Drei Gedanken zu: Maria
Mit Maria widmet sich Pablo Larraín bereits zum dritten Mal einer ikonischen Frau des 20. Jahrhunderts. Nach Jackie Kennedy (Jackie) und Diana, Princess of Wales (Spencer) erzählt der chilenische Regisseur in seinem neuesten biografischen Drama von der berühmten Opernsängerin Maria Callas, feinfühlig und elegant gespielt von Angelina Jolie. Auch diesmal liegt Larraíns Fokus dabei nicht auf einer Nacherzählung des öffentlichen Lebens seiner Protagonistin, sondern auf einem vermeintlich intimen Blick hinter die Fassade, wie Presse und Publikum sie kennen. Im Gegensatz zu Jackie und Spencer konzentriert sich Maria jedoch nicht auf einen Wendepunkt im Leben der Hauptfigur, sondern explizit auf ihr Lebensende: Der Film beginnt mit Callas’ Tod und blickt anschließend zurück auf die Woche, die diesem unmittelbar vorausgeht.
Achtung: Der folgende Text enthält Spoiler!

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Maria und La Callas
Maria reiht sich ein in das altbekannte Muster biographischer Filme über berühmte Frauen, deren Titel nur aus dem Vornamen der Protagonistin bestehen. In Maria Callas’ Fall ist diese Entscheidung besonders bemerkenswert, da die Opernsängerin, wie auch der Film selbst wiederholt betont, primär unter ihrem Nachnamen bekannt war: „La Callas“, „die Callas“. So verdeutlicht bereits der Titel, dass Maria nicht Callas’ erfolgreiche Opernkarriere nacherzählen, sondern einen Blick auf die Person Maria gewähren will.
Wiederholt kontrastiert Larraín explizit die ikonische Operndiva Callas mit der zurückgezogenen Maria am Ende ihres Lebens. Ausschnitte aus ihren Auftritten – Aufnahmen der echten Callas nachempfunden und mit dem Originalton unterlegt – geben einen Eindruck ihrer gefeierten Karriere, während die Maria der Gegenwart ihre alten Kostüme verbrennt. Menschen erkennen sie auf der Straße und im Café und Maria genießt die Aufmerksamkeit und Bewunderung, doch immer wieder erinnern solche Interaktionen auch an ihre gesundheitlichen Probleme und ihr vorzeitiges Karriereende: Ein Mann erzählt vorwurfsvoll, Callas habe ihm das Herz gebrochen, als sie einen Auftritt absagte. Ihr Korrepetitor Jeffrey Tate (Stephen Ashfield) kommentiert bei einer Probe: „Das war Maria, die da gesungen hat. Ich will La Callas hören.“ Marias Verhältnis zu La Callas ist ein schwieriges. Sie zehrt von La Callas‘ Ruhm und den glücklichen Erinnerungen an ihre künstlerischen Höhepunkte, leidet jedoch gleichzeitig darunter, dass ihr diese sängerischen Höchstleistungen nicht mehr gelingen wollen.

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Ironischerweise gerät die Person Maria durch den Fokus auf diesen Konflikt teilweise in den Hintergrund. In dieser einen, letzten Woche ihres Lebens, die wir als Publikum miterleben, dreht sich Vieles um La Callas. Maria selbst stellt klar: „Es gibt kein Leben jenseits der Bühne. Die Bühne ist mein Leben.“ Andere Aspekte ihres Lebens schneidet der Film häufig nur kurz und unvollständig an oder Maria fasst sie in der Gegenwart grob zusammen, beispielsweise ihre langjährige Beziehung zu dem Geschäftsmann Aristoteles Onassis (Haluk Bilginer). Diesen bezeichnet sie in der Gegenwart als „hässlich und tot“ und erklärt, sie hätten nie geheiratet, da er sie habe kontrollieren wollen. In einer Rückblende sehen wir passend dazu, wie sie den aufdringlichen Mann mit der Begründung zurückweist, es sei nicht ihre Ambition, ein weiterer Gegenstand zu sein, den er besitzen könne. Warum Maria schließlich dennoch jahrelang eine Affäre mit Onassis hatte und ihn auch in der Gegenwart laut eigener Aussage noch liebt, bleibt dagegen unklar. Auf eine Nachfrage diesbezüglich erwidert sie vage, mit Onassis habe sie „wieder ein Mädchen sein können“.

