Mädchen Mädchen

Im Zuge des American Pie Teenie-Sexkomödien-Booms der frühen 2000er erscheint Marc Rothemunds Film Harte Jungs in den deutschen Kinos. Die Komödie von 2000 über den Teenager Florian und seinen sprechenden Penis versammelt über 1,5 Millionen Menschen in den Kinos. Ein Jahr später erscheint Mädchen Mädchen! über die drei Freundinnen Inken, Victoria und Lena, die ihren ersten Orgasmus erleben möchten. Als Pendant zu Harte Jungs an junge Frauen vermarktet, und gemessen an den Zuschauer*innenzahlen sogar noch erfolgreicher als die Bernd-Eichinger-Produktion von 2000, wird Dennis Gansels Mädchen Mädchen! ähnlich von der Kritik verrissen: zu klamaukig, zu vorpubertär, zu geschmacklos, zu vulgär. Dabei war Mädchen Mädchen! nicht nur erinnerungswürdig witzig, sondern bereits 2001 ein durchaus sexpositiver Film.___STEADY_PAYWALL___

Im Gegensatz zu den Vorgängerfilmen des Genres widmet sich Mädchen Mädchen! dem Thema, wie sich erste sexuelle Erfahrungen für Teenagerinnen gestalten. Der Film wendet sich somit ab von penisgesteuerten Geschichten, in denen Mädchen und junge Frauen lediglich als Objekte der Begierde auftauchten, und macht den Schritt hin zu komödiantischen Erzählungen über das sexuelle Erwachen von jungen Frauen im deutschen Film. Mädchen Mädchen! setzt auf einen Umgang mit dem Thema Orgasmus durch Darstellungen offener Gespräche und Sexualität jenseits von Scham und Prüderie und räumt auch mit Mythen um den weiblichen Orgasmus auf. 

© Constantin Film

Und so befinden wir uns nun im Jahr 2025, in dem zwei Komödienklassiker (for better or worse) des deutschen Kinos aus dem Jahr 2001 neu aufgelegt werden: Der Schuh des Manitu bekommt im August eine Fortsetzung, mit Mädchen Mädchen wird Gansels Film von Martina Plura neu verfilmt. Fast 25 Jahre später präsentiert sich das deutsche Kino also mit einem Film, der mit Grauen auf biedermeierlich-billige Lacher auf Kosten marginalisierter Gruppen vorausblicken lässt, zum Glück aber auch mit einem, der mit Spaß und ohne große Umwege über sexuelles Erwachen junger Frauen erzählt. In seinem Streben, sein Zielpublikum mit einem deutlichen Grad an Zuneigung für seine Geschichte und Figuren abzuholen, ist Mädchen Mädchen eine Besonderheit im Filmschaffen dieses Landes.

Beim Blick auf die Neuverfilmung fällt auf, dass Martina Plura zunächst nahe am Original bleibt: Inken, Vicky und Lena, gespielt von Kya-Celina Barucki, Julia Novohradsky und Nhung Hong, stecken mitten im Teenager*innen-Alltag zwischen Schule, Party und Sonnenbaden. Die Eltern sind peinlich, der Klassenkamerad „Schädel“ haut mit sexistischen Sprüchen um sich, Schulprüfungen stehen vor der Tür und das Wetter ist zu schön, um die Zeit mit Lernen am Schreibtisch zu verbringen. Auch in Mädchen Mädchen ist es die Rivalität mit der beliebten Cheyenne, durch die der anfängliche Konflikt des Films angestoßen wird: Im jugendlichen Wetteifer um Orgasmus-Erfahrungen wollen Inken, Vicky und Lena nicht mehr außen vor sein.

