Berlinale 2019: God Exists, Her Name Is Petrunya
An einem kalten Januartag kehrt die studierte 32-jährige Historikerin Petrunya (Zorica Nusheva) von einem erneut erfolglosen Bewerbungsgespräch zurück. Die Erniedrigung durch die sexuellen Avancen des potentiellen Chefs sowie die anhaltenden Beschimpfungen ihrer Mutter (Violeta Shapkovska), Petrunya solle sich endlich einen Job und einen Mann* suchen, Kleider tragen und am Besten noch abnehmen, sitzen der Heldin noch in den Knochen. An just diesem Tag findet in ihrem mazedonischen Heimatdorf ein christlich-orthodoxes Ritual statt, bei dem der Priester ein Holzkreuz in den eisigen Fluss wirft. Dem Mann*, der es fängt beziehungsweise aus dem Wasser zieht, ist ein glückliches Jahr gewiss. Ohne groß darüber nachzudenken, springt Petrunya nun selbst in die Fluten und ergreift das Kreuz – ein emanzipatorischer Akt, der ihr die geballte maskulinistische Aggression der übrigen Teilnehmer beschert.
Regisseurin Teona Strugar Mitevska inszeniert ihre Hauptfigur von Anfang an als feministische Heldin, die sich selbstbewusst gegen traditionelle Rollenvorstellungen durchsetzt. Auch wenn sie bei der Jobsuche scheitert und immer wieder immens verletzender Kritik ihres Körpers ausgesetzt ist, wirkt Petrunya nie wie ein Opfer, sondern immer wie eine Kämpferin. Auf filmästhetischer Ebene entfaltet sie in Close Ups und als Zentrum symmetrischer Bildkompositionen große Präsenz und Stärke. Und so wirken ihr Sprung ins Wasser wie auch die Verteidigung ihrer Trophäe gegen den wütenden Mob, den Priester und die Polizei nur konsequent.
Strugar Mitevskas verabreicht ihre feministische Botschaft mit dem Holzhammer, auf dass auch noch der letzte ignorante Maskulinist im Publikum sie verstehen möge. Sie enttarnt nicht nur Sexismus und Misogynie der mazedonischen Gesellschaft, sondern auch der christlich-orthodoxen Religion und formuliert darüberhinaus ein klares Statement für die Trennung zwischen Kirche und Staat. Petrunya hat kein Verbrechen gegen den Rechtsstaat, sondern gegen das Patriarchat begangen – eine Differenzierung, die nicht nur die Angeklagte, sondern auch die berichtende Journalistin Slavica (Labina Mitevska) immer wieder betont. In ihrem mehr als offensichtlichen feministischen Ansinnen ist Regisseurin Teona Strugar Mitevska jedoch nicht verbissen, sondern entwickelt aus der Absurdität sexistischer Strukturen geschickt einen bissigen, leicht satirischen Humor.
Obwohl die Handlung von God Exists, Her Name Is Petrunya auf wahren Begebenheiten basiert – 2014 sorgte eine Frau* in Ost-Mazedonien tatsächlich mit ihrer unerwünschte Teilnahme an obig beschriebenem Ritual für einen Skandal – ist Teona Strugar Mitevskas Film eine paradigmatische Erzählung, die vom weltumspannenden Phänomen aggressiver Misogynie erzählt. Der wütende Mob, der Petrunya bis aufs Polizeirevier folgt, ähnelt verdächtig den verbal um sich schlagenden Trollen in sozialen Medien, der Incel-Bewegung oder anderen maskulinistischen Phänomenen, die Gleichberechtigung als Kriegserklärung gegen Männer* begreifen, der nur mit erhobenen Waffen begegnet werden kann.
Ein bisschen subtiler hätte diese Parabel vielleicht dennoch sein können. Insbesondere Slavica tritt mit ihrer Moderation für die Fernsehkamera als feministische Erklärbärin auf, die nicht nur dem fiktiven TV-Publikum, sondern auch den Kinozuschauer_innen das Einmaleins der Gleichberechtigung auf Grundschulniveau nahebringt. Es ist fraglich, ob diese Form der Ansprache ein skeptisches Publikum umstimmen kann oder durch die hierin wurzelnde Komik nicht eher die feministische Botschaft unterminiert.
Die wahre Stärke von God Exists, Her Name Is Petrunya ist nicht die Holzhammer-Aufklärung über Frauen*rechte, sondern die beeindruckende Hauptfigur. Petrunya bleibt trotz ihrer Entschiedenheit stets menschlich. In ihrem Gesicht spiegeln sich ein ums andere Mal Angst und Verunsicherung und einmal rollen gar Tränen. Auch für sie hat der Kampf um das Holzkreuz ausschließlich einen symbolischen Wert: Es ist ihr Recht auf Glück, für das sie hier eintritt, das Recht als Frau* ihrem Traumberuf nachzujagen und sich von Körpernormen und anderen sexistischen Zuschreibungen freizumachen.
God Exists, Her Name Is Petrunya ist ein Film über den zuweilen harten Weg der Emanzipation, mit allen seinen Gefahren, Gegner_innen, aber auch Alliierten. Es ist eine große Stärke von Teona Strugar Mitevskas Konzept, dass ihr Film dem durch Slavica formulierten Anspruch an Geschlechtergerechtigkeit in seiner Figurenkonstellation auch selbst entspricht und auf sexistische Zuordnungen verzichtet. Genauso wie es Frauen* gibt, die Petrunya in den Rücken fallen, gibt es auch Männer*, die sie unterstützen. Damit bietet God Exists, Her Name Is Petrunya nicht nur eine emanzipatorisch wertvolle Heldin, sondern auch positive männliche* Identifikationsfiguren. Feminismus, das macht Teona Strugar Mitevska hier sehr deutlich, ist eben kein „Frauen*thema“.
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