Ich hab dich tanzen sehn – Interview mit Sarah Pech, Eva Kirsch, Paul Stümke
Margarita geht durch die Stadt, ihre Schritte erfüllt von der Entdeckungslust, die sie durch ihren Stadtteil treibt, die Menschen betrachtend, den Spaziergang durch die Nacht genießend, mit den extrovertierten Schritten einer Introvertierten, die sich unter dem Himmel zurechtfindet. Das Beobachten der Anderen wird weder zu passiver Hauptbeschäftigung noch zu manipulativem Eingreifen; aus sanften Verschiebungen und Begegnungen, die in Form von sorgfältig ausgewählten Aufnahmen oder orchestral inszenierten Kameraschwenks ihre kinematographische Zartheit finden, der Suche nach der anständigen Verwunderung gehorchend, besteht Sarah Pechs Kurzfilm Ich hab dich tanzen sehn, der im Rahmen der Max Ophüls Preis seine Premiere feierte, in der Diagonale zu finden war, und jetzt in Kurzfilm Hamburg und Vienna Shorts zu sehen sein wird.
Die Filmlöwin hatte die Chance, mit dem Filmteam – Sarah Pech, Eva Kirsch und Paul Stümke – über den Kurzfilm und das Filmemachen im Allgemeinen zu sprechen.
Wie seid ihr zum Filmemachen gekommen?
Paul Stümke: Über den Schnitt. Eigentlich habe ich früher Comics gezeichnet und dann kam Video dazu, was ja sehr ähnlich funktioniert: von einem Bild zum nächsten. Da habe ich gemerkt, dass mich der Schnitt interessiert und habe Sachen zusammengeschnitten. Dann hatte ich Lust, die Sachen, die ich da schneide, auch selbst zu filmen. Und zum Glück gab es in der Stadt, aus der ich komme, kollektive Strukturen, wo man sich ausprobieren konnte. Das war der Anfang.
Eva Kirsch: Das ist wohl die simpelste Frage, aber auch die schwierigste. Eine Faszination für Film hat sich bei mir dadurch herauskristallisiert, dass ich ganz viel mit meinem Vater im Kino war als Jugendliche. Es war eine Aktivität, die man gut miteinander machen konnte, auch wenn man sich vielleicht nicht so viel zu sagen hatte. Oder weil es schwierig war miteinander zu sprechen, weil man jugendlich war und alles schwierig war. Ich habe dann einen Umweg übers Theater und Performancekontexte genommen: Ich habe in Gießen Angewandte Theaterwissenschaft studiert, dort auch einen Bachelor gemacht und dabei erstmal Film ein bisschen aus den Augen verloren. Aber ich habe im Kino gearbeitet, das war damals ein Freizeitding. Später habe ich angefangen, wieder mit filmischen Formaten im Installationskontext oder auf der Bühne zu arbeiten. Darüber bin ich dann doch wieder zum Kino zurückgekommen und habe in meinem letzten Studienjahr auch mit einem sehr guten Freund gemeinsam einen Film gedreht. “Zum Kino zurückgekommen” bedeutet aber nicht, dass das Theater oder die Performancekunst jetzt weg sind. Deswegen ist Umweg vielleicht doch auch die falsche Formulierung.
