IFFF 2019: The Watermelon Woman
von Sophie Charlotte Rieger
Nicht nur, dass Schwarzen Schauspielerinnen im Hollywood der 20er und 30er Jahre ein ziemlich beschränktes Rollenspektrum zur Verfügung stand (was übrigens auch heute noch zutrifft). Sie wurden oft nicht einmal im Abspann namentlich erwähnt. Dementsprechend gibt es über sie kaum Informationen, kein Archivmaterial, einfach keine Dokumentation ihres kreativen Schaffens.
Das möchte Cheryl Dunye ändern. Insbesondere eine bestimmte Schauspielerin, die sogenannte Watermelon Woman hat es ihr angetan. Über diese, ihre Arbeit und ihr lesbisches Leben möchte Cheryl nun einen Film drehen. Und wie es der Zufall so will, findet sie ausgerechnet in ihrer Heimatstadt Philadelphia nicht nur Zeitzeug_innen, sondern auch das lang ersehnte Archivmaterial.
Klingt ziemlich unglaublich? Natürlich, denn diese Geschichte ist schlicht und einfach nicht wahr. The Watermelon Woman ist eine Mockumentary, die eine Leerstelle in der Filmgeschichte offenlegt und mit fiktiven Inhalten füllt. Dunye ist durch die völlige Abwesenheit Schwarzer Frauen*, insbesondere queerer Schwarzer Frauen*, in der dokumentierten Filmgeschichte quasi gezwungen, selbst Geschichte zu schreiben und begegnet diesem eigentlich zutiefst traurigen Umstand mit kreativem Humor.
The Watermelon Woman mischt eine Spielfilmhandlung über Cheryls Liebschaft mit der weißen Diana und Streitigkeiten mit ihrer besten (Schwarzen) Freundin Tamara mit vermeintlich dokumentarischem Material ihres Videoprojekts. Heute, im Jahr 2019, wirkt das verwirrend, da auch die auf 16mm gedrehte Rahmenhandlung rein optisch artifiziell wirkt, deckt sie sich doch nicht mit unseren Sehgewohnheiten. Auch das zum Teil hölzerne Spiel lässt keinen Zweifel an der fiktiven Natur dieser Geschichte aufkommen. Bei den dokumentarischen Anteilen aber ist die Einordnung schon schwieriger.
Die bewusste Brechung mit der filmischen Illusion, mit der Dunye in der Rahmenhandlung arbeitet, macht im vermeintlich dokumentarischen Material einem durchgehend überzeugenden Schauspiel Platz. Wer sich aus feministischer Sicht mit der Filmgeschichte beschäftigt hat, wird dennoch schnell stutzig. Eine berühmte Regisseurin im Hollywood der 20er und 30er Jahre, mit der Fae Richards alias The Watermelon Woman eine Beziehung führte? Das kann ja nur eine Erfindung sein, denn die US-amerikanische Traumfabrik hatte in dieser Zeit noch überhaupt keine Regiestühle für Frauen* übrig. Während diese Hinweise auf die fiktive Natur der dokumentarischen Handlung zu Beginn noch recht subtil daherkommen und wohl nur einem Teil des Filmpublikums zugänglich sind, steigert sich anhaltend die Absurdität dieses „historischen“ Erzählstrangs. Spätestens wenn Cheryl im Archiv des „Center for Lesbian Information and Technology“, kurz C.L.I.T., Berge von Materialien zu Schwarzen queeren Hollywooddarstellerinnen findet, sollte im Kinopublikum allen klar sein, dass es sich hier nur um eine Erfindung handeln kann. Das Lachen darüber bleibt uns aber im Halse stecken, denn die Lächerlichkeit entlarvt den Missstand.
Es ist eben jene Strategie, aus der Cheryl Dunye die Kraft ihres Films generiert. Wir lachen über traurige Stereotype, über die Unmöglichkeit dessen, was möglich sein sollte, und realisieren über diesen unterhaltsamen Weg die Marginalisierung und Diskriminierung Schwarzer Frauen* im Allgemeinen und Schwarzer queerer Frauen* im Besonderen.
Bemerkenswert ist bei all dem, dass Dunye Queerness nicht nur inhaltlich und handwerklich über die verschiedenen Tonarten ihres Films erzählt, sondern auch die Grenzen des Diskurses selbst transzendiert. Indem sie sowohl in der Rahmen- wie auch in der Binnenhandlung Beziehungen zwischen weißen und Schwarzen Frauen* thematisiert und problematisiert, transportiert sie auch einen Identitätsdiskurs, der über Ausgrenzung funktioniert. Tamara akzeptiert Cheryls weiße Partnerin ebenso wenig wie die Familie der fiktiven weißen Starregisseurin Martha Page deren Beziehung zur Schwarzen Fae Richards. Somit greift The Watermelon Woman, ein Film aus dem Jahr 1996, im Grunde bereits die Forderung nach Intersektionalität auf, die zentral für den heutigen Feminismus ist. Was könnten wir erreichen, wenn wir uns in feministischen Bewegungen weniger über Unterschiede und mehr über Gemeinsamkeiten definieren würden, ohne dabei freilich den Blick für Privilegien und Mehrfachdiskriminierung zu verlieren?! Was könnten wir erreichen, wenn wir nicht nur in Bezug auf sexuelle Identitäten und Orientierungen queer denken würden?
Traurig aber wahr ist an dieser Stelle, dass es sich hierbei nicht um den einzigen Anknüpfungspunkt handelt, den der immerhin über 20 Jahre alte Film uns anbietet. Vielmehr sind die Themen von Unsichtbarkeit und Ausschluss aus der Geschichtsschreibung heute ebenso aktuell wie damals. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir uns auch zukünftig fiktive Geschichte über Menschen in der Filmindustrie ausdenken müssen, die von der cis-männlich-heterosexuellen Matrix abweichen. Stattdessen müssen wir uns bemühen, alle Menschen gleichermaßen sichtbar zu machen und diese Bilder auch zum Teil unserer Geschichtsschreibung werden zu lassen.
Oder anders gesagt: Filmlöwischer und emanzipatorisch wertvoller als The Watermelon Woman kann ein Film eigentlich gar nicht sein.
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