Alle Reden Übers Wetter – Partikular und dennoch universell

Die Akademikerin Clara (Anne Schäfer) zieht aus der Provinz in die Großstadt, um ihre Doktorarbeit über Hegel schreiben zu können, doch das neue Berliner Leben ist anspruchsvoll: Sie kämpft mit dem eigenen Leistungsdruck und Verstrickungen mit der alten Heimat. In Annika Pinskes erstem Film Alle Reden Übers Wetter wird dieser Konflikt an der komplexen Figur der auf den ersten Blick von Gelassenheit erfüllten Clara gezeigt. Claras Widersprüchlichkeit den verschiedenen Aspekten ihres Lebens gegenüber schafft einen Raum, in dem der Kampf um Anerkennung erzählt werden kann. Die Unvereinbarkeit der Vergangenheit und der Gegenwart erzeugt eine spürbare Spannung, die Clara die Zukunft nur als eine von Ambivalenz gefüllte Stimmung empfinden lässt. In den von patriarchalen Strukturen gefangenen Hallen von Berliner Universitäten findet Clara int Margot (Judith Hoffman) eine Mentorin und Ratgeberin, deren explizite, durch harte Arbeit gewonnene beißende Art Clara eine Verhaltensweise vorgibt, die sie selber übernehmen muss, um in jener Akademiker:innen-Welt voranzukommen. Ambitioniert, gnadenlos, berechnend und besessen davon, nach oben zu kommen, strapaziert Margo andere und verlässt keine Situation ohne einen scharfen Kommentar. Allerdings wird durch familiäre Gründe Claras Vergangenheit im Mittelpunkt stehen, die nicht nur als Geist zurückkommt, sondern als eine gleichberechtigte Realität, eben so wirklich wie die universitären Hallen, in denen Clara einen Namen für sich selbst zu schaffen versucht. ___STEADY_PAYWALL___

Charakterisiert als eine sehr deutsche Geschichte, Ost und Westunterschiede werden aufgegriffen und gegenübergestellt, findet Alle Reden Übers Wetter eine universelle Dimension. Der Aufstieg eines Kindes der Arbeiterklasse aus der ostdeutschen Provinz in die akademische Welt steht im Einklang mit grenzenlosen Migrationsgeschichten und klassenübergreifenden Beziehungen, in denen die Protagonist:innen durch ihre (ideologischen) Umstände an ein bestimmtes Erfolgsnarrativ gebunden sind. Der Effekt der Desorientierung, den Clara beispielsweise erlebt, wenn sie ihren Ex-Mann wiedersieht oder in ihr altes Haus zurückkehrt, stellt eine Sinnkrise dar, die durch Pinskes Linse als Konfrontation erscheint und in ihrer Entfaltung nicht ohne Humor oder Ironie ist. Clara ist nicht unbedingt „verloren“, sondern vielmehr von Momenten der Verkennung und Anerkennung durchdrungen, in denen sie sich fragt, ob dies der Weg ist, den sie wirklich will, und ob das, was sie zurückgelassen hat, wirklich verzichtbar ist.