Sarah Pech: Ich stimme Eva total zu. Es ist irgendwie so eine einfache, ganz natürliche Frage und gleichzeitig auch wirklich richtig schwer. Ich habe jetzt, während die beiden geantwortet haben, so überlegt: „Oh Gott, wie fing das eigentlich bei mir an?“ Tatsächlich meine ich, dass es mit meinem Komparatistik Studium anfing, das ich davor gemacht habe. Das habe ich in Innsbruck studiert, und da saß ich oft in Seminaren, wie zum Beispiel ein Seminar namens „Spazierengehen“. Und ich fand das schon spannend, aber ich saß oft da drinnen und habe mir vorgestellt, wie denn eine Person eigentlich gehen könnte, also wie das tatsächlich aussieht. Ich habe an die Bilder gedacht und das hat sich ziemlich verstärkt im Laufe meines Studiums. Dieser Prozess war auch einsam, weil ich gemerkt habe, dass die Leute um mich herum das nicht hatten, bei denen ist diese Vorstellung nicht so aufgekommen. Dann habe ich ein Auslandsjahr an der Universidad de Buenos Aires gemacht. Das war 2015-2016. Da habe ich ganz in der Nähe von der UCINE gelebt, und dann ist das einfach so passiert. Ich kann mich nicht genau daran erinnern, dass ich da groß darüber nachgedacht habe. Ich bin in dieses Gebäude reingegangen und habe gefragt, ob es denn irgendwie eine Möglichkeit gibt, einen Kurs zu belegen. Bis zu dem Zeitpunkt habe ich nur fotografiert und bin nicht so oft ins Kino gegangen. Ich habe dann tatsächlich einen Kurs belegen können. Dadurch ist irgendwie ein erster Kurzfilm entstanden, den ich damals mit meinen Mitbewohnerinnen gedreht habe. So fing das langsam an, aber wirklich sehr, sehr langsam. Dann habe ich gemerkt, dass das echt ziemlich viel Spaß macht.
Und dann kam Ich hab dich tanzen sehn.
Sarah Pech: Ich hab dich tanzen sehn ist der erste Film, den ich mit mehreren Menschen teilen kann. Davor sind die Filme, die ich gemacht habe, immer im freundschaftlichen Rahmen geblieben.
War es auch so für euch, Paul und Eva?
Eva Kirsch: Ich habe davor versucht, einen Film zu teilen. Aber auch viele Sachen gemacht, die ich nicht eingereicht habe oder eher im installativen Kontext oder auf Performancefestivals. Paul und ich haben schon einen Film gemeinsam teilen wollen und auch auf Festivals geteilt. Wir sind gemeinsam im queerfeministischen Kollektiv Feuerzeugfilms, das aus Freiburg kommt. Es ist auch Teil der kollektiven Strukturen, über die Paul eben gesprochen hat. Da haben wir gemeinsam das Konzept entwickelt und gemeinsam geschnitten. Paul hat Regie geführt, zusammen mit den beiden Darstellern.
Paul Stümke: Der Unterschied mit Ich hab dich tanzen sehn war, dass die anderen Filme, die wir davor gemacht haben, 16mm-Arbeiten waren, die wir an der Uni machen mussten. Wir waren zwar komplett frei, zu bestimmen, wie wir das Material benutzen, aber ich habe immer das Gefühl gehabt, da sehr eingeschränkt zu sein, allein durch das analoge Drehen. Ich hab dich tanzen sehn ist anders entstanden, weil das nur von dir kam, Sarah, ohne eine Vorgabe.
Sarah Pech: Genau. Weil er ohne ein Seminar, ohne „Jetzt musst du das machen“ oder „Jetzt hast du diese Aufgabe“ zustande kam. Die Idee war auf einmal da und dann musste es passieren.
„Wir haben beim Dreh zu viert abends über die Dramaturgie des Films gesprochen und darüber, was wir gedreht haben. Jeden Tag haben wir uns das Material angeschaut, was ich gar nicht so vorhatte. Aber wir waren alle so neugierig. Daraus sind Gespräche entstanden, wie man das denn jetzt am nächsten Tag macht.“
Der Begriff des Auteurs versteckt eine kollektive Arbeit dahinter und das hier ist, scheint es mir, eine wirklich kollektive Arbeit an Ich hab dich tanzen sehn.
