Mutter

Was ist eigentlich eine Mutter? In ihrem filmischen Experiment irgendwo zwischen Dokumentar- und Spielfilm versucht Regisseurin Carolin Schmitz auf diese Frage eine möglichst komplexe, eine uneindeutige Antwort zu finden. Ihrer Hauptdarstellerin Anke Engelke legt sie die Selbstauskünfte acht verschiedener Frauen unterschiedlichen Alters in den Mund. Während die fiktive Protagonistin durch ihren Alltag läuft, Hausarbeit verrichtet, zum Sport und zum Arzt geht, an Theaterproben teilnimmt, erzählt sie, oder vielmehr erzählen diese acht Frauen von ihrem Mutterwerden und -sein. Die aus acht real existierenden Personen zusammengesetzte fiktive Hauptfigur, verkörpert von Engelke, erzählt auf der Handlungsebene dabei keine eigene Geschichte jenseits der lose verknüpften Alltagssituationen, sondern dient als weitgehend entpersonalisierte Projektionsfläche für die unsichtbaren Sprecherinnen ebenso wie für das Kinopublikum. 

Die Collage der verschiedenen Stimmen ist dabei grob chronologisch strukturiert. Während sich das erste Drittel dem Kennenlernen mit den Vätern und der Geburt  der Kinder widmet, folgt im Mittelteil der Alltag als Familie und schließlich die Ablösung von den Kindern oder auch Auflösung der Familie durch Trennung, Krankheit oder Tod. Auf diese Weise verwachsen die individuellen Geschichten zu einem vielgestaltigen Gesamtporträt – einem Mutterbild, dem Anke Engelke hier stellvertretend ihr Gesicht verleiht. ___STEADY_PAYWALL___

Anke Engelke sitzt in einem Schaumbad

© Tom Trambow

Auch wenn Engelke ihre Mimik leicht den unterschiedlichen Stimmen anpasst, bleibt ihre Figur grundsätzlich unverändert und weitgehend ungerührt, was zuweilen eine Komik erzeugt, die nicht so ganz ins sonst eher biedere Konzept passen mag. Das eine oder andere Mal lacht Engelke, doch die zum Teil emotionalen Schilderungen scheinen sie nicht wirklich zu berühren. Die seltenen Momente, in denen die Originalstimmen lediglich in Form eines Voice Overs auftauchen, das die fiktive Protagonistin begleitet, verstärken diesen Verfremdungseffekt und die Distanz zwischen Sprecherinnen und Publikum.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die einzelnen Stimmen ebenso wie deren Geschichten zu stark ähneln, um klar unterscheidbar zu sein. Einerseits ermöglicht dies das Zusammenfließen der Einzelschicksale zu einem großen Ganzen, andererseits besteht für das Filmpublikum keine Möglichkeit mehr der Beziehung zu den einzelnen Menschen hinter den Geschichten – ebenso wenig zu der stoischen und im Grunde persönlichkeitslosen Figur auf der Leinwand.

Anke Engelke läuft mit Einkaufswagen durch einen Supermarkt

@Tom Trambow

Alle sprechenden Frauen sind grundsätzlich gerne Mütter und doch von verschiedenen Lebensumständen in dieser Rolle beeinträchtigt. Oft spielen konservative Familienmodelle hierbei eine Rolle, aus der einige der Sprecherinnen schließlich ausbrechen. Mutter kann hier auch sein, wer seine Kinder nicht jeden Tag in den eigenen Wohnräumen betreut. An dieser Stelle aber ist es mit der Vielfalt bereits vorbei. Insofern die dokumentarischen Interviews diese Schlüsse zu lassen, sind alle Frauen cis geschlechtliche, heterosexuelle Personen ohne Behinderung oder Migrationshintergrund. Alle sind gerne Mutter, keine entscheidet sich grundsätzlich gegen diese Rolle. Das Portrait-Mosaik, das Carolin Schmitz hier erschafft, ist daher enttäuschend limitiert. Die Gründe für ihre Auswahl, im Rahmen des Filmkonzepts natürlich unkommentiert, bleiben als Fragezeichen im Raum stehen.

Fraglich ist auch, wie dienlich die Form hier ihrem Inhalt ist. Wo keine Beziehung zu den Sprechenden möglich ist und die einzig sichtbare und somit erfahrbare Figur ihren Text ohne große emotionale Regung stets wie nebenbei referiert, bleiben die gesprochenen Worte steril, inhaltlich erfassbar, aber nicht tatsächlich erfahrbar. Ist Mutterschaft wirklich ein Thema, das sich derart kühl und emotionasarm vermitteln lässt? Oder ist es nicht gerade die komplexe emotionale Ebene, die Mutterschaft als Rolle und gesellschaftliches Phänomen ebenso interessant wie relevant macht?

Anke Angelke schaut ungerührt in die Kamera. Vor ihr ein Bügelbrett und ein dampfendes Bügeleisen.

© Tom Trombow

Und lässt sich Mutterschaft als Rolle und Lebensgefühl, das untrennbar mit mindestens einer weiteren Person verknüpft ist, in derartiger Isolation vermitteln? Anke Engelkes namenlose Verkörperung der acht Frauenstimmen bewegt sich mit geradezu stoischer Ruhe durch einen im Grunde zutiefst einsamen Alltag – ohne Partner:in, Kinder, Freund:innen, ohne jede Form von zwischenmenschlicher Beziehung. Vielleicht eine inzwischen alleinstehende Mutter, die auf ihr Leben zurückblickt. Doch nichts in ihrem Alltag, nichts in ihren Wohnräumen, deutet auf eine Vergangenheit mit Kindern hin.

So interessant das filmische Experiment, so grandios Anke Engelke hier immer wieder subtil eine Abgrenzung der einen Stimme von der anderen andeutet, so unklar bleibt die Funktion aller Brechungen und Entfremdungseffekte. Die anvisierte Ambivalenz und Komplexität leiden immens unter der homogenen Auswahl der Protagonistinnen und der Zugang zum titelgebenden Thema des Films unter der vollständigen Abwesenheit einer emotionalen Ebene.

Was ist eigentlich eine Mutter? Die Antwort, die Carolin Schmitz mit ihrem Film nahelegt, ist trotz acht verschiedener Stimmen ernüchternd eindimensional und unbefriedigend. Vielleicht wäre „Mütter“ der bessere Titel gewesen, ein Titel, der auf Einzelschicksale verweist, auf eine kleine, wie auch immer motivierte Auswahl an Erfahrungen von Mutterschaft. Dem allgemeingültig anmutenden Titel Mutter jedoch kann Schmitz‘ Werk nicht gerecht werden.

Kinostart: 29. September 2022

Sophie Charlotte Rieger
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