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Ähnlich bruchstückhaft bleiben die Einblicke in Marias schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter Litsa (Lydia Koniordou) und eine mögliche Abtreibung oder Fehlgeburt in der Vergangenheit, die Maria noch zu beschäftigen scheint. Interessen oder schöne Erinnerungen abseits des Singens thematisiert der Film überhaupt nicht. Dies steht in auffälligem Kontrast zu den Aufnahmen der echten Maria Callas im Abspann, auf denen wir sie lächeln, lachen und verspielt in die Kamera zwinkern sehen und verstehen: Es gibt noch eine andere Seite von Maria, die Larraín jedoch entschieden hat, nicht zu zeigen. Maria mag kein Film über „die Callas“ sein, doch auch unser Bild von Maria bleibt sehr begrenzt.
Singen: Zwang vs. Selbstbestimmung
Wie in La Callas’ Karriere dreht sich in Maria auch im Privatleben der Hauptfigur Vieles um Gesang. Ihre Stimme hat La Callas, die Opern-Ikone, erfolgreich, reich und berühmt gemacht — Ruhm, der auch heute, Jahrzehnte nach ihrem Tod, noch andauert. Für Maria, die Person, dagegen ist Gesang im Film auch mit Zwängen und Verboten verbunden. Ein Flashback zeigt, wie ihre Mutter die junge Maria und ihre Schwester im Zweiten Weltkrieg für die nationalsozialistischen Besatzer gegen Geld singen lässt (und sie, so die Implikation, auch sexueller Gewalt aussetzt). „Die deutschen Soldaten lassen mich einfach nicht in Ruhe“, kommentiert Maria die anscheinend wiederkehrenden Erinnerungen in der Gegenwart. In ihrer Zeit mit Onassis wiederum habe dieser ihr verboten zu singen. Die Maria der Gegenwart hat sich schließlich aus gesundheitlichen Gründen von der Bühne zurückziehen müssen und betont, sie plane kein Comeback im Sinne öffentlicher Auftritte. „Meine Mutter hat mich gezwungen zu singen. Onassis hat mir verboten zu singen. Jetzt singe ich für mich selbst“, sagt sie.

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Flashbacks zu ihren berühmten Auftritten und ihre Aussagen über das Leben auf der Bühne legen nahe, wie sehr sie das Singen genossen hat. Sich dieses Gefühl wieder zu erkämpfen, als Herrin ihrer selbst und nach ihren eigenen Regeln, scheint für Maria ein Akt der Befreiung zu sein. Zwar muss sie im Laufe des Films erkennen, dass sie die stimmlichen Höchstleistungen der Callas nicht mehr erreichen kann, doch ihr erklärtes Ziel erreicht sie im bewegenden Finale: Sie singt, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, nur für sich allein. So inszeniert Larraín in Maria nicht La Callas’ Karriere, sondern eher die Bedeutung, die diese und ihr Talent für Maria am Ende ihres Lebens haben, und, im Finale, eine Art Versöhnung der Personen La Callas und Maria.
Empowernd oder deprimierend?
Im zeitlichen Fokus auf Maria Callas’ letzter Woche liegt auch die Krux des Films und die Frage nach dessen grundsätzlichem Ansatz und einer möglichen Botschaft. Wie bereits in Jackie und Spencer konzentriert sich Larraín auf wenige Tage im Leben seiner Protagonistin. Doch während Spencer im Kern als empowernd und hoffnungsvoll gelesen werden kann, da Diana sich im erzählten Zeitraum ein Stück Kontrolle über ihr Leben zurückholt, wählt Larraín mit Maria einen deutlich düstereren Zeitpunkt im Leben der Hauptfigur.

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Die Maria Callas, die wir zu sehen bekommen, lebt zurückgezogen, pflegt kaum soziale Kontakte abgesehen von Personal, leidet unter gesundheitlichen Problemen und dem vorzeitigen Ende ihrer Karriere. Wie Diana kämpft auch Maria um Kontrolle, die jedoch — wie der Film bereits zu Anfang verdeutlicht — nicht zu mehr Freiheit, sondern zu ihrem Tod führen wird. Ihr Arzt rät ihr vom Singen ab, da die körperliche Anstrengung für sie gefährlich sein könnte. Ihre Angestellten verstecken ihre Medikamente, um ihre Sucht in Schach zu halten, und reagieren besorgt auf ihre Halluzinationen, die Larraín in einem gekonnten Verschwimmen von Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Wirklichkeit teils imposant und dramatisch wie eine Oper inszeniert. Doch Maria wehrt sich gegen jegliche Bevormundung, weigert sich, den Arzt zu sehen, besteht darauf, wieder zu singen. Nachdem sie jahrelang unter der Kontrolle anderer gelitten hat, ist Kontrolle über ihr eigenes Leben für sie nun eine zentrale Motivation.
Marias Tragik liegt darin, dass diese Kontrolle zu spät kommt, sich gegen Personen richtet, die es gut meinen, und letztendlich zu Marias Tod führt. So hinterlässt das Finale auch einen bitteren Beigeschmack. Maria singt tatsächlich endlich für sich selbst, doch sie weiß auch, dass diese Anstrengung ihr das Leben kosten könnte. Ihr großer Akt der Selbstbestimmung ist zugleich auch ein Akt der Selbstzerstörung. Ist sie endlich frei oder hat sie aufgegeben und beschlossen, wenigstens ihr Ende selbst zu bestimmen? Warum haben sich Larraín und Drehbuchautor Steven Knight entschieden, speziell das Ende von Callas‘ Leben zu erzählen, speziell ihren Tod als starken Moment in Szene zu setzen? Ohne Frage hatte auch das Leben der echten Callas seine Schattenseiten, doch Gleiches gilt für Jackie Kennedy und Lady Diana, für deren Biopics Larraín einen anderen Ansatz gewählt hat.
Maria läuft seit dem 6. Februar im Kino.
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