Berlinale 2025: Baksho Bondi

Dass Maya diejenige ist, ohne die in der dreiköpfigen Kernfamilie nichts läuft, wird gleich in der ersten Szene klar. Es ist eine beliebte, typische Anfangsszene, um Dynamiken des Zusammenlebens und Charaktere eines Films einzuführen: der Alltag am Morgen. Irgendwer ist zu spät dran, wer anderes – meist eine Frau – spielt Wecker für die zu lange Schlummernden oder treibt die Trödelnden an. In Baksho Bondi (Shadowbox) weckt die Mutter und Ehefrau ihren Teenager-Sohn, macht sich selbst für die Lohnarbeit bereit, erledigt Handgriffe im Haushalt. Ihr Ehemann Sundar hingegen muss nicht zur Eile getrieben werden, denn er geht keiner Form von Arbeit nach – ein Zustand, der ihn, in Zusammenspiel mit seiner psychischen Disposition, zu einer Art Anhängsel statt zum mitgestaltenden Teil der familiären Wohngemeinschaft macht. Editorin Tanushree Das und ihr Partner, der Kameramann Saumyananda Sah debütieren als Regieduo – und fungieren darin auch als Heads ihrer bisherigen Departments – mit einer im westbengalischen Kolkata verorteten Geschichte über Familie, Sorgearbeit, Liebe und Posttraumatische Belastungsstörung.___STEADY_PAYWALL___

© Saumyananda Sahi/Moonweave Films

Das Trio lebt in einer Mietwohnung in einem einstöckigen Haus am Rande von Kolkata. Es steht dem von Mayas Bruder, der sich ab und an ungefragt in Mayas (Tillotama Shome) Verhältnisse einmischt, in seiner Ausstattung und Situierung nach. Diese beiden unterschiedlichen Orte implizieren einen finanziellen Abstieg Mayas, die sich, ihren Mann und den Sohn schon lange alleine finanziert und sich mit verschiedenen bescheiden bezahlten Jobs herumschlägt, auch wenn sie studiert hat. Mit ihrem Hintergrund wiederum erklären sich die klatschsüchtigen Nachbar*innen ihre Unnahbarkeit, die sie ihr als Abgehobenheit auslegen. Aufgebracht werden diese auch, wenn Sundar den Frauen von nebenan nachstellt. Maya, gewohnt Konsequenzen ausbaden zu müssen, reagiert entweder nicht oder verteidigt ihn nach außen hin und leistet in den eigenen vier Wänden emotionalen Beistand. Aber sie artikuliert auch ihren Ärger und Widerstand – etwa wenn Sohn Debu es sich nur vor dem Fernseher gemütlich macht und an sich selbst denkt, statt auch mal im Haushalt Hand anzulegen. Außerhalb des Hauses verfolgt Sundar seinen Sohn zuweilen, wenn er nicht gerade selbst mit seinem Freund Bolai, der stets eine Flasche Alkohol mit sich herumträgt, durch die Gegend zieht. 

Einem potenziellen Arbeitgeber erklärt Maya – und ob sie dabei lügt oder die Wahrheit spricht, bleibt offen – , dass Sundar eine Therapie absolviert habe und versucht, seine Hintergrundgeschichte zu beschönigen, weil sie weiß, dass acht Jahre ohne Anstellung und eine psychische Disposition seine Chancen auf eine Anstellung auf ein Minimum senken. Neun Jahre hatte Sundar in der Armee gedient, für die er an der Border Security Force, die die Grenzen zu Pakistan und Bangladesch bewacht, stationiert war. Die Vergangenheit bleibt verrätselt, nur angedeutet, ihre Konsequenzen aber sind omnipräsent. Maya hört nicht auf, ihren Partner zu motivieren, auch wenn dieser längst aufgegeben zu haben scheint. Am glücklichsten wirkt er beim Sammeln von Fröschen, die er in einem Käfig vor dem Haus aufbewahrt und an Forschungsstätten weitergibt. Eine Tätigkeit im Einklang mit der Natur für einen guten Zweck – doch ohne wirklichen Ertrag. Debus Endorphine hingegen sprühen, wenn er tanzt, zuhause, wenn seine Mutter bügelt, allein in dem verlassenen Betongebäude in der Nähe oder im Kurs, den er nach der Schule regelmäßig belegt. 

© Saumyananda Sahi/Moonweave Films

So schwungvoll und seinem inneren Zustand entsprechend sich auch Debus Bewegungen vor unseren Augen zeigen, so erweist sich auch seine Seele unruhig und dem Schmerz verbunden – besonders als Sundar eines Tages als vermisst gemeldet und Bolai tot aufgefunden wird. Nun beginnt der Krimi-Teil des Films, der nicht nur durch die Geschehnisse, sondern auch den wiederholten Besuch eines Revier-Polizisten die Tratschtrommel der Nachbar*innen heiß werden lässt. „Ehemänner sind am besten, wenn sie tot sind“, sagt eine der Frauen zu Beginn des Films und ob sich diese Aussage für Maya bewahrheitet, wird sich im letzten Drittel des Films, der damit nur leicht seine Atmosphäre in Richtung Thriller lenkt und die Emotionen der Figuren nochmal aufkochen lässt, zeigen. Ist Sundar zum Mörder geworden und wie weit geht Maya mit dem wohlwollend-strengen Behüten ihres Ehemannes?

Maya repräsentiert eine Alleinernährerin, die, so scheint es, bereits viele Urteile und Meinungen an sich abprallen hat lassen. Ganz im Gegensatz zu Arati, die in Satyajit Rays Mahanagar (Die große Stadt) von 1963 im Kolkata der 1950er ebenso zur alleinigen Brotverdienerin wird, sich aber ständig gegen Kritik an ihrer Lohnarbeitstätigkeit behaupten muss. Dass sich ihr Kampf gegen patriarchale Strukturen richtet, ist hier eindeutig, während die Dreifachbelastung in Baksho Bondi das Resultat vielgestaltiger Zusammenhänge darstellt. Denn der Plot dreht sich nicht nur um ungerechte Verteilung von Arbeit und fehlende Unterstützung bei psychischen Traumata, es geht ebenso darum, dass Sorge, Zuneigung, Familienbande und die Erwirtschaftung von notwendigen finanziellen Ressourcen ein so komplexes Geflecht darstellen, dass moralische Urteile über einzelne Schicksale nicht immer leicht zu fällen sind. Dass es aber letztlich an Maya hängt, das Fehlen von sozialen Auffangnetzen bzw. Reintegrationsmöglichkeiten für traumatisierte Menschen, wie ihren Mann, durch ihre Arbeit auszugleichen, das bleibt auch hier eindeutig. 

Baksho Bondi ist als Weltpremiere bei der 75. Berlinale zu sehen.

Bianca Jasmina Rauch
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