Womit haben wir das verdient?

von Sophie Charlotte Rieger

Ich hätte das Presseheft nicht lesen sollen. Und eigentlich mache ich das auch nicht. Ich vermeide Pressehefte, weil sie dazu da sind, mir einen Film zu verkaufen, und nicht, mich objektiv zu informieren. Um mir eine möglichst unvoreingenommene Position zu erhalten, verzichte ich also auf die Lektüre. Grundsätzlich vor dem Film, meist auch danach. Es sei denn, ich sehe einen Film wie Womit haben wir das verdient?, der mich so verunsichert, dass ich noch einmal nachschauen muss, was sich die Künstlerin dabei gedacht hat.

Ich hätte das Presseheft nicht lesen sollen. Und deshalb versuche ich erst einmal so über den Film zu schreiben, als hätte ich es tatsächlich nicht getan:

Wanda (Caroline Peters) lebt mit drei pubertierenden Kindern in einer Patchworkonstellation. Sie erzieht ihre zwei Töchter und den Sohn weltoffen und feministisch. „Behindert“ ist kein Schimpfwort, betont sie gerne. Aber Religion wird dann doch ziemlich kategorisch abgelehnt, statt differenziert diskutiert. Wer an Gott glaubt, kann nur verrückt sein. Und wer sich einer Glaubensgemeinschaft anschließt erst recht.

Dementsprechend ist es quasi Wandas persönliches Worst Case Szenario als ihre 16 jährige Tochter Nina (Chantal Zitzenbacher) mit Hijab verkündet, fortan Fatima zu heißen und zum Islam konvertiert zu sein. Mit Drogensucht kann die wohlmeinende Wanda ja umgehen, aber mit Verschleierung? Wo kommen wir denn da hin? Und so entspinnt sich ein bunter Reigen aus Mutter-Tochter-Konfrontationen, familiären Eskalationen, einer schrittweisen Annäherung an den Islam und wie es sich für eine Familienkomödie gehört schließlich einem Happy End.

© Neue Visionen

Und in diesem Verlauf hätte so viel Großartiges passieren können, hätten so viele Vorurteile widerlegt, so viele Anstöße zum Nachdenken formuliert werden können. Und an manchen Stellen mag Womit haben wir das verdient? vielleicht die Tür tatsächlich einen Minispalt aufstoßen, einen kleinen Zugang zu einer der Regisseurin Eva Spreitzhofer ganz offensichtlich völlig fremden Welt erlauben. Doch dann knallt sie auch schon wieder zu.

Ein islamfeindlicher Feminismus ist kein Feminismus

Womit haben wir das verdient? ist im Grunde das perfekte Beispiel für einen Feminismus, der für intersektionale Bereiche schlicht blind ist. Ok, „behindert“ ist kein Schimpfwort, aber Menschen mit Behinderungen kommen hier trotzdem nicht vor. Und queere Menschen ebenfalls nicht, bis auf einen einzigen schwulen Moslem, der – aus dem Lehrbuch für Stereotypen –natürlich auf Musicals steht. Es tut fast weh, sich die entsprechende Szene anzusehen. Von diesem armen Tropf abgesehen, der in seiner konservativen islamischen Gemeinde keine Akzeptanz erfährt, sind alle Menschen in Womit haben wir das verdient? fein cis-geschlechtlich und heterosexuell. Feministisch kann ich das nicht finden.

Aber viel problematischer ist der Umgang mit dem Islam und vor allem mit dem Thema Verschleierung. Allein dass diese Begriffe hier quasi deckungsgleich sind, dass Islam immer als Gegensatz zu Feminismus begriffen wird, ist hoch problematisch. Nina, die fortan Fatima genannt werden will, entscheidet sich natürlich gleich für eine extrem strenge Form islamischen Lebens, die zu keinem Zeitpunkt nachvollziehbar wirkt, sondern immer wie ein Ausdruck trotziger Teenager-Rebellion – als sei der alterstypische Kampf gegen die eigenen Eltern der einzige Grund für eine junge Frau*, zum Islam zu konvertieren.

Bei der äußerst kritischen Betrachtung von Fatimas neuem Leben, steht die Unterdrückung der Frau* an oberster Stelle. Eva Spreitzhofer, das ist spürbar, liegt die Emanzipation sehr am Herzen und sie ist bereit, sie mit allen Mitteln zu verteidigen. Im Zweifelsfalle auch mit rassistischen Verallgemeinerungen. Womit haben wir das verdient?

