Berlinale 2023: She Came to Me

Alle Kunst kommt aus dem Leben und geht dahin zurück. Reale Personen und Ereignisse inspirieren Künstler:innen zu ihren Werken, die dann wiederum ihr Publikum berühren und inspirieren. Magic Moments heißen diese Szenen im Kino, die einen besonderen Zauber besitzen: Obwohl sie in ihrer Dramatisierung und Übertreibung doch ganz klar Illusion sind – oder vielleicht gerade deshalb – ziehen sie das Publikum in ihren Bann, wecken reale Gedanken, Emotionen und Sehnsüchte. She Came to Me von Rebecca Miller spielt mit genau dieser Verschränkung von Leben und Kunst, indem der Film einerseits Emotionskino bedient und es gleichzeitig als solches vorführt.

Die Begegnung mit der Schlepperkapitänin Katrina (Marisa Tomei) inspiriert Komponist Steven (Peter Dinklage) zu einer neuen Oper, bedroht aber zugleich seine Ehe mit Psychotherapeutin Patricia (Anne Hathaway). Deren Sohn aus erster Ehe, Julian (Evan Ellison), ist unsterblich verliebt in Tereza (Jen Ponton), die Tochter der Haushaltshilfe Magdalena (Joanna Kulig), deren Ehemann Trey (Brian d’Arcy James) diese Verbindung wiederum verurteilt. ___STEADY_PAYWALL___

Steven (Peter Dinklage) am Klavier

© Protagonist Pictures

Was in dieser Kürze verworren und konstruiert klingt, erzählt Regisseurin und Drehbuchautorin Rebecca Miller als lineare Beziehungskomödie voller liebenswerter Charaktere, die – dem Genre entsprechend – ebenso konstruiert wie unterhaltsam ist und dabei immer wieder auf sich und die eigene Absicht verweist. Sei es durch das Spiel mit dem Format, das sich in Magic Moments auf 4:3 verengt. Sei es durch Katrinas Romantik-Abhängigkeit, die mit einem übermäßigen Konsum von Liebesfilmen in ihrer Kindheit erklärt wird. Sei es durch Stevens Opern, die Handlungsstränge des Films in bis zum Anschlag übertriebener Dramatik auf die Bühne bringen – ein bisschen so, wie She Came to Me eben auch glaubwürdige Elemente des täglichen Lebens zu einer zu keinem Zeitpunkt glaubwürdigen, aber stets emotional erlebbaren Liebeskomödie verdichtet.

Auffällig an der Inszenierung ist die respektvolle Arbeit mit Humor, der sich lieber aus der Absurdität des Lebens speist als die Figuren ins Lächerliche zu ziehen. Wenn überhaupt soll das Publikum auf Kosten der Oberschicht lachen, gerne über weiße Männer, während Klassismus und Rassismus zu offensichtlich sind, um sie zu ignorieren. Gleichzeitig ist eine Figur wie Schlepperkapitänin Katrina, die den Geruch nach Diesel ebenso schätzt wie Vanille-Duftkerzen, nur deshalb so interessant und charmant, weil sie mit den Frauenfiguren des Mainstreamkinos radikal bricht – wodurch das Klischee trotz seiner oberflächlichen Dekonstruktion in der Tiefe erfahrbar bleibt.

Rebecca Miller will ihre Figuren nicht bloßstellen – weder im übertragenen, noch im tatsächlichen Sinne, denn auch in den Sexszenen bleiben die Körper auf offensichtliche Weise bedeckt. Statt einer subtilen Inszenierung wählt Miller auch hier die Flucht nach vorne, drapiert beispielsweise ein großes Kissen derart offensichtlich vor Marisa Tomeis nacktem Körper, dass die Absicht hinter dieser Requisite niemandem im Kino entgehen kann. She Came to Me ist alles andere als subtil und will es auch gar nicht sein. Und es ist gerade diese Transparenz, diese Ehrlichkeit mit sich und dem Publikum, die diesen Film so überaus sympathisch macht.

Inmitten liebenswert verschrobener Erwachsener und hoffnungslos romantischer Teenager befindet sich nur eine einzige Figur, an der Rebecca Miller kein gutes Haar lässt: Terezas Stiefvater Trey, der gleichzeitig Konservatismus, Rassismus und Patriarchat verkörpert und in derartigem Ausmaß ein konstruiertes Abziehbild bleibt, dass seine Rolle als Platzhalter für alles Schlechte dieser Welt offensichtlich ist.

She Came to Me ist ein mutiges Unternehmen, denn um sich davon unterhalten zu fühlen, verlangt der Film dem bildungsbürgerlichen Patriarchat eine gute Portion Selbstironie und dem cinephilen Publikum einen Moment der Selbstreflektion ab. Ist die Liebeskomödie weniger Kunst als die Oper? Sind nicht beide hoffnungslose dramatisch? Völlig drüber? Total konstruiert? Aber kommen nicht auch beide aus dem Leben und gehen wieder dahin zurück?

Vorführungen bei der Berlinale 2023

Sophie Charlotte Rieger
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