Sarah Pech: Die Idee kam, weil ich meine Jugend in diesem Dorf in Tirol verbracht habe. Ich würde nicht sagen, es ist autobiografisch, aber es hat mit dem Ort zu tun, wo ich herkomme. Dann kamen meine drei Freund*innen und ich habe gemerkt, dass ich den dreien etwas zeigen möchte. Und dann haben die drei mir aber auch etwas gezeigt, was ich ihnen nicht zeigen konnte, weil ich ja den Ort schon so gut kenne. Und sie konnten mir etwas zeigen, weil sie den Ort gar nicht kannten. Wenn man Orte zum ersten Mal sieht, sieht man Dinge, die man, wenn man schon länger dort ist, gar nicht mehr sehen kann. Deswegen ist es auch eine große gemeinsame Arbeit.
Wie ist das Drehbuch von Ich hab dich tanzen sehn entstanden?
Sarah Pech: Wir haben beim Dreh zu viert abends über die Dramaturgie des Films gesprochen und darüber, was wir gedreht haben. Jeden Tag haben wir uns das Material angeschaut, was ich gar nicht so vorhatte. Aber wir waren alle so neugierig. Daraus sind Gespräche entstanden, wie man das denn jetzt am nächsten Tag macht. Vorher habe ich ein Drehbuch geschrieben, das den Drehplan vorgegeben hat. Beim Schnitt ist dann viel mehr entstanden und ich habe auch bewusst Dinge weggelassen. Es war auch ein langer Prozess, bis ich verstanden habe: „ah, dieses Element hilft der Geschichte nicht, das mache ich jetzt weg.“ Für mich ist Schneiden eigentlich immer auch ein einsamer Prozess. Und klar, ich habe auch mit den dreien gesprochen, aber es war ein holpriger Weg, auf dem ich mich dann gegen Figuren entschieden habe, die davor schon einen Platz hatten.
„Dieses Anfangsbild von Ich hab dich tanzen sehn war fast der aufregendste Drehmoment, weil wir lange darauf gewartet haben, dass die Laterne angeht. Wenn ich jetzt nochmal drüber nachdenke, glaube ich, dass die Bilder, die ich im Film liebe, die mir am meisten am Herzen liegen, eigentlich die sind, die im Zwischenraum entstanden sind.“
Gab es ein Kamerakonzept für Ich hab dich tanzen sehn, das ihr vorher entwickelt habt? Die Einstellungen sind präzise. Man folgt Margarita auf eine sehr besondere Art und Weise.
Paul Stümke: Es gab ein Kamerakonzept für Ich hab dich tanzen sehn und das hat sich über den Dreh weiterentwickelt. Das erste Bild des Films kam zum Beispiel, erst beim Dreh dazu. Da gibt es einen langsamen Schwenk. Ich hatte das Gefühl, dass vielleicht schon vom Drehbuch oder von der Art und Weise, wie wir gedreht haben, eine Art von Tempo vorgegeben war.
Eva Kirsch: Es gab auf jeden Fall eine Form von Konzept oder ganz pragmatische Regeln, die wir uns gegeben haben. Festgesetzte ästhetische Parameter, die auch inhaltlich motiviert waren. Aber bei dieser Produktion habe ich auch gemerkt, dass, obwohl es natürlich irgendwie Departments gab, wir insgesamt einen sehr offenen Arbeitsprozess hatten. Es war immer möglich, dass jede Person zu jeder Sache eine Form von Feedback geben konnte. Das war wichtig, weil das die Struktur der meisten Produktionen nicht zulässt. So war es auch mit der Kamera. Wir saßen zu viert beim Abendessen oder beim Frühstück und haben über die Auflösung gesprochen und Vorschläge gemacht. Es sind auf jeden Fall viele Kameraideen auch von Anton, dem Regieassistenten. Ich könnte jetzt viel konzeptualisieren, aber im Endeffekt war es auch viel Intuition, vor allem, was die Kamerabewegungen angeht. Sie sind aus dem Zusammenspiel, aus einem ästhetischem Interesse und dem Inhalt entstanden.
Paul Stümke: Die Bewegungen, die jetzt gerade drin sind, sind genauso unaufgeregt, wie auch Margarita durch das Dorf läuft. Es war nicht so konzeptuell. Wenn man zu viert ist, wenn sich alle am Drehort kennen, kann es sein, dass eine gemeinsame Intuition entsteht. Und das würde wahrscheinlich jetzt mit einer größeren Crew gar nicht so sein. Diese Intuition, dieses Gefühl.
