Nyad: Schwimmen fürs Ego wo andere fliehen – Ein Kommentar
CN: Dieser Film und der Text darüber thematisieren sexualisierte Gewalt.
Diana Nyad war die erste Person, der es gelang, die 177 km lange Strecke von Havanna nach Key West ohne einen Haikäfig in insgesamt 53 Stunden (!) zu schwimmen. Und zwar mit damals 64 Jahren. Es war ihr insgesamt fünfter Anlauf. So erzählt es der Film Nyad von Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin, der aktuell beim Streaming-Dienst Netflix zu sehen ist und auf Nyads Autobiographie Find A Way beruht. Tatsächlich wurde die Leistung der US-amerikanischen Schwimmerin aufgrund fehlender Dokumentation ihrer Ozeandurchquerung und Widersprüchen in den Berichten der Crew nie offiziell anerkannt, was der Film großzügig vernachlässigt. Die eigentlichen Probleme des BioPics liegen allerdings ganz woanders.
“Eindeutig beeindruckend genug und eines BioPics mehr als würdig”
Im Grunde spielt es für die heldinnenhaftigkeit der Hauptfigur – verkörpert von Annette Bening – eine untergeordnete Rolle, unter welchen Bedingungen sie schließlich die Floridastraße überquert hat. Fünf mal zu versuchen, einen Ozean zu durchqueren, davon viermal in einem Alter von über 60 Jahren, ist eindeutig beeindruckend genug und eines BioPics mehr als würdig. Umso erfreulicher, dass sich der 2023 beim Telluroid Festival in Colorado uraufgeführte Film nicht in die unsägliche Tradition jener Frauenbiographien im Kino einfügt, die ausschließlich mit dem Vornamen ihrer Protagonistin benannt sind.
Nyad macht also vieles richtig, erzählt eine packende Geschichte von interessanten Charakteren und schafft mit der Figur Diana Nyads darüber hinaus eine komplexe Rolle, in der Schauspielerin Annette Bening glänzen kann. Denn Diana ist keine aalglatte Heldin, der wir unüberlegt zujubeln, sondern eine ziemlich arrogante Person, von der wir nie ganz sicher sein können, ob sie ihrem Vorhaben wirklich gewachsen ist oder nicht doch an maßloser Selbstüberschätzung leidet. Der Rückgriff auf Erlebnisse sexualisierter Gewalt in ihrer Jugend als Schwimmschülerin von Jack Nelson zur Erklärung ihrer Verbissenheit wirkt hierbei fragwürdig, fungiert dieser Teil der Geschichte doch nur als Mittel zum Zweck, ohne sich dem Phänomen Rape Culture im Allgemeinen und Sport im Besonderen in ausreichendem Maße zu widmen. Die zahlreichen, aber glücklicherweise elliptischen diesbezüglichen Erinnerungsfetzen dienen ausschließlich dazu, die Persönlichkeit der Hauptfigur herzuleiten, was mit Sicherheit auch auf anderem Wege gelungen wäre. Nicht zuletzt sagt die Diana Nyad des Films über ihre eigenen Missbrauchserlebnisse explizit, dass diese sie nicht gebrochen oder verändert hätten.
“Diana Nyad schwimmt die Strecke für ihr Ego” – Der Film im Kontext der aktuellen kubanischen Massenmigration
Neben dem Lob für diesen gelungenen Unterhaltungsfilm, der die Leerstelle von respekteinflößenden biographischen Filmen über Sportlerinnen füllt, müssen wir Nyad aber auch im zeitgenössischen Kontext sehen und kritisieren. Diana Nyad, und das macht der Film sehr deutlich, schwimmt die Strecke von Havanna nach Key West vornehmlich für ihr eigenes Ego. Weil sie es kann. Nicht nur körperlich, sondern auch aufgrund ihrer Privilegien als weiße US-Amerikanerin mit den finanziellen Möglichkeiten und Kontakten, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Was der Film trotz Diana Nyads wiederholt betonter großer Liebe zu Kuba dabei unter den Tisch fallen lässt, ist, dass jene Strecke von Havanna nach Key West auch eine Fluchtroute ist.