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Denn was hier passiert, ist zum Teil beschämend. Der Blick auf die islamische Gemeinschaft bleibt stets ein skeptischer und die progressive Hanife (Alev Irmak) bildet die einzige (!) Ausnahme unter den sonst homogen erzkonservativen Gläubigen. Da hilft es auch nicht, dass Hanife einmal kurz beiläufig erwähnen darf, dass die Mehrheit der Musliminnen auf der Welt gar kein Kopftuch trage, denn die Welt von Eva Spreitzhöfer und damit auch die Welt, die sie uns in ihrem Film verkauft, sieht vollkommen anders aus. Da besteht der Islam größtenteils aus frauen*verachtenden Machos und ihren treu ergebenen, oder sollte ich sagen „unterwürfigen“, Angetrauten.

Am unangenehmsten aber ist die Hartnäckigkeit, mit der sich Spreitzhöfer im Kopftuch verbeißt und damit auch am nicht-muslimischen zeitgenössischen Feminismusdiskurs um Meilen vorbei schießt. Selbst Hanife hält das Kopftuch für antifeministisch. Sie ist eben eine von den Guten.

Immerhin gibt Fatima zu bedenken, ihre Mutter hätte doch einst selbst für die Macht der Frau* über den eigenen Körper gekämpft. Auch die Argumentation der Schülerin für ihren Burkini überzeugt: Wieso sollte frau* denn nur am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen, wenn sie sich so gut wie nackt macht? Gibt es dafür irgendeinen nachvollziehbaren Grund? (Antwort: Nein!) Doch das bleiben nur Randbemerkungen und am Ende legt Fatima, wenn schon nicht das Kopftuch, so doch ihre weiten und bodenlangen Kleider zu Gunsten eines „westlichen“ Outfits ab.

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Und jetzt zurück zum Presseheft, in dem sich diese merkwürdig gestrig wirkende Haltung des Films dann mit folgendem Statement der Regisseurin erklärt: „Ich wehre mich gegen das Argument, dass wir die Frage des Kopftuchs den Muslimen überlassen sollen. (…) Wenn Frauen und Mädchen wie verhüllte Gespenster über die Straßen schleichen, während ihre Männer und Söhne in kurzen Hosen daneben herum spazieren, dann geht es nicht um freieKleiderwahl. Es gibt bestimmte Dinge, wo eine offene Gesellschaft klar dafür eintreten muss, wofür sie steht.“

Es tröstet mich nicht, dass Spreitzhöfer wenig später davon spricht, dass die Rechten dieses Thema ja für ihre Hetze missbrauchten, denn ihr Film spielt deren Argumenten leider in die Hände: Alle Muslime sind ausnahmslos frauen*verachtend, es sei denn sie sind schwul. Und für nicht-rechtsextree Zuschauer*innen gibt’s dann folgende islamfeindliche Botschaft: Als Wanda eine Beratungsstelle für „Islamisierung“ aufsucht, befindet sich diese direkt neben jener für Rechtsradikalismus – als das eine mit dem anderen auch nur ansatzweise vergleichbar! Nur ganz kurz für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Rechtsradikalismus ist keine Religion. Das würde vermutlich sogar die betreffenden Menschen bestätigen.

Zaghaftes Lob – Es ist nicht alles schlecht

Zum Ende möchte ich aber noch ein paar positive Worte verlieren, die hier in meinem Ärger viel zu kurz kommen. Großartig ist beispielsweise die Tatsache, dass Ninas Entscheidung für den Islam in keinerlei Verbindung zu einem Jungen* steht und dass Spreitzhöfer ihre Entwicklungsgeschichte ohne eine Romanze erzählt, sowie auch Wandas Lebensgefährte Tony (Marcel Mohab) und Ex-Mann Harald (Simon Schwarz) nur am Rande auftauchen. So bleibt Womit haben wir das verdient? in erster Linie eine Mutter-Tochter-Geschichte mit interessanten Frauen*figuren. Nahezu gefeiert habe ich zudem den kleinen, aber feinen Seitenhieb darauf, dass Rassismus stets verurteilt, Sexismus aber in der Regel als Normalität abgenickt wird. Und schön ist auch, dass die Scheinheiligkeit, mit der Wanda politische Korrektheit vorgibt und gleichzeitig religiöse Menschen diskriminiert, als solche schließlich vorgeführt wird und Kritik erfährt. Und dass am Ende eine Annäherung der Positionen stattfinden kann: Im glücklichen Ausgang der Ereignisse ist doch noch Raum für Feminismus im Islam.

Aber hier wird es dann leider schon wieder desaströs: Nina alias Fatima erfindet quasi den islamischen Feminismus. Was für eine grenzenlos arrogante Aneignung längst etablierter Diskurse… Als bräuchte es die deutschstämmige Konvertitin, um dem Islam eine Portion Feminismus zu verpassen!!

Womit haben wir das verdient?

Kinostart: 24. Januar 2018

Sophie Charlotte Rieger
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