The Homes We Carry – Brenda Akele Jorde im Interview

Der Dokumentarfilm The Homes We Carry thematisiert den Umgang Deutschlands mit mosambikanischen DDR-Vertragsarbeiter:innen. Ab 1979 kamen 20.000 Mosambikaner:innen als sogenannte Vertragsarbeiter:innen in die DDR. Ihnen wurde eine Ausbildung versprochen, die ihnen Anerkennung und Wohlstand bringen und den Aufbau Mosambiks unterstützen sollte. In der Realität leisteten sie zumeist monotone und harte Arbeit im Tagebau oder der Produktion. Mit dem Ende der DDR verloren sie ihre Arbeit und damit auch die Aufenthaltsgenehmigung. Was sie nicht wussten: Einen Teil ihres Lohns, sowie ihr Rentenbeitrag behielt die DDR ein. Auf diese Weise beglich die Volksrepublik Mosambik ihre Schulden. Bis heute kämpfen die Vertragsarbeiter:innen für eine Entschädigung. Viele von ihnen mussten Partner:innen und Kinder zurücklassen.

Eines dieser Kinder ist Sarah. Anhand ihrer Geschichte zeigt Filmemacherin Brenda Akele Jorde die Auswirkungen dieser Politik auf die zweite Generation dieser auseinandergerissenen Familien. Außerdem erzählt The Homes We Carry von Sarahs Aufwachsen als Afro-Deutsche in einer weißen Mehrheitsgesellschaft, von Erfahrungen mit Alltagsrassismus und der Suche nach Identität.

Brenda Akele Jorde © David-Simon Groß

Filmemacherin Brenda Akele Jorde präsentierte ihr Dokumentarfilmdebüt auf dem DOK Leipzig, wo der Film in der Sektion Deutscher Wettbewerb läuft. Mit Lea Gronenberg von FILMLÖWIN sprach sie darüber, warum es ihr so wichtig ist, Sarahs Geschichte zu teilen.

Lea Gronenberg: Worum geht es in The Homes We Carry?

Brenda Akele Jorde: In meinem Film geht es um eine zerrissene afro-deutsche Familie und ihren Ursprung in der DDR. Es geht um Identität und Elternschaft. Die alleinerziehende Sarah, Tochter eines ehemaligen Vertragsarbeiters, reist nach Mosambik und Südafrika, wo ihr Vater und der Vater ihres Kindes auf sie warten. Ihr Vater Eulidio arbeitete mehrere Jahre in der DDR. Im Film gibt er Einblicke in das unfaire und bis heute ungeklärte Abkommen zwischen dem sozialistischen Mosambik und der DDR, was viele Menschen und Familien bis heute prägt. ___STEADY_PAYWALL___

© Film Five

Wie bist du überhaupt zu diesem Thema der mosambikanischen Vertragsarbeiter:innen gekommen?

David [David-Simon Groß], der Kameramann und Co-Regisseur, hat ein Jahr lang in Mosambik gelebt und dort einen Freiwilligenaustausch gemacht. Wenn du als Deutscher oder Deutsche in Mosambik bist und Deutsch sprichst, kommt früher oder später ein ehemaliger Vertragsarbeiter, der ganz froh ist, sein Deutsch mal wieder auszupacken. So ist er auf das Thema gestoßen und hat das mit mir geteilt. Auch die Protagonistin hat er in Mosambik kennengelernt, weil sie zur gleichen Zeit einen Freiwilligendienst gemacht hat.

Ich stand ganz am Anfang von meinem Filmemachen, als ich los gereist bin. Ich habe eigentlich alles mit diesem Film gelernt.”

Du hattest also ein Thema und auch schon eine Protagonistin dazu. Wie ist es dann weitergegangen?

Wir haben trotzdem auch andere Familien kennengelernt, haben mit vielen Personen gesprochen. Wir waren auf einer Konferenz in Magdeburg von einer Initiative Vertragsarbeit DDR-Mosambik. Es gibt einiges an Lektüre, es gibt eine spannende Graphic Novel. Dann sind wir aber ziemlich schnell mit Sarah mitgereist.

© Film Five

Zunächst hatte ich den Eindruck, es wäre ein Film über den Vater, weil Sarah eher spät eingeführt wird. Wieso habt ihr euch dafür entschieden, sie ins Zentrum zu rücken?