Sarah Pech: Mit Anton habe ich auch Hugo und Olga gemacht und da haben wir viel Zeit damit verbracht, über Ideen und Kamera zu sprechen. Anton hat auch betont, dass er Lust hat, mit der Kamera noch mal in der Nacht rauszugehen und Fenster zu suchen, wo gerade das Licht brennt und die auch zu filmen. Das ist jetzt im Schnitt extrem stark vorhanden, was ich mir damals während den Dreharbeiten nicht dachte. Es war wirklich toll, dass es diesen Raum gab, dass man auch Ideen, Vorstellungen, Wünsche anspricht. Damals dachte ich „Aha, ja okay, das will er machen, ja okay, dann soll er das auf jeden Fall machen. Das ist bestimmt gut.“ Aber ich war so in meinem Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich das brauchen werde“. Und am Ende sind es sehr wichtige Bilder geworden. Anton und Paul sind zusammen mit der Kamera los spaziert und Eva und ich waren mit dem Tonequipment unterwegs und haben versucht, irgendwie Ton aufzunehmen, ohne dass man ein Auto hört. Es war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit – diese Autos in diesem Dorf.
Paul Stümke: Bei der ersten Aufnahme ist uns aufgefallen, dass das Licht immer zu einer gewissen Uhrzeit angeht. Und es war klar, der Film beginnt eigentlich mit der blauen Stunde. In dem Moment, wo die Lichter angehen, wo eigentlich die Kinder nach Hause gehen würden. Es kam oft vor, dass wir diese Momente, die tatsächlich dort passieren, festgehalten haben.
Eva Kirsch: Dieses Anfangsbild von Ich hab dich tanzen sehn war fast der aufregendste Drehmoment, weil wir lange darauf gewartet haben, dass die Laterne angeht. Wenn ich jetzt nochmal drüber nachdenke, glaube ich, dass die Bilder, die ich im Film liebe, die mir am meisten am Herzen liegen, eigentlich die sind, die im Zwischenraum entstanden sind. Auch das Gewitter zum Beispiel. Weil Paul und ich da irgendwo auf diesem Feld einfach 1 Milliarde Jahre weg standen von Anton, Alice (der Hauptdarstellerin) und Sarah, um diese Totale aufzunehmen. Wir waren aber so verliebt in dieses Gewitter und in die Atmosphäre, die da entstanden ist. Solche Sachen sind viel passiert und konnten auch nur passieren, weil wir auf die Art und Weise gedreht haben und weil wir gegenseitig unserer Intuition vertraut haben. Auch die Gänse, die durchs Bild laufen. Irgendwie fühlte es sich so an, als müssten wir das gerade drehen und Sarah und ich sind mit der Kamera losgerannt. Es gab ein gemeinsames Verständnis davon, was das Gefühl des Films wahrscheinlich sein wird. Wenn etwas passiert ist, das sich danach angefühlt hat, dann haben wir es aufgenommen.
Wer hat das Audio von Ich hab dich tanzen sehn gemacht? Habt ihr das auch kollektiv entschieden? Das Audio hat etwas ASMR-artiges, was wirklich schön ist.
Sarah Pech: Ja, den Ton haben abwechselnd Paul, Eva und Anton aufgenommen. Es gab im Drehbuch schon Ideen für den Ton. Zum Beispiel wusste ich, dass ich unbedingt hören möchte, wie die Schuhe von Margarita auf den Kieselsteinen klingen. Das war etwas, was mir von Anfang an wichtig war.
