Lesestoff: Jane Campion & ihre Filme

Jane Campions Name ist in der Filmgeschichte fest verankert. Dennoch ist die Rezeption ihrer Filme einzeln wie im Gesamten oft uneben. 

© Schüren Verlag

Anfang der 1990er als Regisseurin des sogenannten Frauenfilms gefeiert, findet sich für interessierte Zuschauer*innen in ihren Filmen oft ein Kino der Intimität, das eine hochemotionale Resonanz hervorruft. Für viele Beobachter*innen machen Campions Filme ein Aufbrechen des Male Gaze und eine Umformulierung von Archetypen wie Femme fatale möglich. Andere wiederum kritisieren ihr Schaffen als nicht (offensichtlich) feministisch genug, oder als zu sehr im weißen Feminismus und zu sehr im kolonialen Blick des nicht-indigenen, weißen Pākehā-Neuseelands verankert. Kontrovers wie visionär hat Campion mit Filmen wie An Angel at My Table (1990), Das Piano (1993), In the Cut (2003) und The Power of the Dog (2021) ein Gesamtwerk zu bieten, dessen Ebenen an Inspirationen aus Ästhetiken der Malerei, Literatur und bildender Kunst sich nur nach und nach erschließen lassen.___STEADY_PAYWALL___

Kulturwissenschaftlerin Marisa Buovolo nähert sich in Jane Campion & ihre Filme diesem filmischen Gesamtwerk mit einem Bewusstsein für Sinneseindrücke mittels denen Filmbilder Zuschauer*innen erreichen. Auch wenn der Titel es anders vermuten lässt, ist Buovolos Analyse in Buchform kein strenges Auflisten der Filmografie der Regisseurin: Buovolo selbst beschreibt ihre Sammlung als „Parcours der (Körper-)Bilder“, in dem Campions Filmbilder mit einem Blick auf Kulturgeschichte der Mode und ästhetische Körperpraktiken betrachtet werden. Daher ist es auch nicht Buovolos allererstes Anliegen, Campion als Filmemacherin filmhistorisch einzuordnen, ihre Filmografie Schritt für Schritt zu verfolgen oder ihre Werke entlang bestimmter Themen detailliert zu untersuchen. Vielmehr liefert Buovolo mit Jane Campion & ihre Filme eine Analyse, die auf Inspirationen der Filmemacherin eingeht, und ebenso zeigt, wie Campions Filme selbst Inspirationen erschaffen und ihre Spuren im Kino der Gegenwart hinterlassen haben. Letzteres sieht Buovolo beispielhaft im „(Film-)Bild als Ort des Begehrens jenseits geschlechtsspezifischer Sehhierarchien“, das sich in Das Piano und Céline Sciammas Porträt einer jungen Frau in Flammen gleichermaßen auftut. 

© Universal/Sweetie (1989)

Durch den Parcours der „Post-Autorin“

Bei der Begehung des Campion’schen Parcours beweist Buovolo in ihren Texten ein Gespür für vielerlei Räume, in denen sich Inspirationsmomente finden lassen. Darunter greifbarere Aspekte wie Kostümdesign und Kameraeinstellungen aber auch in symbolisch aufgeladenen Motiven wie Doppelgänger*innen, Spiegelungen und Rolleninterpretationen zwischen Girl Power und Earth Mother. So ist Buovolos Blick auf Campions Filme und deren Herausforderungen an die Sehgewohnheiten des Erzählkinos eine umfangreiche Reise durch (Pop-)Kulturen, von den Gothic-Romanen der Brontë-Schwestern über David Lynchs Teenagerinnen-Figuren in „Twin Peaks“ bis hin zur riot grrrl-Band Bikini Kill und den Flaneurinnen in Michelangelo Antonionis L’Avventura und La Notte.

