Für immer
Warum lachen wir so gerne über alte Ehepaare, insbesondere ihre scharfzüngigen Wortwechsel? Vielleicht weil wir uns einerseits selbst darin sehen und doch als junge Menschen genug Abstand davon haben, um uns nicht entlarvt zu fühlen. So oder so liegt eine nahezu natürliche Faszination im Beobachten einer Jahrzehnte währenden Liebe, wie jene die Pia Lenz in ihrem Dokumentarfilm Für immer portraitiert.
Eva und Dieter sind seit den 50er Jahren verheiratet, ihre Beziehung ist durch Höhen und Tiefen gegangen, hat den Tod eines Kindes und Seitensprünge beider Parteien, ja sogar eine vorübergehende Trennung überlebt. Und nun werden sie miteinander alt. Der Traum: miteinander sterben, um nicht den Schmerz ertragen zu müssen, den anderen zu überleben. Doch wie so oft, ist auch hier das Leben kein Wunschkonzert und während Dieter weiterhin mit Kraft und Elan im gemeinsamen Garten werkelt, wird Eva schwächer und schwächer. Das Unvermeidliche ist absehbar.
Pia Lenz begleitet das Ehepaar auf diesem letzten Abschnitt des gemeinsamen Weges beobachtend und mit einer ruhigen, oft statischen Kamera im Alltag. Parallel dazu erzählt sie mit Hilfe von Fotografien und Videoaufnahmen chronologisch die Geschichte von Eva und Dieters Begegnung, Hochzeit, Beziehung und Familienleben. Beide Ebenen der Geschichte begleiten Texte von Eva, Tagebucheinträge und Briefe, die Nina Hoss im Voice Over vorträgt.
Die Montage und Arbeit mit Musik kennzeichnet Für immer dabei von Anfang an als einen Film, der uns tief berühren will, vielleicht etwas zu sehr sogar. Insbesondere die Rückblicke auf das romantische Kennenlernen des Ehepaars schafft eine als solche deutlich wahrnehmbare Fallhöhe, die vor allem dazu dient, das durch das Leben selbst vorgegebene Ende emotional noch intensiver zu gestalten. Es scheint, als habe Pia Lenz in dieser Hinsicht nicht genug Vertrauen in ihre Protagonist*innen und deren Geschichte, die auch alleinig jene Emotionen hätten wecken können, die hier Montage und Musik geradezu erzwingen.
Für immer richtet den Blick auf einen Lebensabschnitt, den das Kino gerne vernachlässigt: Und dann lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende. Zum einen zeigt dieser Film, dass es so einfach eben nicht ist, und vor dem glücklichen Lebensende eine Reihe von Verlusten, Krisen und Entbehrungen durchschritten werden muss. Die Geschichte Eva und Dieter baut kein Traumschloss von der perfekten Liebe, sondern schafft Raum für Zweifel und Verletzungen, zeigt, dass die Harmonie, die wir im Film zwischen den verliebten Senior*innen erleben, nicht die Voraussetzung, sondern das Ergebnis ihrer gemeinsamen Zeit darstellt.
Hervorzuheben ist dabei der respektvolle Umgang der Kamera, geführt von Pia Lenz selbst, mit den alternden Körpern, die hier weder romantisch verklärt, noch dem Voyeurismus eines jüngeren Publikums angeboten werden. Insbesondere wenn Evas körperlicher und geistiger Verfall an Tempo gewinnt, zeigt die Filmemacherin Zurückhaltung. Sie wahrt jene Würde, von der Eva selbst sagt, dass sie sie in der Abhängigkeit von ihrem Ehemann verlöre. Also ja, Lenz möchte uns rühren, gerne auch zu Tränen, aber nicht um jeden Preis.
Wir könnten uns darüber streiten, ob diese heterosexuelle Ehe, die trotz offener Phasen doch grundsätzlich der Idee der Monogamie verhaftet ist, als Beziehungsform nicht überholt ist, ob sie nicht oft genug erzählt wurde, um eine toxische Erwartungshaltung an uns und unsere zwischenmenschlichen Begegnungen zu schüren: Nur wenn wir altes Ehepaar noch immer händchenhalt auf der Parkbank sitzen, haben wir wahrhaft geliebt. Diese Kontextualisierung innerhalb einer heteronormen Kinotradition mit streng limitierter Vorstellung von Romantik muss Für immer trotz aller Stärken aushalten.
Nur ein ganz bestimmter Teil unserer Gesellschaft kann sich in Eva und Dieter erkennen, aber vielleicht ein größerer in ihrer gemeinsamen Reise. Denn ja, es liegt eine unleugbare Faszination in der Beobachtung dieser beiden Menschen in ihrem alltäglichen Beziehungsleben, vielleicht trotz aller Unterschiede durch Alter, sexueller Orientierung oder Lebensweise eine uns allen gemeinsame Sehnsucht nach jenem Gegenüber, dass bis zum Ende unsere Hand hält.
Kinostart: 9. November 2023
- Irene von Alberti über Die geschützten Männer - 11. Dezember 2024
- Interview: Elizabeth Sankey über Witches - 25. November 2024
- FFHH 2024: Blindgänger - 2. Oktober 2024