Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war

Wegen seiner Lernschwäche wird Joachim (Camille Moltzen/Arsseni Bultmann/Merlin Rose), genannt Josse, von seinem älteren Bruder als „Wasserkopf“ bezeichnet. Und überhaupt ist das Leben zuweilen ganz schön herausfordernd. Vater Richard leitet eine psychiatrische Klinik, auf deren Grundstück die Familie lebt und deren Patient:innen bei ihr ein- und ausgehen, ja sogar die Geburtstagsgesellschaft für Papas 40. bilden. Weil: Sind denn die Menschen außerhalb der Klinik wirklich weniger verrückt?

In einer Küche. Josse als junger Mann, stehend, mit ernstem Blick. Am Bildrand sind weitere Personen zu erkennen, die offenbar sitzen: Patient:innen aus der psychiatrischen Klinik.

© Komplizen Film GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Frédéric Batier

Wann wird es wieder so, wie es nie war formuliert auf verschiedenen Ebenen die große Frage, was eigentlich dieses “normal” ist und ob eine Norm überhaupt etwas erstrebenswertes sei. Und es ist genau diese Überlegung, die Hauptfigur Josse in drei Lebensetappen – als Kind, Teenager und junger Erwachsener – durch die Filmhandlung begleitet und die zu beantworten das Ziel seiner Coming-of-Age Reise darstellt. Unkontrollierbare Wutanfälle und seine Lernschwäche machen Josse schon früh zu einem Sonderling, der sich vielleicht auch deshalb so stark zu den Patient:innen der Klinik hingezogen fühlt, weil er sich mit ihnen stärker identifizieren kann als mit vermeintlich normalen oder gesunden Menschen. Überhaupt erweist sich die Trennung von krank bzw. behindert und gesund bzw. nicht-behindert ein ums andere Mal als beliebig. Leider geht der Film an dieser Stelle nicht weiter in die Tiefe, thematisiert zwar die Entwicklung des psychiatrischen Systems weg von der Verwahrung und hin zu offenen, partizipativen Konzepten mit dem Ziel der Ermächtigung, doch fehlt ein Blick auf jene (Herrschafts)Strukturen, die Ärzt:innen und Patient:innen überhaupt erst definieren und voneinander unterscheiden. ___STEADY_PAYWALL___

Basierend auf dem gleichnamigen, autobiografischen Roman von Joachim Meyerhoff dreht sich auch die Verfilmung von Sonja Heiss vor allem um die Erlebniswelt der Hauptfigur. Josse ist in jeder Szene, die Kamera mit ihm auf Augenhöhe und die Bildgestaltung entspricht seiner Wahrnehmung und emotionalen Erfahrung. Wenn sich die gefühlte Temperatur verändert, verändert sich die Lichtstimmung, wenn Josse seine Mutter bei einem vermeintlichen Telefon-Flirt beobachtet, trägt sie plötzlich großzügiges Make-Up … Durch diese Brüche mit einer realistischen Inszenierung übersetzt Sonja Heiss die Ich-Erzählung des Romans in einen Spielfilm, der sich voll und ganz seinem Helden verschreibt.

Josse und seine Mutter Iris tanzen miteinander im Wohnzimmer. Sie sehen fröhlich aus.

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Nebeneffekt dieses dramaturgischen wie auch inszenatorischen Fokus ist eine erfrischend neutrale Haltung gegenüber dem Konflikt, den Josses Eltern Iris (Laura Tonke) und Richard (Devid Striesow) zunehmend miteinander austragen. So wie der Sohn beide Bezugspersonen stets mit Liebe und Respekt betrachtet, bezieht auch Wann wird es wieder so, wie es nie war nicht für die eine oder andere Person Stellung. Es geht nicht um Seiten, nicht darum, wer mehr oder weniger Recht hat, mehr oder weniger Fehler macht, sondern um einen ebenso ehrlichen wie liebevollen Blick aufs Menschsein.

Gerade vor diesem Hintergrund bleibt dann aber doch der eine oder andere Lacher im Halse stecken, der sich aus den anonymen Figuren mit Behinderungen oder psychischen Krankheiten ergibt, die sich immer wieder wie belebte Requisiten in Josses Elternhaus einfinden. Auch der Umgang mit dem Thema Depression und Suizid ist oberflächlich bis irreführend und insbesondere vor dem Hintergrund des anvisierten Familienpublikums fragwürdig. „Man weiß ja auch gar nicht, warum die traurig sind“, erklärt Richard seinem heranwachsenden Sohn über Menschen mit Depressionen. Überhaupt wirkt Josses jugendlich-amouröse Faszination mit Marlene (Pola Geiger), die schon seit ihrer Kindheit an dieser Erkrankung leidet, befremdlich. Letztlich bleibt Marlene ein – wenn auch stark depressives – Manic Pixie Dream Girl, das durch ihre fragile, „melancholische“ Erscheinung Josses Beschützerinstinkt weckt, ihm etwas über das Leben lehrt und ohne eigene Geschichte oder Ziele aus der Geschichte verschwindet.

Josse und Marlene liegen sich umarmend auf einem flauschigen Teppich. Der Bildausschnitt zeigt ihre Gesichter, die sich mit intensivem Blick anschauen.

© Komplizen Film GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Frédéric Batier

Mit Sicherheit ist die Entscheidung gegen eine intensivere Auseinandersetzung mit der Institution Psychiatrie, der Definition von Behinderung oder auch der Erkrankung Depression dem geschuldet, dass Wann wird es wieder so, wie es nie war mit seiner tragikomischen Grundstimmung vor allem Kinounterhaltung sein möchte. Tatsächlich versteht es Sonja Heiss, die zusammen mit Lars Hubrich auch das Drehbuch geschrieben hat, allein durch die Bindung an die Hauptfigur und das Erschaffen einer wohlig warmen Atmosphäre ihr Publikum an diesen Film zu binden, der im Grunde keinerlei Spannungsdramaturgie besitzt. Heiss begeistert uns für ihre Hauptfigur, vermittelt uns Josses Emotionen – auch die von seinem Umfeld missverstandenen – und lässt uns Teil seiner Familie werden. Sodass es am Ende fast weh tut, sich von den liebgewonnenen Figuren verabschieden zu müssen. Umso bedauerlicher, dass dieses anrührende Kinoerlebnis – zumindest teilweise – auf dem Rücken von Menschen mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen stattfindet.

Kinostart: 23. Februar 2023

Der Film ist auch bei der Berlinale 2023 zu sehen. Alle Infos zu den Vorführungen gibt es hier.

Sophie Charlotte Rieger
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