Drei Gedanken zu: Ticket ins Paradies

Nachrichten von Krieg, Pandemie, Umweltkatastrophen und Femiziden prägen unser gegenwärtiges Leben, dessen Alltag für die meisten abseits dieser Meldungen dennoch gerne seine gewohnten Bahnen gehen darf. Wenn Achtsamkeitstrainings und positives Denken nicht mehr helfen, sollen die Rom-Com-Queen Julia Roberts und Mister Charming George Clooney nun Abhilfe schaffen. Ist Ticket ins Paradies also genau der Realitätsflucht-Katalysator, den wir nach dem Ende des Sommers alle brauchen? Man muss nicht die scharfsinnigste Gesellschaftsanalytikerin sein, um den Zusammenhang zwischen Hollywoods neuester Rom-Com und dem aktuellen Weltgeschehen herstellen zu können. Der altbekannte Exotiktrip einer weißen Mittelklasseperson abseits jeglicher postkolonialer Reflexion wird in fröhlicher Eskapismusmanier erneut erzählerisch ausgerollt. Märchenhafte Romanzen wie Ticket ins Paradies von Ol Parker hüllen uns einen Moment in den Glauben ein, die ganze Welt wäre in Ordnung. Doch muss dieses Bild von Liebe auf den ersten Blick, die als einzig wahres Modell und Wunderheilmittel für alles ewig halten soll, gar so dick aufgetragen werden?

Das ewige Konzept der ewigen Liebe 

Spätestens seit Julia Roberts in Eat Pray Love zur Selbstfindung nach Bali ging, ist die indonesische Insel für viele Filmkonsument:innen aus den USA und Europa zu einem Sehnsuchtsort geworden. In Ticket ins Paradies (allerdings gedreht in Australien) bricht Lily (Kaitlyn Dever) mit ihrer besten Freundin Wren (Billie Lourd) nach dem hart erarbeiteten Jura-Abschluss in eben jene paradiesische Ferne auf, um endlich mal auf die Pausetaste zu drücken. Nicht nur würden die beiden sofort am liebsten für immer zwischen Palmen, Strand und Meer bleiben, Lily verliebt sich auch noch Hals über Kopf in den Indonesier Gede (Maxime Bouttier) und kündigt den getrennt lebenden Eltern Giorgia (Julia Roberts) und David (George Clooney) kurz darauf schriftlich ihre Hochzeit an. Unüberseh- und hörbar ist der Moment, in dem „Mister Seaweed“ Gede und Lily sich auf den ersten Blick verlieben und sich fortan der ewigen Zuneigung füreinander so sicher sind wie die beste Freundin ihres Solo-Flugtickets zurück in die Heimat.

© Universal Pictures Germany

Die Romanze zwischen Lily und Gede sei kein Sommerflirt, nein „this is forever“, sagt die College-Absolventin, ihr Vater aber ist überzeugt, dass die Ehe nicht mehr als ein paar Jahre überdauern wird. Während Giorgia und David ihre Tochter davon abzuhalten versuchen, überstürzte Entscheidungen zu treffen, lässt diese sich von ihrem Carpe-Diem-Modus nicht abbringen. Hochzeit und ewige Liebe stehen gegen Trennung. Dazwischen gibt es in dieser Rom-Com, in der es um alles geht, nichts, keine alternativen Konzepte von Liebe und Partner:innenschaft. Ein bisschen Beziehung ausprobieren vor dem Heiraten? Nein, entweder ganz oder gar nicht. 

Hollywood ist der ewigen Liebe verschrieben und sie gibt in unsicheren Zeiten die Illusion eines Halts, einen Sinn von Kontinuität bis zum individuellen biologischen Ende, denn nur der Tod soll ja eine solche Verbindung bekanntlich scheiden. Dass ihre Ehe vielleicht nur ein paar Jahre hält und es durchaus in Ordnung ist, wenn Lebensentscheidungen für zukünftige Versionen unseres Selbst nicht mehr haltbar sind, ist weder für Lily noch ihre Eltern eine Option. Ticket ins Paradies forciert die unter gesellschaftlichen Druck stehende Hierarchisierung von Liebeskonzepten: Nur die ewige Liebe kann Glück herbeiführen, temporäre Verpartnerungen hingegen suggerieren ein Scheitern, das den bedrohlichen Zustand des (emanzipierten) Alleinseins mit sich bringt. 

© Universal Pictures Germany

Dass auch Giorgia und David für die ewige Liebe bestimmt sind, kann als offensichtliche Prämisse des Plots gelten. Umso schwammiger muss da der damalige Trennungsgrund ausfallen: Den unausgesprochenen Konflikt übertüncht das ehemalige Paar mit leicht verdaulichen Sticheleien. Dass dieser flirty und durchaus amüsante Hick-Hack nicht gleich zu einer heißen Nacht führt, liegt unter anderem an Giorgas wesentlich jüngeren Freund Paul (Lucas Bravo), der sie anbetet, verwöhnt und wertschätzt – ein Verhalten, das David nie an den Tag gelegt habe, so Giorgias Rede. Ob sie mit dem zynischen, aber liebenswerten Alt-Lover David oder dem verknallten, Ich-tue-alles-was-du-willst-Jüngling Paul zusammenkommt, dürfte angesichts der normativen Lebens- und Liebeskonzepte kaum überraschend ausfallen. 