Im Jahr 2022 hat die US-amerikanische Küstenwache 6.000 Kubaner:innen aufgegriffen, die zumeist mit improvisierten und kaum seetauglichen Booten versuchten, illegal in die USA einzureisen. Dazu kommen all jene, denen die Überfahrt nicht gelungen ist, die umdrehen mussten oder auf dem Meer zu Tode kamen. Auch in diesem Jahr haben sich wieder tausende über diese Route auf den Weg in ein besseres Leben gemacht. Zwar handelt es sich hierbei um eine durch die aktuelle Wirtschaftskrise in Kuba und staatliche Repressionen verstärkte Migrations- und Fluchtbewegung, die so im Jahr der Durchquerung 2013 nicht stattfand, doch ist eben jene Route spätestens seit der “Sonderperiode” des karibischen Staates in den 90er Jahren als Fluchtroute bekannt. Eine Info-Tafel am Ende, eine Erinnerung an die Menschen, die auf dieser Strecke ihr Leben lassen, die sie nicht aus Gründen der Selbstverwirklichung, sondern des Überlebens schwimmen bzw. fahren, wäre das Mindeste gewesen. Selbstredend ist Nyad auch nicht auf Kuba, sondern in der benachbarten Dominikanischen Republik gedreht worden, was unschwer an den viel zu pittoresken Spielorten zu erkennen ist. So zentral Kuba vermeintlich für Diana Nyad gewesen ist, so wenig interessiert sich ihr BioPic für das Land und seine Bevölkerung.
Der englischsprachige Wikipedia Eintrag zu Nyad erwähnt mehrere Abweichungen der Handlung von den realen Ereignissen und Dianas Nyads Biographie zum Ziele der heroischen Charakterisierung der Hauptfigur – eine in jeglichen Biographien gängige und für die Dramaturgie förderliche Praxis, auch wenn bei FLINTA-Figuren natürlich gerne ganz genau hingeschaut wird. Figuren, denen wir in Filmen mehr Pathos und Heldentum verleihen als ihre Biographien eigentlich hergeben, sind nun mal traditionell cis männlich. Viel entscheidender aber als eventuelle Abweichungen von realen Ereignissen ist die fehlende Kontextualisierung eines Films, der aus allen Poren das Privileg des globalen Nordens atmet. Wie perfide ist es, inmitten einer faktischen Migrationskrise, einem Massenexodus von Menschen, die vor Hunger und Verfolgung fliehen, eben jene Route als Freizeitvergnügen zu inszenieren!?
Der Film ist seit dem 3. November 2023 bei Netflix zu sehen.
Ein sehenswerter Film zum Thema kubanische Migration- und Fluchtbewegung über die Floridastraße ist zum Beispiel Una Noche von Lucy Malloy, zu streamen bei filmingo
- FFHH 2024: Blindgänger - 2. Oktober 2024
- FFHH 2024: Bird - 2. Oktober 2024
- FFHH 2024: The Assessment - 2. Oktober 2024
Liebe Autorin, es ist eine Autobiographie. Es geht hier nicht um die Fluchtbewegung, sexuelle Gewalt vordergründiger dazustellen, die kubanische Gesellschaft aufzuzeichnen, um weiße Priviligiertheit. Es geht um ein großes Schwimmtalent. Um eine Sportlerin die eine sehr herausfordernde Überquerung wagt. Ähnlich übrigens wie viele Andere die einen Rekord brechen wollen. Es geht um das Mindset was man besitzen muss, die inneren und äußeren Erlebnisse die man hat, wenn man so viele Stunden schwimmt im Wasser. Wie der Körper und die Psyche herausgefordert werden und wie man dem begegnet. Es ist super interessant, einschließlich der Versuche und der Naturgegebenheiten die u.a die Durchquerung behindert haben. Sorry Kritik finde ich völlig verfehlt.
Liebe Verena, wie der Titel des Artikels bereits andeutet, handelt es sich hier um einen Kommentar und keine klassische Filmkritik (wobei auch zu diskutieren wäre, warum eine Filmkritik die von Dir genannten Aspekte angeblich nicht erwähnen darf). Jeder Film, aber ein fiktionaler umso mehr, trifft künstlerische Entscheidungen, die das Ergebnis von der Realität entfernen. Deshalb ist es durchaus wichtig, diese künstlerischen Entscheidungen zu reflektieren und aufzuzeigen, was Filme neben der offensichtlichen Handlung noch erzählen. Die Leistung der Hauptfigur schmälert diese kritische Auseinandersetzung nicht, da sich der Text auf die filmische Inszenierung bezieht. Aspekte wie (post)koloniale Fragen zu berücksichtigen, gehört zu einer intersektionalen feministischen Auseinandersetzung wie wir sie hier anstreben dazu. Die kritische Betrachtung der Darstellung sexualisierter Gewalt sowieso. Dies ist ein Medium für feministische Filmkritik. Wenn Du Texte ohne Bezug auf den gesellschaftlichen Kontext suchst, empfehle ich nach anderen Medien Ausschau zu halten.