Eva Kirsch: Wir haben versucht, einzufangen, wie sich die Bilder angefühlt haben oder wie sich der Ort für uns angefühlt hat. Das war oft nicht so richtig möglich, weil sich die Bilder sehr ruhig anfühlen, aber überall Autos zu hören waren. Wenn man nur das Bild betrachtet, denkt man sich, dass nicht so viel los ist, aber in der Realität gab es viele Geräusche. Das war die Herausforderung: Wie kriegt man die Ruhe, die das Bild erzählt, auf die Tonebene?
Sarah Pech: Die Tondesignerin Caroline hat bestimmte Geräusche hervorgehoben, beispielsweise das Gewitter, das so nicht im Buch drinstand. Caroline hat das Gewitter auf eine total feinfühlige, tolle Art und Weise verstärkt. In der Zeit hat sie mich auch gefragt. „Sarah, wie klingt denn für dich Tirol?“ Und das fand ich eine richtig schöne Frage. Und dann habe ich mich nochmal hingesetzt und versucht, das aufzuschreiben.
Paul Stümke: Da waren wir eigentlich nicht mehr dabei, beim Sounddesign. Caroline hatte Sarahs vorherigen Film gesehen, der ist sehr sinnlich, quasi durch den Ton. Die Stimmen sind ASMR-mäßig, weil sie so nah am Mikrofon aufgenommen sind. Und das fand Caroline besonders und sie hat bei Ich hab dich tanzen sehn viele Angebote in die Richtung gemacht, die dieses Gefühl von Nähe bringen.
Stand die Idee, dass der Sound einmal komplett weg ist, schon im Drehbuch?
Sarah Pech: Das stand noch nicht im Drehbuch. Das entstand erst im Schnitt.
Eva Kirsch: Wir haben lange überlegt mit dem Song, oder? Wir sind ja jetzt auch keine Jugendlichen mehr, sondern junge Erwachsene, die sich überlegen, was Jugendliche hören.
Sarah Pech: Es war auf jeden Fall klar, dass das eine Situation war, wo es nicht einfach war zu wissen, was wir da hören werden.Wenn Margarita bei der Gartenparty Tom sieht, ist das ein besonderer Moment. Das kenne ich auch so vom Leben. Dass, wenn man so intensiv in einem Moment ist und etwas ansieht, was einem gut gefällt oder was man spannend findet und aufregend, dass man anders hört. Auch, dass man vielleicht anfängt abzudriften. Es kann sein, dass Menschen sich hier unterhalten und dann bemerke ich etwas da drüben beim Fenster und es fällt mir schwer, mich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren. Vielleicht ist in dem Sinne auch etwas, was man da zu sehen bekommt.
Paul Stümke: Es passt ja auch, weil wir ja davor nur in Margaritas Stimmung sind und ich glaube, jeder Song wäre da falsch. Vielleicht hätten wir einen guten Pop-Banger ausgewählt, den man sich natürlich nicht leisten kann, aber das hätte auch nicht zu Margaritas Stimmung gepasst. Vielleicht ist es auch ein bisschen fies, wenn man durch die Stille eine Art Poesie auf dieses Dorf draufdrückt, aber das kommt ja nicht von uns, sondern von Margarita. Da kann es keine Popmusik in dem Moment geben. Dieses intensive Schauen von Margarita braucht einen anderen Ton.
„Man würde in der klassischen Auflösung immer das zeigen, was beobachtet wird, um dem so eine Aufmerksamkeit zu geben. In Sarahs Film ist das ein konzeptueller Faden, also das Schauen und dass wir als Publikum zuschauen, wie eine Person schaut.“
Bei Margaritas Bewegungen und wie die Körper der Figuren betrachtet werden, frage ich mich, ob das choreografiert war, waren die Bewegungen geprobt? Ich denke hier besonders an den Moment, wo das Gesicht von Margarita klar zu sehen ist, zum ersten und letzten Mal.
