Kurdisches Filmfestival 2022: Frau, Leben, Freiheit

„Jin-Jiyan-Azadî“ (Frau-Leben-Freiheit) ist eine Parole der kurdischen Frauenguerilla. Seit der Ermordung der Kurdin Jîna (Mahsa) Amini durch die iranische Sittenpolizei geht die Parole als Ausdruck der Kämpfe der Frauen im Iran um die Welt. Auch beim Kurdischen Filmfestivals 2022 ist sie präsent.

Der Fokus des Kurdischen Filmfestivals 2022 liegt auf Rojava, einer Region liegt im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei. Im syrischen Bürgerkrieg erkämpften Kurd:innen die Autonomie der Region und begannen mit dem Aufbau eines demokratischen Systems auf Grundlage des Demokratischen Föderalismus. Die Rojava-Revolution 2012 war eine Revolution der Frauen. In der kurdischen Autonomieregion entstanden Frauenräte und ein Frauengesetz. Frauenverteidigungseinheiten spielten eine zentrale Rolle bei der Befreiung vom sogenannten Islamischen Staat (IS). Festivalleiter Roj Hajo betont im Interview mit FILMLÖWIN, dass diese Kämpfe kurdischer Frauen ein Schwerpunkt im Programm des Kurdischen Filmfestivals 2022 sind. ___STEADY_PAYWALL___

Hêza von Derya Deniz

2014 überfielen Anhänger des Islamischen Staats Şengal und verübten einen Genozid an den dort lebenden Jesid:innen. Sie verschleppten und versklavten Tausende Mädchen und Frauen. Hêza war eine von ihnen. Nach ihrer Befreiung schloss sie sich einer Verteidigungseinheit an. Für den Dokumentarfilm von Derya Deniz kehrt Hêza an die Orte ihrer Gefangenschaft zurück und stellt sich ihrem Trauma.

© Kurdisches Filmfestival Berlin

Deniz begleitet diesen bewegenden Verarbeitungsprozess mit großem Feingefühl. Sie lässt ihrer Protagonistin viel Raum, zieht sich mit der Kamera zurück, wenn Hêza zusammenbricht. Meist ist Hêza jedoch gefasst. Nüchtern erzählt sie von Station zu Station von Misshandlungen.

Archivaufnahmen ergänzen die Erinnerungen. Das Material zeigt die Gräueltaten des IS und soll später – so berichtet Deniz im Filmgespräch – in Gerichtsverfahren gegen die Mitglieder der Terrormiliz als Beweismittel eingesetzt werden. Während ihre eigenen Aufnahmen von Hêza, sowie die Bilder vom Kampf gegen den IS in Farbe sind, zeigt sie diese Archivaufnahmen in schwarz-weiß. Auf diese Weise visualisiert Deniz die Befreiung vom IS, dessen Verbrechen dennoch präsent bleiben.

© Kurdisches Filmfestival Berlin

Nach der Vorführung im Babylon Kino erzählt die Filmemacherin, Hêza habe ihr nur deshalb zugesagt, weil sie gefragt habe. Alle Journalist:innen zuvor hätten gesagt: Du musst. Du musst deine Geschichte erzählen. Deniz hingegen hat verstanden, dass Hêza nie wieder “müssen” will und schafft damit einen Rahmen, in dem Hêza sich öffnen kann. Das Ergebnis ist ein bewegender Dokumentarfilm über eine Überlebende und eine Kämpferin.

Commander Arian von Alba Sotorra

Für ihren Dokumentarfilm über kurdische Frauen im Kampf gegen den IS begleitete Alba Sotorra ihre Protagonistin Arian über einen Zeitraum von zwei Jahren – zunächst im Gefecht um Kobanê, dann bei der Rehabilitation von ihren Kriegsverletzungen.

© Kurdisches Filmfestival Berlin

Commander Arian ergründet, warum sich Frauen der Guerilla anschließen. Mit ihrer Fokussierung auf eine zentrale Protagonistin wählt Sotorra ein persönliches Narrativ, das sich der Komplexität dieser Frage annimmt und ihr emotionale Tiefe verleiht. Als Kommandeurin bei den Frauenverteidigungseinheiten YPJ führt Arian einen vielschichtigen Befreiungskampf. Sie will, wie sie im Film äußert, sich selbst, die Gesellschaft und ihr Geschlecht befreien. Diese unterschiedlichen Ebenen konkretisieren sich über den Film hinweg immer mehr. Durch ein Voice over gibt Arian Einblicke in ihre Gedankenwelt. Commander Arian schafft auf diese Weise eine besondere Verbindung zwischen der Protagonistin und dem Publikum.

© Kurdisches Filmfestival Berlin

Der Film eröffnet mit einer Szene der verletzten Arian. Die Dreharbeiten zu Commander Arian waren eigentlich bereits abgeschlossen, als Arian von fünf Kugeln getroffen wurde. Doch Alba Sotorra kehrt zurück, um Arian zu pflegen. Der Film lebt von dieser Nähe Sotorras zu ihren Protagonist:innen. Als teilnehmende Beobachterin bewegt sie sich mit ihnen mit. Sie trägt sie ihre Uniform, lebt mit ihnen und steht mit ihnen an der Frontlinie im Krieg gegen den IS und filmt währenddessen mit der Handkamera.

Sotorra arbeitet deutlich heraus, dass der Kampf der Kurd:innen mit der Befreiung von Kobanê nicht zu Ende ist. Mit The Return: Life After ISIS veröffentlichte die Filmemacherin im vergangenen Jahr eine Art follow up zu Commander Arian. Darin porträtiert sie Frauen aus dem Westen, die sich dem IS anschlossen und nun auf die Rückkehr in ihre Heimatländer warten.

Das Kurdische Filmfestival fand vom 13.-19. Oktober 2022 in Berlin statt. Online könnt ihr einige Filme aus dem Programm noch bis zu drei Monate sehen.

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