Filmemachen ist immer ein langer Prozess. Ich stand ganz am Anfang von meinem Filmemachen, als ich los gereist bin. Ich habe eigentlich alles mit diesem Film gelernt. Die Form hat sich oft verändert. Zwischendurch war es mehr ein Film über ihren Vater, dann ist es doch wieder ein Film mit ihr als Hauptprotagonistin geworden. Wir haben das im Schnitt lange als Problem betrachtet und irgendwann haben wir es als Alleinstellungsmerkmal, als besonders für unseren Film gesehen, dass es zwei Geschichten gibt, die verbunden sind, aber auch einen ganz anderen Modus haben. Der Vater, bei dem wir viel mit Archivmaterial gearbeitet haben, der so in seinen Tagträumen zurückdenkt, und die Tochter, die im Hier und Jetzt eine Reise macht. Nach sehr viel hin und her im Schnitt, habe ich entschieden, wir müssen das einfach so machen, wie ich es immer erzähle. Und ich erzähle immer als erstes den Background: Die Vertragsarbeiter, die Rückkehr, das Geld, was nicht ausgezahlt wurde, und dann komme ich erst zur zweiten Generation. Das war dann auch der organische Weg, den Film zu erzählen.

Im Endeffekt ist es dann doch mehr die Geschichte von Sarah geworden. Was aber geblieben ist, ist diese Gleichwertigkeit, die wir von Anfang an verfolgt haben.”

Ihr habt Sarah und auch ihre Tochter bei einer sehr persönlichen Reise begleitet. Wie hast du das als Filmemacherin erlebt?

Es war eine sehr emotionale Reise für Sarah, deswegen war es ganz wichtig, dass wir dabei auf unser Bauchgefühl gehört haben und die Kamera auch manchmal nicht rausgeholt haben. Es gab Tage, an denen Sarah gesagt hat: “Kommt bitte heute mit, weil es wird ein komplizierter Tag für mich” und manchmal hat sie gesagt: “Kommt bitte nicht mit, weil es wird ein komplizierter Tag für mich”. Manchmal konnten wir also nicht dabei sein und diese Distanz muss man akzeptieren. Andererseits waren wir ihr manchmal auch eine Stütze. Als alleinerziehende Mutter durch Mosambik zu reisen ist eben auch nicht ohne.

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Ich habe beim Anschauen des Films diese Nähe zu Sarah wahrgenommen. Trotzdem gibt es keine Verurteilung oder einseitige Darstellung der beiden Vaterfiguren.

Das kommt durch die Konzeption des Films. Ganz am Anfang wollten wir gar keine Partei ergreifen für irgendeine Person in dieser Familie und alle drei gleichwertig zeigen. Deswegen haben wir auch mit allen im gleichen Modus erstmal gedreht und uns auch dafür entschieden, nicht mit Sarah zu wohnen. Zwischendurch habe ich das bereut, weil ich dachte, uns fehlen dadurch noch andere, intime Momente mit ihrer Tochter. Aber das lag eben daran, dass wir alle drei erstmal auf dem gleichen Level besser kennenlernen wollten. Im Endeffekt ist es dann doch mehr die Geschichte von Sarah geworden. Was aber geblieben ist, ist diese Gleichwertigkeit, die wir von Anfang an verfolgt haben. Es ist schön, dass man das weiterhin spürt.

Ich möchte auch die Stärke und Schönheit dieser [afro-deutschen] Identität nach vorne bringen.”

Es geht viel um Identitäten. Es geht um (ost-)deutsche Geschichte, es geht um Sarahs Aufwachsen als Schwarze Person in Ostdeutschland.

Was viele Kinder von ehemaligen Vertragsarbeitern teilen ist, dass es dadurch, dass das Schwarze Elternteil nicht da war, schwierig war, sich selbst zu finden, sich selbst zu lieben – also vor allem Haut und Haare zu lieben – und zu sich selbst zu stehen. Das sagt Sarah auch im Film. Ihre Mutter hat ihr all die Liebe geschenkt, die sie ihr schenken konnte. Sarah hat eine super Beziehung mit ihrer Mutter, aber sie konnte ihr trotzdem in rassistischen Angelegenheiten nicht so eine Stütze sein, wie es vielleicht ein Schwarzes Elternteil gekonnt hätte.

© Film Five

Dann geht es aber auch um ihre Erfahrungen in Mosambik.