Sarah Pech: Das war schon klar die Idee, dass sie sich anschleicht und sich dann da hinter die Mauer stellt und zuschaut. Das war tatsächlich auch das letzte Bild, das wir gedreht haben. Während der Schnittarbeiten habe ich gemerkt, dass wir wenige Aufnahmen haben, wo man Margaritas Gesicht von vorne sehen kann. Das ist auch entstanden, weil es noch einen Erzählstrang in diesem Buch mit einer weiteren Figur gab, die total wichtig war und auch in meinen Augen immer noch in diesem Film steckt. Situationen mit der Taxifahrerin Ruth und mit Margarita, in denen auch eine Freundschaft erzählt wurde, wo man ihr Gesicht öfters hätte sehen können. Ich habe mich aber gegen diesen Strang entschieden. Dadurch ist etwas entstanden im Schnitt, sodass man sie viel weniger oft klar von vorne sieht. Eigentlich nur dieses eine Mal. Es gab einen Moment, wo mich das gestresst hat, weil ich dachte, das ist zu wenig. Aber dann habe ich auch gemerkt, dass dadurch, dass es so eine gezielte Auswahl gab von Momenten, wo man sie sieht und wie man sie sieht – dass mir das sehr gut gefallen hat und ich ihr dadurch auf eine Art und Weise nahe gekommen bin. Was davor mit dem anderen Erzählstrang und den Situationen und Bildern nicht so war.
Eva Kirsch: Wenn ich den Film als Zuschauerin jetzt sehe, fällt es mir viel einfacher, mich da rein zu fühlen, so wie es jetzt gerade ist. Also, es bricht natürlich mit Sehgewohnheiten, weil durch Nahaufnahmen normalerweise ja emotionale Szene erzählt werden.Sonst, wenn man möchte, dass das Publikum besonders nah bei den Figuren ist, dann ist häufig klar: man erzählt viel in Großaufnahmen, man hat eine Fokussierung auf das Gesicht. Am besten hat man irgendwie noch eine fetzige Handkamera, dass man sich die ganze Zeit so fühlt, als wäre man mit dabei. Ich möchte das überhaupt nicht schlecht machen. Es gibt ganz großartige Filme, die so funktionieren, die ich sehr wertschätze. Aber in dem Rhythmus, den die Montage von Ich hab dich tanzen sehn gerade hat, bekomme ich als Zuschauerin einen ganz anderen Draht zu dieser Figur oder vielleicht weniger zu der Figur, sondern mehr zu der Figur in diesem Raum, also an diesem Ort. Weil ich sie ja eigentlich immer mit ihrem Körper als Teil der Umgebung wahrnehme oder eben auch nicht als Teil der Umgebung. Für mich ist es damit auch ein Film über das reinpassen oder die Frage, wo man sein und reinpassen möchte, wenn man jugendlich ist. Für mich funktioniert das richtig gut, es öffnet irgendwas in meinem Kopf, alles eher atmosphärisch zu sehen und lange kein Gesicht zu der Figur zu haben. Weil es sich für mich dadurch mehr so anfühlt, als wäre ich die Person, die durch diesen Ort geht. Es gibt sehr viel Raum, um mich da reinzudenken. Das ist, glaube ich, etwas, was meinen persönlichen Geschmack total trifft. Wenn man eine Sache nur einmal so klar und bewusst sieht, dann bekommt sie dadurch auch eine andere Schönheit oder ein anderes Gewicht. Wenn ich Soaps sehe, dann sehe ich die ganze Zeit das Gesicht von Leuten, aber weil ich es so viel sehe, sehe ich es halt nicht richtig. Bei Ich hab dich tanzen sehn entsteht eine Akzentuierung dadurch, dass man ihr Gesicht nur einmal sieht und das finde ich eine sehr kluge, intuitive Schnittentscheidung.
