Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR

Offiziell gab es in der DDR keine homosexuellen Menschen. Wer entgegen der Staatsräson gleichgeschlechtlich liebte, wurde geächtet und juristisch verfolgt. Frauen, die Frauen liebten, wurden unsichtbar gemacht. Es gab keine Orte, an denen sie sich treffen konnten, keine Community für einen Austausch oder Zugang zu Informationen. Mit ihrem Dokumentarfilm gibt Barbara Wallbraun ihnen nun eine Plattform: Pat, Christiane, Carola, Elke, Sabine und Gisela erzählen in Uferfrauen ihre ganz eigenen Geschichten von lesbischer Liebe und Leben in der DDR.

© déjà-vu film

Beginnend in der Kindheit, über die erste Liebe bis in die Gegenwart schildern die Frauen ihren Alltag und geben dabei tiefe Einblicke in ihre Gefühlswelt. Wallbraun lässt sich voll und ganz auf ihre Interviewpartnerinnen ein und beweist ein Gespür für gute Geschichten. Sabine und Gisela bauten ein Haus und zogen allen Widerständen zum Trotz gemeinsam ein Kind groß. Christiane organisierte geheime Treffpunkte und Partys, ihr Sonntags-Club in Prenzlauer Berg ist bis heute eine Anlaufstelle für queere Personen.

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Hinter diesen Errungenschaften steht jedoch ein andauernder Kampf um Selbstbestimmung. Uferfrauen zeigt die Isolation lesbischer Frauen in der DDR sowie die ständige Angst vor Ausschluss und Repressionen. Die Protagonistinnen schenken Barbara Wallbraun unglaublich viel Vertrauen. Pat, Christiane, Carola, Elke, Sabine und Gisela öffnen sich in den Interviews vollkommen und bringen ihre teils unverarbeiteten Traumata auf die Leinwand. Auf diese Weise wird der Dokumentarfilm selbst Teil eines Aufarbeitungsprozesses, der noch lange nicht abgeschlossen ist.

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Die Auswahl der Protagonistinnen bildet eine Vielfalt lesbischen Lebens ab, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Uferfrauen stellt persönliche Erfahrungen und Empfindungen in den Mittelpunkt. Informationen zum gesellschaftlichen Kontext oder zeitliche Einordnungen bleiben spärlich. Ohne entsprechende Vorkenntnisse zur Geschichte der DDR und insbesondere Homosexualität in diesem System fällt es schwer die gesellschaftliche Dimension der individuellen Geschichten zu erkennen.

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So nimmt Uferfrauen zwar Bezug auf den Paragrafen 151 StGB, nach dem in der DDR erstmalig in der gesamtdeutschen Geschichte auch Lesben strafrechtlich verfolgt wurden, ordnet diesen jedoch nicht weiter ein. Ab 1968 gab es in der DDR kein pauschales Verbot von Homosexualität mehr. Der Paragraf 151 stellte jedoch homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen unter Strafe. Wichtig wäre hier ein Verweis darauf gewesen, dass homosexuelle Handlungen mit unter 18jährigen verfolgt wurden, während heterosexuelle Handlungen nur mit unter 16jährigen verboten waren. Damit war der Paragraf 151 Grundlage einer diskriminierenden Strafverfolgung.

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Diese Einordnung fehlt insbesondere bei der Geschichte von Pat. Als 24jährige betreute sie in einem Jugendwerkhof Jugendliche, die als schwer erziehbar galten. Dort verliebte sie sich in eine 17jährige, mit der sie schließlich auch eine Beziehung einging. Für ein heterosexuelles Paar hätte dieser Altersunterschied keine Konsequenzen gehabt, Pat wurde dafür verurteilt und erhielt ein Berufsverbot. Was aus heutiger Perspektive problematisch bleibt und im Film leider nicht weiter hinterfragt wird, ist die Beziehung zu einer Schutzbefohlenen.

Trotz dieses Versäumnisses trägt Uferfrauen entscheidend dazu bei, lesbische Geschichte in der DDR festzuhalten und sichtbar zu machen. Dabei wird vor allem die Komplexität queerer Beziehungen in einem Spannungsfeld von Verlangen und Sehnsucht auf der einen und Angst und Scham auf der anderen Seite sichtbar.

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Pat, Christiane, Carola, Elke, Sabine und Gisela wissen, was es bedeutet, für ihre Liebe und um ihr Leben zu kämpfen. Die Furcht vor Diskriminierung und Verfolgung lässt sie bis heute nicht los. Dennoch ist die Botschaft der Uferfrauen kraftvoll und ermutigend: Diese Frauen haben in einer feindlichen Umgebung überlebt, sie haben geliebt und ein repressives System besiegt. Sie sind bereit diesen Fortschritt gegen einen gesellschaftlichen Rollback zu verteidigen.

Kinostart: 3. September 2020

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