Berlinale 2023: Sisi & Ich
Auch dieses Jahr bekommen wir wieder reichlich neu interpretiertes Sisi-Material auf der Leinwand zu Gesicht: Frauke Finsterwalders nach Finsterworld zweiter Spielfilm als Regisseurin und Drehbuchautorin Sisi & Ich ist Ende der 1890er, also rund zehn Jahre später als Corsage angesetzt, deckt sich aber thematisch in vielen Aspekten, die vor allem Ernährung, Physis und das Streben nach einem Leben der Kaiserin unabhängig vom Wiener Hof betreffen. Finsterwalder und Christian Krachts Drehbuch stellt aber nicht die Regentin in ihr Zentrum, sondern Gräfin Irma, die ihren Weg als Sisis Hofdame und Freundin beschreitet. Sisi & Ich rückt damit eine hierarchisch unausgewogene Freundinnenschaft in den Fokus und legt seine Anachronismus-Latte hoch genug, um mit einem erfrischenden Blick auf die momentan auffällig häufig in Serien und Filmen porträtierte Elisabeth von Österreich die Handlung zu eröffnen.
Die Prämisse von Sisi & Ich wirkt zunächst auf narrativer Ebene recht klassisch: eine Person, die mit einer bestimmten Gemeinschaft noch nicht vertraut ist, betritt zum ersten Mal neue Kreise. Machthierarchien richten sich in den adeligen Kreisen der Kaiserin deutlich nach Stand, Alter und Geschlecht. Wir begleiten die 42-jährige Gräfin Irma auf ihrem Weg in die für sie neue Welt von Sisi, wundern uns mit ihr über neue Regeln und Vorschriften und entwickeln Sympathien für die Außenseiterin, weil wir uns mit ihrer Unangepasstheit identifizieren können. Diese Unangepasste verkörpert Sandra Hüller, eine ledige Frau, die ihre Berufung darin zu finden hofft, an der Seite des Stars Sisi für deren Wohl zu sorgen. Irma macht mit ihrer beherzten Ehrlichkeit oft einen naiven Eindruck und wählt ihre Worte nicht nach Hofetikette – diese sprachliche Inszenierung eines zeitgenössischen Duktus sorgt für einen großen Teil der anachronistischen Wirkung des Films. Bevor Irma nach ihrem Vorstellungsgespräch Richtung Korfu reist, wo die Kaiserin mit zwei weiteren Damen verweilt, scheint sie ganz unter der Macht und dem Willen ihrer Mutter zu stehen – eine Gemeinsamkeit, die sie auch mit Sisi teilt, wie sich in einer späteren Szene zeigen wird.
Eine fehlende Gemeinsamkeit, die der Kaiserin bei Irmas Ankunft allerdings ein Dorn im Auge ist: ihr Körpergewicht, das sich nicht mit ihrer eigenen mageren Erscheinung deckt. Im Domizil nicht geduldet sind „dicke Menschen und Männer“. Abgesehen von Graf von Berzeviczy, der mit für Sisis Wohl sorgt, ist die Residenz auf Korfu ein rein weibliches Refugium, an dem auch Kleiderordnung und Etikette ihrer Geltung entbehren. Dennoch tanzt hier alles klar nach der Nase der Kaiserin, die Irma auf Abruf unterhalten soll. Irma ist alles Recht, denn sie himmelt Sisi an, liebt sie bedingungslos – ein Aspekt, der weder unbedingt nachvollziehbar noch als satirisch überzeichnetes Verhältnis lesbar wird. Als Kaiser Franz Joseph seine Frau zurück aufs Festland bestellt, folgt Sisi seinem Befehl, stets in Begleitung von Irma, die Zeugin all ihrer emotionalen Höhen und Tiefen, ihrer Bulimie, ihres Kokainkonsums und ihrer Ehestreitigkeiten wird. Nach dem Aufenthalt auf Korfu beschreiten die beiden fast alle Wege gemeinsam – nach Algier, Ungarn, England und die Schweiz – und gewinnen Vertrauen zueinander.
Die lose Spannung, die das Narrativ von Sisi & Ich erzeugt, baut auf der Freund:innenschaft zwischen der Kaiserin und ihrer Hofdame Irma auf, die von Liebe, aber auch von Eifersucht und einem klaren Machtgefälle geprägt ist. Wenn die Ende 50-jährige Elisabeth ihre Aufmerksamkeit ihrem Schwager (Georg Friedrich) widmet, merken wir, wie Irma ihren Drang nach alleinigem Besitzanspruch nur schwer in Zaum halten kann. Sie möchte die wichtigste Person an der Seite der Kaiserin sein. Manchmal wirkt der Film wie eine Highschool-Erzählung, in der alle mit der beliebtesten Mädchen aus der Schule befreundet sein wollen. Die Popsongs – wohlgemerkt sind nur weibliche Stimmen zu hören – tragen ihren Teil dazu bei, dass die Frage nach historischer Authentizität noch stärker in den Hintergrund rückt. Obligatorisch für jene Art der Inszenierung scheint auch ein am Bildrand platziertes anachronistisches Requisit– emblematisch hierfür sind die Converse-Sneakers in Sofia Coppolas Marie Antoinette –, das in Sisi & Ich in Form einer eingedrückten Cola-Dose für einen kurzen Augenblick im Meer schwimmt. Die Art des spielerischen Zeitvertreibes der Kaiserin erinnert ebenso an Coppolas Film, in dem die Opulenz und Dekadenz des französischen Hofes zur Schau gestellt und zum einzigen Inhalt des Lebens seiner Protagonistin wird. Sisi & Ich plätschert letztlich aber stellenweise dahin, sodass die an den unterschiedlichen Orten angesetzten Episoden zwar als entschleunigte Aneinanderreihung funktionieren können, aber gleichzeitig die Gefahr bergen für die Beziehung ihrer Figuren wenig neuen, interessant bleibenden Spielraum zu kreieren.
Kinostart: 30. März 2023
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