Berlinale 2023: Sages-femmes

Der schönste Beruf der Welt ist angeblich die Geburtshilfe. Und mit Sicherheit gibt es wenige Momente, die eine derartige Magie entfalten, wie der, in dem ein kleiner Mensch erstmalig das Licht der Welt erblickt. Genau darin liegt die große Tragik dieses Berufsstands in der heutigen Zeit: Was für alle Anwesenden magisch sein sollte, gerät durch äußere Umstände viel zu oft zum Albtraum. In ihrem Film Sages-Femmes erzählt Léa Fehner von der Geburtshilfe in einem französischen Krankenhaus und die dargelegten Probleme und Herausforderungen des Personals dürften auch deutschen Hebammen und Gynäkolog:innen vertraut sein.

Sofia (Khadija Kouyaté) und Louise (Héloïse Janjaud) sind Berufseinsteigerinnen. Voller Elan beginnen die beiden Freundinnen ihren Job in einem großen Krankenhaus und lassen sich vom Stress, der auf der Station herrscht, zunächst nicht einschüchtern. Doch bald wird der Personalmangel und der darin resultierende Druck sowie die Unmöglichkeit, den Patient:innen gerecht zu werden, auch ihnen zum Verhängnis. Insbesondere Sofia zweifelt an ihrer Berufswahl. Kann und will sie unter diesen Bedingungen arbeiten? Ist es überhaupt möglich, diesen Job gut zu machen?

Eine Hebamme schaut lächelnd auf eine Person, die wir nicht sehen. Ein Knie am unteren Bildrand verweist darauf, dass vor ihr eine Gebärende liegt. Am rechten Bildrand sehen wir das Gesicht eines Mannes von der Seite.

© Geko Films

Für die Szenen in der Geburtshilfe, die einen Großteil des Films ausmachen, hat Léa Fehner eng mit einem Team aus Hebammen zusammengearbeitet, echte Geburten gefilmt und in der Montage mit gespielten Szenen zusammengefügt. Das Ergebnis sind lebensechte Bilder, die auf diese Weise selten, wenn überhaupt schon einmal, in einem Spielfilm zu sehen waren. Dabei ist die Nähe der Kamera von Jacques Girault zu den Gebärenden der Schlüssel zur Vermeidung einer voyeuristischen Perspektive. Das Filmpublikum findet sich stattdessen mitten im Geschehen wieder. Auch der Fokus auf die Gesichter der Eltern, auf ihr Erleben der ersten Begegnung mit dem gemeinsamen Kind, macht diesen Moment emotional erfahrbar und gestaltet sich deutlich eindrucksvoller und berührender als zwischen die Beine gefilmte Nahaufnahmen von gedehnten Vulven, wie sie in dokumentarischen Geburtsaufnahmen gerne zu sehen sind.

Der Einstieg in den Film, Sofias und Louises erster Tag in der Geburtshilfe, ist voller Hektik und verursacht allein beim Zusehen Stressgefühle. Léa Fehner gelingt es in ihrem Film immer wieder, die immense Belastung der Hebammen durch Kamera und Montage wie auch die Schauspielführung fühlbar zu machen, gönnt ihrem Publikum aber auch Momente der Ruhe und des Humors. Es ist nicht alles schlecht auf dieser Krankenhausstation. Aber es könnte so viel besser sein.

Ein lachendes Team von Krankenhausmitarbeiter:innen. Eine Person trägt eine Weihnachtsmann-Mütze.

© Geko Films

Bei der Thematisierung von Konflikten unter den Miterarbeiter:innen oder auch verbaler Gewalt gegenüber den Patient:innen als Folge des Personalmangels vernachlässigt Léa Fehner bedauernswerter Weise die Omnipräsenz von Gewalt in der Krankenhaus-Geburtshilfe. Es ist ihr ein spürbares Anliegen, den Hebammen und Ärzt:innen Respekt zu zollen und die Verantwortung für Missstände ausschließlich im System zu suchen. Das Ausmaß dieser Missstände ist jedoch – zumindest in Deutschland – um einiges größer als Sages-Femmes sich zu zeigen traut. Darüber hinaus fehlt Léa Fehner der Mut, ihre Figuren gravierende Fehler begehen zu lassen, wie sie innerhalb eines kaputtgesparten Gesundheitssystems zwangsläufig passieren. Zu groß ist hier offensichtlich das Bedürfnis, die fiktiven (und realen) Hebammen in Schutz zu nehmen und das Publikum nicht mit ambivalenten Charakteren zu überfordern.

Eine Frau mit roten langen Haaren und weißem Kittel, Louise, steht auf einer Tafel, die die Raumbelegung im Kreißsaal abbildet. Sie schaut zu einer anderen Frau, Sofia, die unscharf im Vordergrund des Bildes zu sehen ist.

© Geko Films

Trotzdem ist Sages-Femmes sowohl ein handwerklich beeindruckender Film als auch ein immens wertvoller Beitrag zum feministischen Diskurs um Geburt und Geburtshilfe. Die Ereignisse auf der fiktiven Krankenhausstation, darunter auch eine stille Geburt, und die subjektive Erlebniswelt der beiden Hauptfiguren zeigen eindrücklich die große Verletzlichkeit, die mit diesem medizinischen Bereich verbunden ist. Es geht bei weitem nicht nur um Fachkompetenz, sondern um Empathie wie auch innere Stärke. Die Anforderungen an das Personal und die körperliche wie auch seelische Belastung sind außergewöhnlich hoch, während die Bezahlung – und auch das thematisiert Fehner – außerordentlich niedrig ist. Sages-Femmes macht klar: Wir können dankbar sein, dass es überhaupt noch Menschen gibt, die diesen Beruf trotz der widrigen Umstände ausüben. Sages-Femmes macht aber auch klar, dass diese Menschen trotz all ihrer Leidenschaft und Kompetenz die Fehler des Systems nicht ausgleichen können.

Sophie Charlotte Rieger
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