Berlinale 2023: Sica

Der Vater der 14-jährigen Sica (Thais García Blanco) verschwindet bei einem Schiffsunfall vor der Küste des galicischen Dorfes, in dem sie lebt. Lange verliert sie sich in ihrer Trauer und in ihrer Wut auf die Geschehnisse und lange wird die Leiche ihres Vaters in der oft stürmischen See nicht gefunden. Als eines Tages ein Körper in dem Mantel des Vaters angeschwemmt wird, scheint dies im ersten Moment einige Probleme, die sie und ihre Mutter Carmen (Núria Prims) haben zu lösen: Carmen hat nun Anspruch auf Witwenrente, um ihre hohen Schule abzubezahlen und die nagende Ungewissheit nimmt ein Ende. Doch im Dorf wird geflüstert, es handele sich gar nicht um die Leiche des Vaters, sondern um die eines anderen Mannes. Die Gerüchte ziehen Konflikte in der kleinen Gemeinschaft mit sich, unter denen vor allem Sica leidet, die gemeinsam mit ihrem Freund Suso (Marco Antonio Florido Añón) versucht, die Wahrheit herauszufinden, die ihr die Erwachsenen vorenthalten zu scheinen. Sica, das auf 16mm gefilmte Spielfilmdebüt der spanischen Regisseurin Carla Subirana, läuft bei der Berlinale 2023 in der Sektion Generation 14plus und erzählt eine Geschichte von Trauer und Entschlossenheit.___STEADY_PAYWALL___

Die Darstellerin Thais García Blanco wurde direkt an der Costa da Morte – der Todesküste – gecastet, an der die Geschichte des Films auch angesiedelt ist. Eine ortsansässige Laiin für eine Rolle, die hauptsächlich von ihren starken Emotionen getrieben wird, war eine mutige Entscheidung der Regisseurin Carla Subirana – und die richtige. Denn der Film wird in großen Teilen hauptsächlich durch seine großartige junge Hauptdarstellerin getragen, die wirkt, als spiele sie sich selbst. Ihre für ihre zierliche Gestalt sehr wuchtige und entschlossene Präsenz transportiert die Zerrissenheit, Trauer und Wut von Sica unvermittelt und ehrlich. 

Sica

@ Mario Llorca

Der Konflikt und die Handlung in Sica resultiert allerdings nicht nur in Sicas Trauer um ihren Vater, sondern auch in ihrem Gefühl des Nicht-Dazugehörens, unter dem sie leidet. Ihre Mitschüler:innen, allen voran ihre Altersgenossen Leda (María Villaverde Ameijeiras) meiden sie – in Ledas Fall, weil auch ihr Vater einer der umgekommenen Fischer ist und sowohl sie als auch ihre Mutter nicht ausschließen, dass es sich bei der angeschwemmten Leiche, um eben diesen handeln könnte. Nur Suso, der als etwas schräg charakterisierte Sturmjäger, weicht ihr nicht von der Seite. Umso mehr bekümmert und verärgert es Sica, dass sie auch in der Welt der Erwachsenen nicht ernst genommen wird. Das Verhältnis zu ihrer Mutter Carmen ist seit dem Tod ihres Vaters zerrüttet, denn Sica will sich nicht damit zufrieden geben, dass Carmen ihr nicht alles über ihren Vater erzählen will. Eine Atmosphäre des Unausgesprochenen umgibt die Beziehung der beiden zueinander, die letztendlich auch das Publikum zu packen mag und der eigentlich so auf Innenansichten fokussierten Geschichte noch eine respektvolle Prise Spannung verpasst.

Geheimnisvoll muten auch die sanften Anleihen des magischen Realismus an, die Carla Subirana subtil in ihren Film hinein webt. Auch hier bleibt es angenehm unausgesprochen, wie irdisch die Allgegenwärtigkeit des Todes sowie der Toten und die Resonanz des Wetters und des Windes auf die Gefühlswelten der Protagonist:innen wirklich sind. Die galicische Küste ist in Sica ein unergründlicher Ort und fast schon ein eigener Protagonist des Films. Ihre unbarmherzige und gewaltige Geologie setzt die Regisseurin sehr gekonnt in Szene.

Sica

@ Mario Llorca

Sica ist ein emotional mitreißendes Werk, das sehr ruhig und respektvoll die Validität negativer Gefühle zelebriert. Mit seiner starken Hauptdarstellerin schafft er ein kraftvolles – aber kurzweiliges – Momentum der Gefühle. Carla Subirana beweist, dass sie auch mit fiktionalen Stoffen gekonnt umgehen kann.

Vorführungen bei der Berlinale 2023

 

Sophie Brakemeier