© Constantin Film

Unter den drei Protagonistinnen, mit unterschiedlichen Interessen an Sex und allem, was dazu gehört, ist es vor allem Inken, die vorangeht und ihre eigenen sexuelle Wünsche klar verbalisiert. Als sie ihren Freund Tim auf den Orgasm Gap des (gemeinsamen) Heterosexes anspricht, meint dieser, in einem Mix aus Ahnungslosigkeit und Desinteresse, ihr einreden zu müssen, dass es an ihr liegt; dass sie ja doch bereits einen Orgasmus gehabt haben muss und es sicher nur nicht richtig gemerkt habe. Inkens anschließende Radikalität, dieser Form des männlichen Egos nur wenig Beachtung zu schenken, greift das Drehbuch von Katharina Kiesl aus dem Vorgängerfilm von 2001 erfrischend eindeutig auf. Und so kommt Mädchen Mädchen schnell auf den Punkt: Der Orgasmus liegt in der eigenen Hand.

Es ist vor allem diese Art der Direktheit, die Charaktere und Erzählstränge in Mädchen Mädchen ausmacht. Katharina Kiesls Drehbuch setzt dabei auf klare Sprache und Taten. Inken, Vicky und Lena sehen sich mit der Schieflage menschlicher Sexualität konfrontiert, sie fragen sich, warum eigentlich so wenig über den Orgasmus von Frauen, Möglichkeiten und Mechanismen gesprochen wird. So erfreut Kiesls Arbeit das Publikum, wenn das Freundinnen-Trio mit Begriffen wie „Klitoris“ umzugehen weiß und sich nicht alles um Heterosex dreht, sondern queerer Sex gleichermaßen Platz findet (tatsächlich hat sich der Vorgänger, anstatt dahingehend Räume zu öffnen, sogar dem Mistaken for Gay-Trope schuldig gemacht). Und wenn sich die drei Freundinnen neben Vibratoren auch mit Smut-Geschichten und Sex-Podcasts auseinandersetzen, ist die 2000er-Drehbuchvorlage von Maggie Peren und Christian Zübert sowieso im Jahr 2025 angekommen. 

© Constantin Film

Gleichzeitig arbeiten Plura und Kiesl mit altbekannten Rollenbildern, was im Fall von Mädchen Mädchen aber nicht ohne Vorteile ist: Oberflächlich betrachtet setzt sich das zentrale Trio aus den Typen „die Verpeilte“, „die Selbstbewusste“ und „die Stille“ zusammen, der Schulmobber trägt T-Shirts mit sexistischen Sprüchen, es gibt den schüchternen Nachbarsjungen, dann sind da noch der schrullige Vater und die biestige Klassenbeste. Dennoch hängt sich die Komödie nicht zu sehr an diesen verbrauchten, manchmal platten Rollentypen auf, sondern nutzt ihre Vertrautheit, um seinem Zielpublikum zunächst Zugang zum Thema des Films zu erlauben. So bricht Plura im Verlauf der Geschichte diese anfänglich präsentierten Stereotype größtenteils  auf, um die Gefühlswelt der Figuren zu öffnen und für Zuschauer*innen greifbar zu machen. Vor allem begegnet die Regisseurin etwaigen Befangenheiten der drei Hauptfiguren mit viel Empathie und gibt ihnen Raum, Unsicherheiten zu navigieren. 

Auch das Drumherum dieser Komödie ist gut gelungen. Während Monika Pluras Kamerabilder dynamisch durch die vielen Settings zwischen Schule, Schwimmbad, Zuhause und Natur (gedreht wurde übrigens in Wien) streift, fangen das auffällige Szenenbild von Marlen von Heydenaber und Anette Ingerl sowie das farbenfrohe Kostümbild von Anisha Stöckinger gekonnt die Charaktere und ihre Persönlichkeiten ein.

© Constantin Film

An Mädchen Mädchen ist nichts peinlich, nichts vulgär. Hauptsächlich ist Pluras Film witzig und gefühlvoll. Und, neben einem Film über Orgasmen, ist Mädchen Mädchen vor allem ein Film über Freundinnenschaft. Denn anstatt sich über sexuelle Unerfahrenheit von Teenager*innen lustig zu machen, stellt Pluras Film vor allem die Geduld miteinander, aufrichtige gegenseitige Unterstützung und das damit einhergehende Verständnis füreinander in den Mittelpunkt. In seiner Darstellung von Zusammenhalt unter jungen Frauen ist Mädchen Mädchen daher stärkend und überraschend bewegend.

Kinostart: 3. Juli 2025

Sabrina Vetter
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