso wenig einen Lösungsweg anbietet wie ihrer Hauptfigur und damit weder ein Empowerment Janes noch einen Ausweg aus den dargestellten Strukturen in Aussicht stellt, ist vielleicht der einzige Kritikpunkt an diesem durch und durch gelungenen filmischen Beitrag zum #MeToo Diskurs.

Sophie Charlotte Rieger
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