Paul Stümke: Ich sehe es auch in diesem Moment nur aus der Zuschauersicht. Beim Dreh war es mir nicht so bewusst, jetzt aber im Schnitt ist es ganz bewusst entschieden. Wir hatten an der Kunsthochschule zwei tolle Seminare mit Roger Koza, dem Kurator und Filmkritiker, und mir ist der eine Satz hängen geblieben, den er jedes Mal sagt: „How to do a close up nowadays?“ Also jetzt, im Zeitalter von Selfies. Was ich echt eine gute Frage finde, weil was hat denn heute ein Gesicht oder eine Nahaufnahme von einem Gesicht an Bedeutung? Früher hatte es viel Bedeutung in Filmen und heute ist das Gesicht das, womit wir die ganze Zeit konfrontiert sind. Und immer Gesichter, die eigentlich etwas Inneres nach außen tragen oder die was verkaufen sollen, die irgendein Gefühl darstellen. Die einzigen zwei Male, wo man Margarita wirklich gut erkennen kann – es gibt später noch den Moment, wenn sie ins Fenster rein schaut – sind beides Momente, wo wir nicht wirklich ihr Inneres lesen können. Sie spielt uns kein Gefühl vor. Eigentlich schaut sie nur oder hört auch mal zu, das ist schön. Erstmal gibt es die Zurückhaltung, ganz lange das Gesicht nicht zu zeigen und dann, wenn es dann kommt, ist es aber ein Gesicht, das zuhört und wirklich zuschaut. Woran sie interessiert ist, ist es Geschichten zu finden oder Situationen, Momente. Und das sehen wir, finde ich, eigentlich genau in ihrem Gesicht.
Eva Kirsch: Man kann sie halt so schön beobachten, während sie beobachtet.
Paul Stümke: Und das macht man ja sonst nicht heutzutage.
Eva Kirsch: Man würde in der klassischen Auflösung immer das zeigen, was beobachtet wird, um dem so eine Aufmerksamkeit zu geben. In Sarahs Film ist das ein konzeptueller Faden, also das Schauen und dass wir als Publikum zuschauen, wie eine Person schaut. Ich finde, dass das ein guter Bogen ist und du solltest das ausbauen für deine Autobiografie: Der Punkt vom Anfang mit dem Komparatistik Studium und dem Seminar über das Spazierengehen. Das wäre der perfekte Bogen zu “Ich hab dich tanzen sehn”.
Sarah Pech: Ja, das ist echt ein guter Bogen (lächelt).
Eine doofe Frage. In der Danksagung von Ich hab dich tanzen sehn wird Frank Ocean erwähnt. Was hat er zum Film beigetragen?
Eva Kirsch: Das hängt für mich absolut mit dem Auto zusammen. Wir hatten von meinem Papa einen schönen alten Volvo ausgeliehen für den Dreh, weil ein Auto wichtig für den Transport des Equipments war. Das Auto hat ein CD-Laufwerk und wir sind alle sehr Musik interessiert. Anton hat viele CDs und er hat einige davon mitgenommen und wir sind während des Drehs häufig mit dem Volvo rumgefahren. Da war es immer total wichtig, was wir an Musik hören und Anton hatte das Channel Orange Album von Frank Ocean dabei. Ich bin eh großer Fan von Frank Ocean. Das hat sich dann verselbstständigt im Auto. Wir hatten einen Song „Pyramids“ und das war sozusagen die Drehhymne, die wir immer in Dauerschleife gehört haben.
Sarah Pech: Fenster runter, Ellbogen raus.
Eva Kirsch: Richtig laut.
Paul Stümke: Mit dem Auto … das hat so geknallt. Wir hatten auch so eine spaßige Idee, dass Frank Ocean eigentlich aus Gnadenwald in Tirol kommt.
Sarah Pech: Genau, das ist so ein Dorf in der Nähe von dort, wo wir gedreht haben.
Paul Stümke: Aber ich denke, das passt auch gut, weil Frank Ocean vielleicht die Musik unserer Jugend ist. Es hat uns ein bisschen das Gefühl gegeben, dass wir in dieser Altersgruppe sind, dass wir uns wieder einfinden. Das war super.