Märchen zwischen den Kulturen

Die Rom-Com, deren Hoch-Zeit eigentlich schon seit etwa 20 Jahren vorüber geglaubt schien, versucht also als Märchen von der einzig wahren Liebe im Leben wieder aufzublühen. Nicht immer schmeckt aufgewärmt aber besser und so wirkt vieles in diesem Film verträumt bis unzeitgemäß. Für manch eine:n mag das Sich-Verlieren in diesem exotisierten Traum eines Lebens aus Luft, Palmen, Strand und Liebe aber genau die richtige Aufwärmtemperatur haben. Der mal fulminant orchestrale, mal poppig-fröhliche  Soundtrack unterstreicht die fulminanten Landschaftsaufnahmen und warmherzigen Liebesbeweise. Als wichtige Zutat für das gewisse Etwas stellt sich natürlich nicht nur die Location heraus, sondern auch das Aufeinandertreffen der Familie von Gede und Lily. Ticket ins Paradies ergänzt seinen urlaubshungrigen Tourist:innenblick mit einem akzeptabel dargestellt Aufeinanderprallen zweier Kulturen, die sich trotz Übersetzerin zwar oft missverstehen – was sonst –, dabei aber stets respektvoll miteinander umgehen und auf cultural appropriations verzichten können. Die balinesische Hochzeitszeremonie erzeugt so gesehen die perfekte Ergänzung für eine US-Rom-Com, die ihrem Publikum die Flucht auf eine Insel für eine kürzere Filmdauer als Eat Pray Love, aber dafür ohne romantisches Ablaufdatum bieten möchte. Ökonomische Hintergründe der Liebenden spielen in der Erzählung keine Rolle, denn die Liebe steht über allen potenziellen Komplexitäten und Diskursen. Die Darstellung der balinesischen Kultur fungiert als schöne Hintergrundkulisse: Gesellschaftliche Kontexte blendet Ticket ins Paradies gezielt aus und legt so die Grundlage für das eskapistische Vergnügen.

Ein Leben aus Luft, Liebe und Seegras

Die ewige Liebe funktioniert auch als Ausweg aus der Leistungsgesellschaft. Lily und Wren haben soeben den Universitätsabschluss hinter sich und dürfen kurz in Exotik verschnaufen, bevor die ersten beruflichen Schritte getan werden. Am liebsten würden sie für immer auf Bali bleiben – wer kennt diese Gedanken im Urlaub, fern von zuhause, der Arbeit und den First-World-Problems nicht? Für Lily ermöglicht ihre Heirat ein Entkommen aus dem Hamsterrad der erfolgreich zu absolvierenden Etappen einer Karriere in Zeiten des Neoliberalismus. Schuld ist offensichtlich unser System, dem Lily mit ihrer Heirat den Rücken kehrt, denn auf Bali ist es nicht nur schön, es wird dort auch nur gemütlich gearbeitet.

© Universal Pictures Germany

Ganz zielorientierte Karrierefrau ist hingegen Giorgia, die sich von David in ihrem Werdegang nie ganz ernst genommen fühlt – umso mehr fällt ihm dafür auf, dass sie selten in der Küche steht (diese Karrierefrauen, die nie kochen, können einen Mann schon mal irritieren). Tochter Lily wird die Muße zum Kochen dafür sicher bald haben. Das Seegras-Ernten mit ihrem Verlobten entspannt sie auch von vornherein mehr als eine Anwaltskanzlei es tun könnte. „I’m so out of balance“, klagt sie während sie gemütlich Algen aus dem Wasser fischt, „you can find it here“, antwortet Gede an ihrer Seite und mit Blick auf das kristallklare Wasser. Ol Parker weiß auch das Arbeiten in der Natur mit dem entfremdeten Blick eines britischen Städters gelungen zu romantisieren. Ein Märchen durch und durch. Tatsächlich wurde in Bali, als die Covid19-Pandemie für das Ausbleiben des Tourismus und somit der Haupteinnahmequelle gesorgt hat, wieder vermehrt Seegras angebaut, doch ist es in Realität ein arbeitsintensives und im Vergleich zum Tourismussektor finanziell durchaus instabiles Unterfangen. In Ticket ins Paradies hingegen ist alles einfach romantisch, Arbeit, Liebe, Leben. Seinem Eskapismus wohnt eine solch hoher Grad an Ausblendung jeglicher Diskurse bei, dass die Verdrängung einem nach der Filmerlebnis zu keinen Gedanken anregen kann, außer, dass nur ein Teil 2 den realitätsverblendeten Zustand verlängern könnte. Oder eins lässt den verkitschen Film mit der richtigen Portion Humor gegen seine intendierten Botschaften als Unterhaltung wirken – in Form eines Lachens über statt mit dem Film. Das ist schließlich auch eine mögliche Form der Unterhaltung (und kann eine kathartische Wirkung haben).

Bianca Jasmina Rauch
Letzte Artikel von Bianca Jasmina Rauch (Alle anzeigen)