Nyad

Am 13. August 1978 startete die damals 28-jährige Langstreckenschwimmerin Diana Nyad ihren 1. Versuch, die über 170 km lange Strecke von Havanna, Kuba nach Key West, Florida an einem Stück durchzuschwimmen. Ein Vorhaben, das bereits in den Kindheitsträumen der Langstreckenschwimmerin Form annimmt und sie auch noch weit darüber hinaus begleitet. Ein Leben geprägt von dem festen Willen, die Grenzen des körperlich Machbaren auszureizen, auch um gegen die Schmerzen der Vergangenheit in den Widerstand zu gehen.

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___STEADY_PAYWALL___Der Biopic Nyad, Spielfilmdebüt der Dokumentarfilmer*innen Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin und nach einem Drehbuch von Julia Cox, beginnt einen Tag vor Dianas (Annette Bening) 60. Geburtstag. 30 Jahre sind seit ihren letzten Langstreckenrekorden vergangen, der Schwimmsport liegt lange hinter ihr. Scrabble spielen und regelmäßige Besorgungen mit der besten Freundin Bonnie (Jodie Foster) bestimmen jetzt Dianas unaufgeregten Alltag. In dieser so oft als Herbst des Lebens angepriesenen Lebensphase lassen Diana aber die Erinnerungen an die Träume und Anstrengungen der Kindheit und Jugend nicht los und so macht sie sich daran, das Unerreichte wahr zu machen.

Was aber bereits 1978 nicht möglich war, erscheint auch über 30 Jahre später als unwahrscheinlich: unberechenbare Wetterlagen, Gefahr durch Meeresbewohner*innen und Dianas Alter lassen ihr Umfeld an der Umsetzung der über zwei Tage dauernden Extrem-Schwimmleistung zweifeln. Dabei, und das zeigt Nyad in seiner über zweistündigen Laufzeit deutlich, mangelt es Diana weder an Fitness noch an Willensstärke. Auch in ihren 60ern hat Diana  kein bisschen Durchsetzungsvermögen gegen Zweifler*innen und Lust am Krafttraining verloren.

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Neben einem Haupterzählstrang, der 2010 einsetzt, inszeniert Nyad Dianas Lebensgeschichte mit Einschüben von realen Film- und Tonaufnahmen aus dem Archiv sowie mit vereinzelten Spielfilmszenen, die auf Dianas Kindheit und Jugend zurückblicken. So zeigen Chai Vasarhelyi und Chin, wie sich ihre Ursprünge im Dokumentarfilm mit den Möglichkeiten der fiktionalen Spielfilmarbeit verbinden lassen. Dabei dient das Meer mit seinen unendlichen Weiten und lautloser Unterwasserwelt als eine Art Hohlraum, in der Erinnerungen immer wieder zurückkehren und gleichsam Bürde des Vergangenen und Ansporn für das, was vorausliegt, sind. Je weiter der Film voranschreitet, je weiter das Meer eingenommen wird, desto mehr brechen Wunden einer von patriarchalen Wunschvorstellungen und Lebensweisheiten geprägten Kindheit und Jugend, in der männliche Vorbilder auch Täter sind, auf. Zuschauer*innen erleben Dianas Schwimm-(Alb-)Träume als Wechsel zwischen thrillerhaftem Open-Water-Abenteuer und exzellent gespieltem zwischenmenschlichen Drama vor den tropischen Kulissen Floridas, St. Marteens und Kubas.

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Chai Vasarhelyi und Chins Film scheut sich trotz der wahren Geschichte um unendlichen Glauben an die eigenen Möglichkeiten, die hinter dem Film steckt, nicht die Momente der Rücksichtslosigkeit der Hauptfigur offenzulegen und wie sich deren stoische Beharrlichkeit auf die eigene Gesundheit wie auch Beziehungen zu Vertrauenspersonen auswirkt. Dianas mentale wie physische Stärke ist beim Zusehen nicht eine einfache Quelle der Inspiration, sondern enthüllt nach und nach eine Besessenheit, die Angst einjagt. Es ist vor allem Benings durchweg klarem Schauspiel und einem vorsichtigen Herantasten an Realitäten, wie junge Frauen im Sport wertenden Blicken wie auch gewalttätigen Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnissen ausgesetzt sind, geschuldet, dass Dianas unberechenbarer und unbequemer Traum an der Küste Key Wests anzukommen auch Zuschauer*innen zur emotionalen Verbundenheit aufruft. So entfaltet sich Nyad weniger als Filmbiografie nach Lehrbuch, sondern erforscht Dianas Schwimmversuche durch die Floridastraße als eine Reise der Erinnerungen durch Momente der Widerstandsfähigkeit und des Durchhaltevermögens.

Nyad ist seit dem 3.11.2023 auf Netflix zu sehen.

Sabrina Vetter