Eva Kirsch: Was ich auch sehr liebe im Danksagungen von einem Film ist, dass man nicht nur Menschen erwähnen kann, die Schnittberatung gemacht haben, oder sich überlegen muss, welchen Namen kann man da jetzt noch erwähnen, damit es irgendwie mehr nach mehr aussieht. Sondern auch, dass man da zeigen kann, dass Filmemachen halt ein Prozess ist und dass es wirklich ein Leben ist, das man da lebt in diesen zwei Wochen und dass einen ganz viele Dinge inspirieren. So gesehen musste Frank Ocean ja drin sein, seine Musik war ein elementarer Teil der Erfahrung. Ohne diese Musik hätten wir 50 % weniger Spaß gehabt und der Film wäre 50 % schlechter geworden. Das wird ganz oft ausgeklammert. Es gibt so eine Rationalisierung von “Ja, wir haben das und das so gemacht”. Aber für mich ist Filmemachen auch Gespräche nachts um drei, die man noch hat, wenn man dann irgendwie angstvoll auf den nächsten Tag blickt. Oder ich weiß nicht, die Bäckerei, wo man immer den Kaffee geholt hat. Das sind so elementare Dinge, die gerade bei einem Film, der für mich auf eine wunderschöne Art vom Großen im Kleinen erzählt, elementar sind.
Letzte Frage: Denkt ihr in Bildern? Oder denkt ihr in Worten?
Paul Stümke: In letzter Zeit merke ich, dass ich auf jeden Fall viel in Sprache denke, aber auch eher in Dialogform, glaube ich. Das und auf jeden Fall in Bildern. Wobei man sich die Bilder in meinem Kopf nicht vorstellen darf wie beim Film, wo es einen klaren Rahmen gibt. Es gibt sowas Vages, Räumliches, aber eigentlich verläuft es wie ein Bild, das man aus dem Rahmen genommen und mit Wasser überklebt hat oder so. Ich kann noch nicht ganz erkennen, was genau der Hintergrund ist, aber ich weiß es eigentlich. Aber es ist nie ganz komplett. Deswegen muss man es ja auch filmen und dann sieht es doch anders aus.
Sarah Pech: Ich denke in Bildern, das ist mir total wichtig. Oder eine ganz starke Begleitung, weil ich zum Beispiel immer über Orte nachdenke, wo gerade vielleicht etwas passiert. Dann habe ich diesen Ort vor Augen, Wenn ich zum Beispiel an meine Mutter denke, weil sie ja immer noch in Tirol lebt und wir uns nicht so oft sehen, frage ich auch, wenn wir telefonieren, ob sie gerade auf der Couch sitzt, denn dann kann ich sie mir besser auf der Couch vorstellen, während wir reden. Weil wir tatsächlich sehr selten mit Video telefonieren. Es ist irgendwie schöner, einfach zu telefonieren und dann ist das Bild im Kopf da als Begleitung.
Eva Kirsch: Ich bin ein bisschen auf beiden Seiten unterwegs. Viele Ideen sind bildhaft in meinem Kopf verhaftet und – das sehe ich wie Paul – das Bild erscheint dabei aber nicht als eine klare Einstellung, sondern oft in Details. Ich denke, wenn ich an meine eigenen Filme denke, tatsächlich immer auch an Sound. Irgendwie kann ich schon viele verschiedene Zugänge haben. Am meisten denke ich wahrscheinlich schon in Bildern, aber manchmal habe ich auch eine Idee für was und da weiß ich erstmal nur, wie das klingt und noch nicht unbedingt wie es aussieht. Ich denke zum Beispiel nie in Dialogtexten, das kann ich gar nicht. Aber schon in Text als Text im Bild. Das ist mir auch sehr nah.
Eva Kirsch, Paul Stümke, Sarah Pech (gemeinsam): Danke für das besondere Gespräch Giancarlo! Und für die Einladung zu dir nach Hause zu Mandarinen, Croissants und Tee!
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Guten Tag, vielen Dank für den Artikel. Wissen Sie vielleicht, ob es den Film auch abseits der Festivals irgendwo zu sehen oder zu kaufen geben wird?