Um intertextuell durch Campions Filme zu führen, ist für Buovolo vor allem der Begriff der „Post-Autorin“ interessant. „Post-Auteurismus“ ist laut Filmwissenschaftlerin Deb Verhoeven als eine feministische Neuformulierung des klassischen, aber essentialistischen Auteur-Begriffes, der vor allem die Macht und Kontrolle des Autor-Regisseurs genauer beschreibt, zu verstehen. In diesem „Post-Auteurismus“ wird das Konzept der Autor*innenschaft neu betrachtet und als kollaborative Leistung gelesen. Entlang einer intertextuellen Betrachtung der Beziehung zwischen Medien, Filmindustrie, akademischer Forschung sowie Selbstkonstruktion untersucht Buovolo so Campions Schaffen. Wie sich also Campion als „Post-Autorin“ im aktuellen Kino deuten lässt, ist die zentrale Frage dieser vorliegenden Analyse der intimen Ästhetiken. 

© Senator/In the Cut (2003)

Anfänge einer radikalen Ästhetik

Zunächst beginnt Jane Campion & ihre Filme mit Einblicken in die Anfänge des Filmschaffens der Regisseurin im Kurzfilmbereich, darunter auch Auftragsarbeiten. Bereits diese frühen experimentierfreudigen Filme machen es möglich, Campion als eine Filmemacherin einzuordnen, die für eine „radikale Ästhetik“ steht. Ihre Arbeiten zerlegen klassische Erzählformen und spielen mit exzessiven Farben und schrägen Blickwinkeln laut Buovolos Beobachtungen. Mit diesem Ansatz bereitet die Kulturwissenschaftlerin den Weg, um in diese Räume der Film-Ästhetik zu schauen und auf Symbole und Motive zu verweisen, die sich durch Campions frühe wie auch anschließende Werke ziehen. Auch bei ständig wechselnden Genres und Themenschwerpunkten sind Fortführungen dieser frühen Perspektiven in einzelnen Aspekten ihrer individuellen Langfilm- und seriellen Arbeiten zu finden sind.

Inszenierungsformen in Das Piano

Auch Buovolo kommt nicht umher, Campions sicher bekanntestem Film Das Piano ein eigenes Kapitel zu widmen. Darin verweist Buovolo sowohl auf das große Lob, das der Film erfahren hat (neben drei Oscars (einem davon für Campions Drehbuch) wurde er als erster Film einer Regisseurin mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnet und 2019 bei einer Kritiker*innen-Umfrage der BBC als Bester Film einer Regisseurin gewählt), schildert aber auch die negative Kritik, die ihm entgegengekommen ist. Darunter Fragen um Konsens in der Beziehung zwischen den Figuren Ada (Holly Hunter) und George sowie einem blinden Fleck bezüglich der Kolonialgeschichte Aotearoas/Neuseelands. Besonders interessant ist für Buovolos Untersuchungen die Umkehrung der Inszenierungsformen von Geschlechterhierarchien, die in Das Piano vor allem in einer Gegenbewegung zur geläufigen Fetischisierung der Körper von Frauenfiguren zu finden ist. 

© Arthaus/Das Piano (1993)

Adas von der japanischen Maskenbildnerin Noriko Watanabe kreierten Zopffrisuren transportieren in die intimen Erfahrungsräume des Films und evozieren Emotionen bei Zuschauer*innen ebenso wie das viktorianische Gothic-Kleid der Figur. Diese Aspekte beschreiben laut Buovolo, wie Campion das Filmemachen als „Gesamtwerk der visuellen Gestaltung“ sieht. In diesen kollaborativen Figurenentwicklungen entlang verschiedener Ästhetik-Ebenen zeigen sich vor allem Symbole der Emanzipation. Ähnlich verhält es sich auch mit den von der Kostümdesignerin Beatrix Aruna ausgewählten Outfits der Figur Annie in In the Cut, die zwischen „bewusster Anonymität und ausgesuchter Funktionalität“ schwanken, und dem Goth Punk-Stil (gemeinsam entwickelt mit der Kostümdesignerin Amanda Lovejoy und der Make-up-Designerin Wendy Freeman) der Figur Dawn in Sweetie (1989), der eine „Andersartigkeit“ offen zur Schau stellt.

