Viennale 2023: Smoke Sauna Sisterhood 

Die Sauna: viele von uns haben sie als Ort zum Schwitzen schon am eigenen Leib erfahren. In südöstlichen Estland handelt es sich bei der Rauchsauna aber um viel mehr als um einen Wellness-Trend. Anna Hints findet in ihrem dokumentarisch angelegten Film nicht nur Bilder, die die Võro-Tradition und ihre Rituale näherbringen, sondern die eine tiefer liegende Ebene des Beisammenseins in der heißen Holzhütte in den Vordergrund rückt. Die Sauna wird zum safe space, in dem sich die Gefilmten über freud- und schmerzvolle Erfahrungen  austauschen, Traumata freilegen und sich gegenseitig den Rücken stärken.

© Ants Tammik, Alexandra Film

Während die Temperatur im heißen Holzhaus schon mal bei 80 Grad liegen kann, sinkt sie im Freien bis zu Minus 20 Grad Celsius. Bedingungen, die eine Herausforderung im Umgang mit dem technischen Equipment bedeuteten. Doch eine weitere Herausforderung begegnete Anna Hints beim Dreh ihres Films: Wie einen Film gestalten, in dem vor allem nackte Frauenkörper in einem engen Raum sitzen, liegen, miteinander interagieren? Wie inszenieren, um objektifizierende Aufnahmen zu vermeiden? Diese Fragen stellte sich die Regisseurin bereits, bevor sie die Protagonistinnen, vor allem Leute aus ihrer eigenen Community, für ihr Vorhaben gewinnen wollte. Sie fertigte Probeaufnahmen, in denen sie selbst vor die Linse rückte und führte sie den Personen vor, die Teil des Films werden sollten, so berichtete sie in einem Bühnengespräch während der Viennale 2023. Eine Vorgangsweise, die auf einem Konsens zwischen Filmenden und Gefilmter beruht und als solche die Sensibilität von Regie und Kamera (Ants Tammik) unter Beweis stellt. Hints Vorgangsweise stellt sich als gelingend heraus: Smoke Sauna Sisterhood zelebriert die Vielfalt von Körpern, von Brüsten, Haut, Füßen, Haaren, Vulven (wobei diese eher weniger sichtbar werden) und Gesichtern (nicht alle geben sich zu erkennen). Ruhige Bilder, kaum eine Kamerafahrt, nahe Aufnahmen lassen uns die Körper urteilsfrei als das sehen, was sie sind: Körper.

© Ants Tammik, Alexandra Film

Die Saunierenden sitzen nicht nur im Stillen. Erstens springen sie zwischendurch in den eiskalten See, peitschen sich sanft mit Birkenlaub oder waschen sich. Zweitens sprechen sie über ihr Leben. Während wir anfangs lustige Anekdoten hören (etwa von dick pics und sexuellen Vorlieben) und das viele Gelächter uns zum Mitlachen anregt, lernen wir dann auch emotionalere Geschichten und Erfahrungen kennen, bis der Film gegen Ende zu einer  der bewegendsten Schilderungen hinleitet. Das Erzählen an sich kennt hier keinen Zeitdruck, hat im Halbdunkel der Dämpfe eine gewisse Gelöstheit und Geborgenheit, etwas Befreiendes. Es fühlt sich an, als müsste hier keine performen, ein Drang, der sonst schnell entsteht, wenn Gespräche vor der Kamera in einem hell ausgeleuchteten und drapierten Setting stattfinden. Eine Sauna-Sitzung kann schon mal acht Stunden dauern, so Hints, und Zeit braucht es oft auch, um Dinge hervorzukehren, die tief in einer drinnen liegen. Wie der Wasserdampf auf den heißen Steinen langsam kondensiert, dringen nun Erfahrungen hervor, die längst an die Oberfläche sollten, die aber bisher von der Verstrickung in die gesellschaftlichen Strukturen unterdrückt wurden.

© Ants Tammik, Alexandra Film

Begleitet wird der Sauna-Besuch auch von Ritualen wie etwa Gesängen oder dem Einreiben mit Sand. Eine körperlose, fast mystisch wirkende Stimme erzählt von einer Zeit, in der auch Geburten in der Sauna stattfanden. In einer anderen Einstellung sehen wir den Prozess des Räucherns von Fleisch. Die Sauna wurde von der UNESCO zum immaterielle Kulturerbe der Menschheit ernannt und mit dem Wissen, dass sie auch einen Safe space bildet und somit wichtige psychische Funktionen erfüllt, kann eins diese Entscheidung nur bejubeln. Nach Smoke Sauna Sisterhood kommt die große Lust und Hoffnung auf von Anna Hints in Zukunft noch mehr zu sehen.

Ab 23.11. im Kino.

Bianca Jasmina Rauch
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