Kurdisches Filmfestival 2022: Festivalleiter Roj Hajo im Interview

Das Kurdische Filmfestival zeigt seit 2002 Filme von Kurd:innen aus unterschiedlichen Herkunftsländern und der Diaspora sowie Filme von europäischen Filmschaffenden über Kurd:innen. Das diesjährige Programm aus über 50 Spiel-, Dokumentar-, Kurz- und Experimantalfilmen widmet sich insbesondere der Region Rojava. Die Sektion zu experimentellem Kino kuratierte die kurdische Regisseurin und bildende Künstlerin Leyla Toprak. Teil des Programms ist außerdem eine Gruppenausstellung mit dem Titel “Rojava – Binxet”, die unter anderem die aktuellen Kämpfe der Frauen im Iran thematisiert.

Mit Festivalleiter Roj Hajo sprach Lea Gronenberg von FILMÖWIN über die Bedeutung des Kurdischen Filmfestivals, die Besonderheiten der Region Rojava und eine feministische Perspektive auf das kurdische Kino.

FILMLÖWIN: Was macht das Kurdische Filmfestival aus?

Roj Hajo: Die Bedeutung des Festivals ist für uns in erster Linie, dass Menschen in Berlin und Menschen in aller Welt – da wir ein online Programm anbieten – einen Einblick in diese Kultur bekommen. Es sind Filmemacher gerade aus Regionen wie Rojava, die sonst nicht die Möglichkeit haben, eine Stimme zu bekommen, die hier die Option haben, ihre Filme zu zeigen und zu einem Publikum zu sprechen. Einem Publikum, das nach den Screenings Fragen stellen und mit den Filmemachern diskutieren kann. Wir sind froh, dass wir seit Jahren diese Plattform anbieten können, die so gut angenommen wird und weiter Zuwachs bekommt.

FILMLÖWIN sprach zuletzt 2019 mit Lea Drescher vom Kurdischen Filmfestival. Was hat sich seitdem verändert?

Corona war auch ein Ansporn für uns zu sagen: Wir wollen ein online Programm erstellen, wir wollen uns nicht davon abhalten lassen, dass wir die Filme nicht im Kino zeigen können. Daher haben wir uns entschieden, ein online Programm einzurichten und so die Möglichkeit gegeben, dass wirklich jeder am Festival teilnehmen und die Filme ansehen kann. Natürlich ist es etwas anderes, wenn man im Kino teilnehmen kann und die Filmemacher auch für einen Austausch vor Ort sind.

Neu ist auch der Kurzfilmwettbewerb.

Es war uns besonders wichtig, dass wir auch eine Wettbewerbssektion einbauen, damit Filmemacher aus Regionen, in denen es nicht so leicht ist, Förderungen für Filmprojekte zu bekommen, mit dem Preisgeld aus einem Wettbewerb Unterstützung für ihren nächsten Film zu bekommen.

© Kurdisches Filmfestival Berlin

Dieses Jahr zeigt ihr euer Programm online und in euren Partnerkinos, dem Babylon Mitte, dem Moviemento und dem fsk Kino in Kreuzberg. Was erwartet euer Publikum dort?

In diesem Jahr ist unser Fokus auf Rojava. Rojava ist eine Region, die in den letzten Jahren viele Schwierigkeiten hatte. Wir sind sehr hoffnungsvoll, dass es in eine positive Richtung geht,  dass dort eine neue Atmosphäre, eine neue Stimmung entstehen kann. Man sieht auch an den Bildern, im Gegensatz zu den Bildern vorher in Zeiten des Kriegs, wie sich das entwickelt. Die Menschen tun etwas gegen das Trauma, gegen die Wunde. Ein Schwerpunkt liegt besonders auf den Frauen, die von Rojava aus kämpfen, sowohl als militärische Kraft, als auch im Wiederaufbau des Landes. Nach ISIS geht es jetzt darum, das Land wieder aufzubauen und eine Struktur zu schaffen. Es sind Frauen als Bürgermeisterinnen, Anwältinnen und Ärztinnen vor Ort. Für sie geht dieser Kampf weiter.

© Kurdisches Filmfestival Berlin

“Weibliche Perspektiven” lautete der Festivalschwerpunkt 2019. Welche Rolle spielen diese Perspektiven im aktuellen Programm?

Wir haben insgesamt über 20 Filme von Frauen im Festivalprogramm. Der Film Sonne von Kurdwin Ayub, der auf der letzten Berlinale in der Sektion Encounters lief und auch einen Preis erhalten hat, ist nicht nur von einer weiblichen Filmemacherin gedreht, auch die Darstellerinnen vor der Kamera sind ausschließlich Frauen. Wir haben von Zaynê Akyol, einer kanadischen Filmemacherin, einen wunderbaren Dokumentarfilm namens Rojek. Wir haben die ukrainische Regisseurin Alina Gorlova mit This Rain will never stop, die in ihrem Film einen jungen Mann porträtieren, der aus Rojava in die Ukraine geflohen ist, sich dann aber einer Hilfsorganisation anschließt und wieder zurückkehrt, um vor Ort zu helfen. Wir haben von Serpil Turhan Köy, der über drei Generationen von Frauen erzählt. Also wir haben insgesamt viele Filme von weiblichen Filmemacherinnen, die entweder mit Rojava zu tun haben oder mit Kurden, die in der Diaspora leben.

© Kurdisches Filmfestival Berlin

Neben dem Filmprogramm gibt es beim Kurdischen Filmfestival immer ein Rahmenprogramm.

Es wird eine Lesung mit dem kurdisch-syrischen Autor Helîm Yûsiv geben und ein Panel über die Wassersituation in Rojava mit Şermin Güven. Was in diesem Jahr ganz neu ist, ist die Kunstausstellung. Es wird während des Festivals im Babylon eine Kunstausstellung geben mit vielen Künstlern und Künstlerinnen aus verschiedenen Regionen. Darunter ist Zehra Doğan, eine Künstlerin, die lange Zeit in der Türkei gefangen war und in der Zelle mit Menstruationsblut weiter Kunst geschaffen hat. Sie ist aktuell zu den Geschehnissen im Iran aktiv und wird auch beim Festival vor Ort sein.

Am 13. Oktober 2022 eröffnet Nachbarn von Mano Khalil das 12. Kurdische Filmfestival, das am 19. Oktober 2022 mit einer Closing Party endet, auf der auch die Gewinner*innen des Kurzfilmwettbewerbs bekannt gegeben werden. Online könnt ihr das Filmprogramm noch bis zu drei Monate sehen.

Letzte Artikel von Lea Gronenberg (Alle anzeigen)