Die Kostüme der Janet Patterson

Um die Wichtigkeit solcher Kollaborationen zwischen den Gewerken hervorzuheben, widmet Buovolo auch ein Kapitel der Kostümbildnerin Janet Patterson mit der Campion eine langjährige Zusammenarbeit verband. Erstmals für den australischen Fernsehfilm Two Friends von 1986 kollaborierend, zeichnete sich Patterson für die Kostüme bei Campions Filmen Das Piano, Portrait of a Lady (1996), Holy Smoke (1999) und Bright Star (2009) verantwortlich. In ihren Beobachtungen entdeckt Buovolo dabei Patterson, die auch oft das Produktionsdesign bei Campions Filmen übernahm, als eine Kostümbildnerin, die weniger entlang modehistorischer Genauigkeit operierte. Vielmehr kreierte sie durch umfassende Recherchen über Epochen und deren Diskurse über Geschlechterbilder und -verhältnisse komplexe Körperbilder und Innenräume von Figuren mit. Das Duo Patterson/Campion steht somit beispielhaft für das Wirken kollaborativer Leistungen bei der Entwicklung von Figuren und ihren (Körper-)Ästhetiken in Filmen der Regisseurin.

© Tobis/Bright Star (2009)

Bilder der Kollaboration und Intertextualität

Um die zu Beginn ihrer Analyse gemachte Postulierung der „Post-Autorin“ Jane Campion – um also zu zeigen, wie sich diese Neuformulierung des Auteur-Begriffes in den in Campions Filmen zu findenden kollaborativen Leistungen auftut – geht Buovolo in ihren Beobachtungen zum Gesamtwerk der Regisseurin in diese kollaborativen Räume der Bilder. Die Kulturwissenschaftlerin folgt Öffnungen und Zugängen, um intertextuelle Erzähltechniken bis in alle Ecken der ästhetischen Wahrnehmung zu erschließen. Diese Untersuchungen schauen auf Motive, Symbole und Bilder, die Campions Filme verbinden, aber auch individuell machen. So zieht sich z. B. das Motiv des Schleiers durch Campions Filme, von Portrait of a Lady bis hin zu Holy Smoke, wie auch das Bild von unheilvollen Wasserlandschaften, die in Das Piano wie auch in der TV-Serie „Top of the Lake“ (2013) prominent auftauchen. Ähnlich verhält es sich auch mit den zuvor bereits kurz erwähnten symbolträchtigen Doppelgänger*innen, die Buovolo in Ada und Flora (Das Piano), Fanny und Toots (Bright Star), Robin und Tui („Top of the Lake“) und Phil und Peter (The Power of the Dog) erkennt. 

© Netflix/The Power of the Dog (2021)

Jane Campion & ihre Filme ist eine beeindruckende Analyse, die in die durch Filmbilder eröffneten Räume der Ästhetiken tief hineinblickt. Buovolo schildert, wie Campions Filme Gemeinsamkeiten formulieren, die aus Kollaborationen und Intertextualität heraus entstehen und auch als Inspirationen für andere Filmemacher*innen zu Tage treten. Durch dieses tiefe Schürfen in Campions Filmbildern findet Buovolo Öffnungen, die ein intimes Kino aus verschiedenen (manchmal auch überraschend unerwarteten oder bisher wenig beachteten) Aspekten heraus entstehen lassen. So ist Jane Campion & ihre Filme schließlich tatsächlich selbst ein Parcours. Einer, der durch Literaturgeschichte, Malerei, Mode, Geschlechterhierarchien und Fetischisierung von Körpern führt. Buovolo beleuchtet dieses Erscheinen von Kollaborationen der Gewerke und Intertextualität kultur-historischer Bilder nicht nur durch ein umfassendes Wissen über die Komplexität von (Körper-)Bildern, sondern spornt auch Leser*innen an, die Sinneseindrücke, die durch Campions Werke angeregt werden, als Herausforderung an die eigenen Sehgewohnheiten wahrzunehmen und selbst tiefer zu blicken.

Jane Campion & ihre Filme ist im Schüren Verlag erschienen.

 

Sabrina Vetter