Berlinale 2023: Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste

Nach Spielfilmen um Ausschnitte aus den Leben von Rosa Luxemburg, Hannah Arendt und Hildegard von Bingen widmet sich die legendäre, bereits für ihr Lebenswerk geehrte deutsche Filmemacherin Margarethe von Trotta zum ersten Mal einer historischen Figur aus dem Bereich der Kunst: der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Wie in Hannah Arendt setzt von Trotta dabei den Fokus auf eine begrenzte Zeitperiode, die biografisch besonders einschneidend war. Bachmanns vierjährige Beziehung zum Schweizer Schriftsteller Max Frisch und ihre emotionale Verarbeitung, nachdem diese in die Brüche gegangen war. Freude und Schmerz, Inspiration und Schreibblockade, Paris, Zürich, Berlin, Wien und Rom: das Zusammenleben der beiden Autor:innen an verschiedenen Orten, das Durchleben einiger emotionaler Phasen erzählt von Trotta vor dem Hintergrund einer Zeit – wir schreiben die späten 1950er Jahre -, in der Bachmann sich ihre Unabhängigkeit erkämpfen und stets mit Vorsicht aufrechterhalten muss.

© Wolfgang Ennenbach

Die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) und Max Frisch (Roland Zehrfeld) erweckt immer wieder die Neugierde so mancher Literaturinteressierten.___STEADY_PAYWALL___ Erst Ende letzten Jahres kam der Briefwechsel der beiden in einer kommentierten tausendseitigen Buchausgabe heraus. Das Auf und Ab der Gefühle und das Arrangement der vierjährigen Beziehung lassen sich hierin genauer studieren und mögen auch eine reichhaltige Grundlage für ein Filmnarrativ liefern. Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste beginnt die Erzählung des Kennenlernens den realen Umständen entsprechend über den von Frisch angeregten Briefwechsel. Als Bewunderer ihrer Arbeit wendet er sich in einem sehnsüchtigen Ton an Bachmann und es folgt ein erstes Treffen in Paris. Alles geht recht schnell und schon bald zieht sie zu ihm nach Zürich und lässt freudig ihr klimatisch milderes Refugium in Rom zurück. Bereits von Anfang an schwebt aber der ahnende Schleier einer schmerzvollen Trennung über dem Paar, den Frisch offen ausspricht und beiden bewusst ist: die Liebe zu einem anderen Menschen birgt ein stetiges Risiko der schmerzlichen Verletzung.

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Die dramaturgische Teilung des Films in zwei Zeitperioden weist bereits auf den Kern der Erzählung hin: In einer chronologisch später angesetzten Phase lernt Bachmann den Schriftsteller Adolf Opel kennen, mit dem sie nach Ägypten reist und durch dessen Gesellschaft sie ihre Trennung von Frisch besser verarbeiten wird. Vicky Krieps verkörpert diese spätere, Mitte der 1960er Jahre Bachmann als gefassten Ruhepol und als einen Menschen, der angesichts der Enttäuschung durch eine geliebte Person ein wenig abgeklärter sein Leben weiterzuführen sucht. Die Intensität der durchwachsenen, nachhallenden Emotionen lassen sie die Gegenwart ein wenig wie unter einer abgeschirmten Glocke erfahren. Mit dem etwas jüngeren Opel verbindet Bachmann ein ganz anderes Machtverhältnis und ein viel lockereres Miteinander als mit dem älteren Frisch, der trotz seiner Bewunderung auch Neid gegenüber der Berühmtheit und Beliebtheit seiner Partnerin entwickelte. Er möchte nicht immer ihr Anhängsel sein, beklagt er an einer Stelle genauso wie ihre Art sich ins Rampenlicht zu stellen und drückt damit sein gekränktes Ego aus, das Eifersucht auf mehreren Ebenen, beruflich und privat, verspürt. 

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Ingeborg Bachmann setzt sich kein biografisch vollständiges Porträt oder eine historisch möglichst genaue Nacherzählung eines Lebens zum Ziel. Viel mehr geht es um die Frage, was es bedeutete in den 1950er und -60er Jahren als Künstlerin im deutschsprachigen Raum ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dass sich ungleiche Verhältnisse im Privaten oft am konzentriertesten widerspiegeln, auch davon erzählt Reise in die Wüste deutlich. Denn selbst die feministische Schriftstellerin Bachmann ist in ihrer Beziehung zu einem Mann, mit dem sie auf einer mentalen Ebene ein fruchtbarer Austausch verbindet, nicht vor seiner Unsicherheit bewahrt. Dass sie schließlich selbst, indem sie die beiden dazu auffordert, miteinander Zeit zu verbringen, mit dafür sorgt, dass er sie wegen einer anderen, viel jüngeren Frau verlässt, ist tragisch und frustrierend. Dabei geht das Narrativ aber nicht auf die von den realen Personen diskutierten und probierten Offenheit der Beziehung ein, die filmisch eigentlich einen interessanten, perspektivisch weiteren Aspekt hätte liefern können. So bleibt Ingeborg Bachmann mehr auf die Chronologie einer monogamen Beziehung beschränkt. Als Bachmann sich entschließt, der Enge Zürichs und somit der Zweisamkeit zu entkommen, um wieder nach Rom zu gehen und ihre Schreibblockade aufzuheben, vollzieht sich bereits der erste stärkere Bruch in der Beziehung der beiden.

© Wolfgang Ennenbach

Von Trotta lässt uns als Publikum aber auch das Werk Bachmanns in Ansätzen kennenlernen, indem wir die Schriftstellerin bei Lesungen beobachten können oder andere Personen, meist Bewunderer, ihre Gedichte rezitieren. Einen Fokus bildet die Vermittlung ihrer Arbeit aber nicht. Die emotionale Reise, ihre Befreiung von der Vergangenheit steht im Zentrum. In Ägypten äußert Bachmann gegenüber Opel eine sexuelle Fantasie, die auch für die befreiende Mitteilung von erotischen Wünschen steht, die gerade Frauen in heterosexuellen Verhältnissen oftmals für sich behalten. Daneben sehen wir immer wieder, wie Bachmann sich mit fremden Kindern unterhält. Ihr Draht zur jüngsten Generation bildet kein Gegensatzpaar mit der Tatsache, dass sie selbst keinen Kinderwunsch hegte – eine in dieser Form auch selten filmisch vermittelte Darstellung. Die beiden ineinander verwobenen Zeiträume kreieren so das facettenreiche Bild einer Künstlerin, einer Liebenden, einer Feministin, deren innere Reise die Befreiung von der Belastung durch die Vergangenheit bedeutet. Die Inszenierung auf audio-visueller Ebene sorgt schließlich für ein eindrucksvolles Erlebnis, das in einem ausdrucksstarken Endbild kulminiert: die Reise bewegt sich durch die Wüste und zwischen Städten Europas, doch am End findet doch der größte Umbruch im Inneren statt.

Kinostart: 19. Oktober 2023

Bianca Jasmina Rauch
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