Berlinale 2025: A melhor mãe do mundo

Nachdem ihr Partner Leonardo zum wiederholten Mal gegen sie gewalttätig geworden ist, flieht Gal mit ihren zwei Kindern aus der gemeinsamen Wohnung in São Paulo. Doch als Alternative bleibt der Müllsammlerin nur das Leben auf der Straße in eben jenem Karren, in dem sie täglich Papier, Dosen und Plastikflaschen für kleines Geld auf der Müllhalde abliefert. Zunächst verkauft sie ihren Kindern das Leben auf der Straße als abenteuerlichen Campingausflug. Doch nach und nach geht ihr das Geld aus. Und Leonardos Anrufe reißen nicht ab.___STEADY_PAYWALL___

© Aline Arruda

Anna Muylaert erzählt mit A melhor mãe do mundo einmal mehr eine Geschichte über Mutterschaft, einmal mehr wählt sie dabei als Hauptfigur eine Frau of Color am Rande der brasilianischen Gesellschaft. Doch Gal ist nicht nur mittellos, sie befindet sich auch – selbst nach ihrer Flucht – in den Fängen einer abusiven Beziehung. Immer wieder klingelt das Handy, immer wieder drückt sie Leonardos Anrufe weg, doch emotional hängt sie dem Ex-Partner noch immer hinterher – wohl wissend, wie paradox die Sehnsucht nach dem Gewalttäter ist.

Anna Muylaert zeigt sehr treffend, wie schwierig sich der Ausbruch aus einer missbräuchlichen Beziehung gestaltet, insbesondere in einer Situation ökonomischer Abhängigkeit. Doch nicht nur Gals anhaltende Gefühle für Leonardo stehen ihr im Weg, sondern auch Reaktionen aus ihrem familiären Umfeld. Häusliche Gewalt ist hier kein unbedingter Trennungsgrund, sondern ein hoher, aber für Einige auch akzeptabler Preis für finanzielle Sicherheit. Es ist erschreckend mit anzusehen – und realistisch – wie stark die brasilianische Gesellschaft (und Achtung, nicht nur diese!) geschlechtsspezifische Gewalt normalisiert.

Gal und ihre Kinder hüpfen fröhlich auf Bergen von Plastikflaschen.

© Aline Arruda

Obwohl ihre Lage ausweglos scheint, bleibt Gal die unangefochtene Heldin ihrer Geschichte, der es schließlich immer gelingt, ihren Kindern ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Voller Kraft sind die Bilder, in denen sie ihren Wagen durch den Stadtverkehr von São Paulo zieht. Niemals zeigt sie vor den Kindern Schwäche, niemals verzweifelt oder weint sie, niemals verliert sie die Geduld. Damit zeichnet Anna Muylaert in A melhor mãe do mundo aber auch ein durchaus kritikwürdiges Bild der titelgebenden „besten Mutter der Welt“ als durchgehend aufopferungsvolle und „starke Frau“, die sich stets zusammenzureißen und auf dem moralisch richtigen Weg zu halten weiß – ein Idealbild, das mit einem toxischen Mann nach dem anderen kontrastiert wird. Diese Gegenüberstellung ist dann doch ein wenig zu vereinfacht. Und die Überhöhung von Gal schlägt in die Kerbe eines anderen sexistischen Diskurses, nämlich die überzogenen und gerne mit einer vermeintlich angeborenen Konstitution verbundenen Ansprüche an Mutterschaft. Schließlich ist auch der Ausweg, den Muylaert für Gals Notsituation findet, ein wenig zu schön ist, um wahr zu sein. 

So bleibt A melhor mãe do mundo trotz seiner treffenden Darstellung von Beziehungsgewalt in einer sexistischen Gesellschaft zu sehr in Klischees stecken, um als Film zu überzeugen oder als Emanzipationsgeschichte eine tatsächlich augenöffnende Wirkung zu entfalten.

A melhor mãe do mundo läuft als Berlinale Special bei den 75. Filmfestspielen.

Sophie Charlotte Rieger
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