Dieses Gefühl in Deutschland als Schwarz gelesen zu werden und in dem anderen Land – in diesem Fall in Mosambik – als weiß zu gelten, ist erstmal verwirrend. Man kann das sehr negativ betrachten. Sarah und ich haben aber beide während des Filmemachens festgestellt, dass diese Identität ein Geschenk ist. Wir sind nicht halb und halb, sondern wir haben zwei Orte, wo wir uns wohlfühlen. Das war nicht immer einfach, aber man sieht bei Sarah auch, dass es eine Bereicherung ist, dass sie selbstbewusst in beiden Ländern zuhause ist. Sarah war sehr oft in Mosambik und hat sich das auch erobert. Man kann erst so richtig stolz hinter dem afro in afro-deutsch stehen, wenn man die Möglichkeit hatte, das kennenzulernen und zu leben und sich dann auch zu positionieren.

Wie wichtig war es für den Film, dass du und Sarah bestimmte Erfahrungen teilt?

Das ist ganz spannend gewesen. Die Idee zum Film kam ja eigentlich vom Kameramann, der diese Erfahrungen nicht teilt. Es hat länger gedauert, aber irgendwann ist es immer mehr mein Film geworden. Ich habe ein letztes Interview mit Sarah geführt, weil ich gemerkt habe, wir dürfen nicht die ganze Zeit nur auf die Probleme eingehen. Eigentlich finden wir es doch beide wunderschön afro-deutsch zu sein, eigentlich sind wir doch stolz darauf. Ich möchte auch die Stärke und Schönheit dieser Identität nach vorne bringen.

© Film Five

Die Filmmusik stammt von einer mosambikanischen Künstlerin – Lenna Bahule.

Die ist Wahnsinn. Ich habe Lenna auf einem Konzert in Mosambik gesehen, als wir das erste Mal mit Sarah dort waren. Sie hat mich so beeindruckt. Sie macht eine One Woman Show mit ihrem Körper, einer Loopstation, einigen Instrumenten und ich war total fasziniert. Wir haben dann mit einigen Liedern von ihr gearbeitet, die bereits existierten, einige Sachen hat sie extra für den Film gemacht. Wir haben die Musik sehr reduziert, sehr minimalistisch gehalten, damit es persönlich bleibt und nicht so überproduziert klingt, sondern ganz intim. Sie erzählt den Film über die Musik mit.

Ich finde es wundervoll, dass Menschen immer unterschiedliche Dinge aus dem Film mitnehmen.”

Wie ist es für Sarah, den Film zu sehen?

Ich habe Sarah den Film erst sehr spät gezeigt, weil wir auch so lange nach einer Form gesucht haben. Als ich ihn ihr dann gezeigt habe, ist so eine Blase geplatzt und sie war so “Oh wow, das habt ihr also die ganze Zeit gemacht”. Sarah ist eines der afrodeutschen Kinder, die sich nie irgendwo repräsentiert gesehen haben. Jetzt ist sie total stolz darauf und glücklich, dass ihre Geschichte geteilt wird. Sie war in Leipzig auf der Premiere dabei mit Luana [ihrer Tochter] und Ingrid [ihrer Mutter]. Das ist auch erstmal das wichtigste Publikum: die eigenen Protagonistinnen.

Was wünscht du dir, wenn du The Homes We Carry jetzt einem größeren Publikum zeigst? Was sollen die Menschen daraus mitnehmen? 

Ich finde es wundervoll, dass Menschen immer unterschiedliche Dinge aus dem Film mitnehmen. Das ist auch gut so. Generell hoffe ich, dass die ehemaligen Vertragsarbeiter:innen im kulturellen Gedächtnis bleiben, denn sie haben einen Teil zu Deutschlands Aufbau beigetragen und wurden total vergessen. Sie sollen mehr Aufmerksamkeit bekommen, sodass Initiativen, die sich für ihre Rechte einsetzen, unterstützt werden in ihrem Kampf um Recht und Anerkennung. Auch wollte ich die Schwierigkeiten, aber auch wundervollen Seiten afro-deutscher Identität zeigen und hoffe, ich konnte da neue Einblicke geben. Ich hoffe, die positive Message, dass Heimat etwas ist, das man in sich trägt und man mehrere Heimaten haben kann, bleibt hängen.

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