©Grandfilm

Ausgehend von einem einfachen und unkomplizierten Plot, wählt der Film eine  relativ direkte Bildsprache, die den Schauspieler:innen die Möglichkeit gibt, ihre Wirkung durch Textarbeit zu maximieren, um den Raum, in dem sie sich befinden, adäquat zu besetzen. Aufgrund der relativen Direktheit des Drehbuchs hätte man die Schaffung eines angemessenen kinematografischen Raums als zweitrangig ansehen können, aber Ben Bernhards Kamera rahmt die Figuren so ein, dass sie sich den Raum, in dem sie sich befinden, mit ihren Dialogen aneignen. Es werden Räume geschaffen, die eine Stimmung erzeugen: Entfremdung, Ambivalenz, Gleichgültigkeit, der Kampf gegen sich selbst. Clara wird in vielen Gesprächen, die sie führt, konfrontiert und herausgefordert, und die Kameraführung ist demgegenüber nicht gleichgültig, sie bleibt halbdistanziert und gestaltet die Interaktionen als Herausforderungen, nicht als einfache und direkte Gespräche. Aufgrund der Unmittelbarkeit der Handlung warten die Gefühlsausbrüche zwischen Figuren fast immer im Hintergrund auf ihre Chance, plötzlich hervorzutreten. Wenn es dann endlich passiert, ist der Auftritt unkompliziert und vereinfacht und erklärt die Themen des Films zu deutlich. Sie verändern die Gesamtheit, denn der Moment des Ausbruchs gibt der Erzählung eine narrative Kohärenz. Das Drehbuch schafft jedoch keine Versöhnung durch die am Gefühlsausbruch beteiligten Figuren in Form eines erklärenden und alles heilenden Schlussgesprächs. Alle Reden Übers Wetter interessiert sich nicht für die gegenseitige Anerkennung in Form einer einfachen dialogischen Auflösung, sondern für die unterschiedlichen und komplizierten Arten, in denen sich die Hauptfigur in anderen Menschen verkennt. 

Liebe, Respekt und soziale Wertschätzung – die von Sozialphilosoph Axel Honneth (1994) skizzierten Anerkennungsformen, in denen sich der Mensch als soziales Wesen in einem Kampf zwischen Anerkennung und Verkennung befindet, sind keine Prozesse, die auf eine bestimmte soziale Konstellation, wie die von Mutter und Tochter, beschränkt sind, sondern sind in der Gesellschaft zu thematisieren, im Raum der Gründe mit anderen auszuhandeln. Anne Schäfers Clara misshandelt ihr romantisches Interesse, kämpft um Respekt im universitären Establishment und findet sich im widersprüchlichen Verhältnis der sozialen Wertschätzung gefangen: Welche Meinung zählt, die aus der ostdeutschen Provinz oder die aus der Universität? Und welche kann ihr die gewünschte Anerkennung bringen? Hierauf gibt es keine einfachen Antworten, Clara verlangt fast schon individualistisch das Beste von sich selbst und sieht die anderen nur als Störfaktoren, ihre Ansprüche distanzieren sie von ihnen. „Ich will mich nicht mehr über alles erheben müssen“, sagt sie, als sie mit der Realität ihrer Bedürfnisse konfrontiert wird. “Das musst du dir schon selbst verzeihen, dass du mehr vom Leben willst”, wird ihr geantwortet und Clara wundert sich in einer Wolke der Ambivalenz über die Opfer, die sie bringen muss, und die Person, die sie werden muss, um ihre Ziele zu verfolgen. Pinskes erzählerische Eindeutigkeit und präziser Blick für die Komik der Widersprüche verleihen dem Film eine durchdachte Qualität, aber diese gut beobachteten Elemente beschränken ihn auch auf eine kompakte thematische Sauberkeit, die das Werk ohne produktiven Spielraum lässt.

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Pinske arbeitet weniger mit Symbolik als mit der expliziten Kommentierung der Szenen durch die Figuren. Verhaltensweisen, Denkweisen, Einstellungen werden scharf kritisiert, so rücksichtslos gehen ihre Figuren miteinander um, dass Momente der Zärtlichkeit entweder abrupt abgebrochen werden oder von vornherein unmöglich erscheinen. Clara erfährt diese Zärtlichkeit schließlich in kleinen, intensiven Momenten, in denen sich der Ballast der Vergangenheit für einen Augenblick zu lösen scheint und die Wege der Zukunft vor ihren Augen aufleuchten. Die widersprüchliche Clara wird weniger erkannt als vielmehr verkannt, sie verstrickt sich auf ihrem Weg in Widersprüche, weil es produktiv ist, dass sie so ist. Einige derjenigen, die hart arbeiten, um in das System zu gelangen, sind die gleichen, die es aufrechterhalten.

Kinostart 15.09.

Giancarlo M. Sandoval
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