XPOSED 2019: Dykes, Camera, Action

Lea Gronenberg

Dykes, Camera, Action! ist eine Liebeserklärung an den lesbischen Film und gibt vor allem Einblicke in eine queere Filmcommunity, die seit den 1970ern gewachsen ist. Regisseurin Caroline Berler zeigt den Einfluss von Frauen* auf das queere Kino. Barbara Hammer, Su Friedrich, Rose Troche, Cheryl Dunye, Yoruba Richen, Desiree Akhavan, Vicky Du, B. Ruby Rich, Jenni Olson und viele weitere queere Filmemacherinnen und -kritikerinnen sprechen in Einzelinterviews über ihren persönlichen und künstlerischen Zugang zum lesbischen Film sowie dessen Bedeutung für ihre individuelle  Entwicklung als Frauen*, die Frauen* begehren.

© XPOSED International Queer Film Festival

Dabei spielen vor allem das Bedürfnis nach Repräsentation der eigenen Lebenswirklichkeit und der Wunsch nach Identifikationsfiguren auf der Kinoleinwand eine Rolle. Queere Identifikationsfiguren geben den Zuschauer_innen eine Möglichkeit, sich und ihre Sexualität in ihnen wiederzuerkennen und/oder zu verstehen. Barbara Hammer, die als Pionierin des lesbischen Films gilt, äußert im Interview mit Caroline Berler beispielsweise das Anliegen, lesbisches Leben als solches sichtbar zu machen.

Die Darstellung marginalisierter Personengruppen wirkt sich aber auch auf die Fremdwahrnehmung aus, weil sie das Potential hat, Stereotype und Vorurteile zu festigen. Bis in die 1970er kamen Lesben in Filmen kaum vor und wenn doch, waren sie negative, böse Charaktere oder starben im Verlauf des Films. Dieses Phänomen, dass lesbische Charaktere im Film oder auch in Serien überproportional oft versterben, existiert noch heute ist inzwischen mit dem Begriff Dead Lesbian Syndrome oder auch Bury Your Gays benannt. Lesbische Filmemacherinnen haben jedoch inzwischen stereotype Charakterzeichnungen aufgebrochen und mit ihren Werken für mehr Vielfalt gesorgt. Die Darstellung lesbischer Geschichten in ihrer ganzen Bandbreite treibt auch alle Protagonistinnen des Films an. Die Regisseurin Su Friedrich beispielsweise betont, dass es ihr darum ginge, mit der “eigenen Stimme zu sprechen”, also zu erzählen, was sie selbst erlebt habe, und damit ihre Filme authentisch zu gestalten.

Dykes, Camera, Action! berücksichtigt hierbei auch Intersektionalität, also die Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen. Innerhalb der lesbischen Filmszene setzten sich nicht-weiße Künstlerinnen wie Cheryl Dunye (The Watermelon Woman), Yoruba Richen, Desiree Akhavan oder Vicky Du mit Rassifizierung und unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, aber auch den Gemeinsamkeiten unterschiedlicher queerer Frauen* auseinander. Ein solch verbindendes Moment sieht Desiree Akhavan vor allem im Coming Out.

Für alle Interviewten sind Filme bei der Suche nach der eigenen Identität besonders wichtig. Immer wieder beziehen sich die Frauenauf Werke anderer Filmemacherinnen, die sie besonders geprägt haben. Dabei entspinnt sich ein ähnlich komplexes Netzwerk wie „The Chart“ in The L word. Auf dem Schaubild werden in der Serie über eine Gruppe lesbischer Frauen* in L.A. alle Liebesbeziehungen verzeichnet. Für Außenstehende ist es nicht immer einfach, da einen Überblick zu behalten. Genauso verhält es sich mit Dykes, Camera, Action!, in dem sich zahlreiche Verbindungen verschiedener Personen und Werke offenbaren.

© XPOSED International Queer Film Festival

Aus den Interviews geht hervor, dass die Frauen* sich als Community und ihre Kunst als politisch verstehen. Filmemachen und Aktivismus gehen für sie Hand in Hand. Der Dokumentarfilm beschreibt folgerichtig die Entwicklung des lesbischen Films anhand von Meilensteinen der LGBTIQ-Bewegung in den USA: die sexuelle Revolution Ende der 1960er Jahre, der Aufstand von Homo- und Transsexuellen gegen die Polizei im Stonewall-Inn am 28. Juni 1969, aus dem die Lesben- und Schwulenbewegung entstand, die ersten Pride-Parades in den 1970er Jahren, gefolgt von der Angst vor Aids in den 1980er Jahren, der anhaltende Kampf gegen Diskriminierung und zuletzt die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partner_innenschaften durch Präsident Obama im Jahr 2015.

All diese Ereignisse beeinflussten die Kunst lesbischer Filmemacherinnen. Umgekehrt mischten die Künstlerinnen allerdings auch in der Bewegung mit. Die Lesbian Avengers organisierten zum Beispiel den ersten Dyke-March, um nicht einfach einen Dokumentarfilm, sondern ein politisches Manifest zu veröffentlichen.

Caroline Berler verfolgt in ihrem Film Dykes, Camera, Action! den Anspruch, ein möglichst umfangreiches Bild des lesbischen Films der letzten 50 Jahre zu zeichnen. Ihr gelingt dabei ein beeindruckender Rundumschlag, ohne oberflächlich zu bleiben. Dazu trägt die fantastische Auswahl an Gesprächspartnerinnen bei, deren Verbundenheit zum lesbischen Film und zur LGBTIQ-Bewegung für inhaltliche Tiefe sorgt.

Zudem verschafft Caroline Berler lesbischen Filmen Sichtbarkeit. In rasendem Tempo blendet sie passend zu den Erwähnungen in den Interviews Ausschnitte verschiedenster Werke von Avantgarde bis Mainstream ein. Für alle, die sich bisher noch nicht näher mit dem Thema beschäftigt haben, ist diese Vielzahl an Referenzen zunächst überwältigend. Sie macht aber auch Lust auf mehr lesbischen Film.

Dykes, Camera, Action! ist in erster Linie ein Film von Lesben für Lesben, hat aber das Potential darüber hinaus neue Fans für talentierte Filmemacherinnen und das queere Kino zu gewinnen. Es wäre wünschenswert, dass er ein Publikum jenseits queerer Filmfestivals findet.

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