Final Girls 2020: The Father’s Shadow

The Father’s Shadow, der zweite Langfilm der brasilianischen Regisseurin Gabriela Amaral Almeida, erzählt die Geschichte der neunjährigen Dalva (Nina Medeiros) und ihrem Vater Jorge (Julio Machado), die nach dem Tod von Dalvas Mutter Wege suchen um mit ihrer Trauer umzugehen. Während Jorge versucht den Schmerz mit soviel Arbeit wie möglich zu verdrängen und dabei immer mehr mit den Schwierigkeiten seines prekären Arbeitsverhältnisses und seiner Gesundheit kämpft, wendet Dalva sich mit Hilfe ihrer Tante Cristina (Luciana Paes) dem Voodoo und der Magie zu. Als Cristina wegzieht und Dalva mit ihren Ängsten und ihrer Unsicherheit alleine lässt, beschließt das junge Mädchen ihre Mutter wieder zum Leben zu erwecken. Was wie ein Szenario klingt, das einem Horrorfilm würdig wäre, entpuppt sich jedoch als hoch emotionales Drama, das unaufgeregt und subtil Momente des magischen Realismus einfließen lässt. 

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Der Fokus auf die zwei so eng miteinander verwobenen und doch so fern voneinander ablaufenden Alltagswelten von Dalva und Jorge erlaubt es dem Film, eine Vielzahl an Themen anzuschneiden. Familie und Vaterschaft, Erwachsenwerden und Kindheit sind dabei die präsentesten, denn die beiden Hauptfiguren sehen sich in jeder Szene damit konfrontiert, die Erwartungen, die diese Sujets in sich tragen, mit ihrer Trauerarbeit zu vereinbaren. Dalva fällt es sichtlich schwer eine normale Kindheit zu erleben, während sie die meiste Zeit für sich selbst verantwortlich ist. Jorge leidet unter gesundheitlichen Problemen und dem Umstand in dieser schweren Phase nicht für Dalva da sein zu können. Beide drohen an der einsamen Trauer zu zerbrechen, die sie nicht schaffen miteinander zu teilen, obwohl sie auf so kleinem Raum zusammenleben. 

Dalva und ein anderes Mädchen zünden Wunderkerzen.

© Stray Dogs

Das Erzähltempo des Films gibt dabei den Gefühlen und Handlungen der Figuren der den notwendigen Raum um eine glaubhafte Stimmung des Trauerns und der Sehnsucht zu kreieren. Das gelingt einerseits so gut, dass der Film eine konstante Ergriffenheit auslöst, an der die Zuschauenden noch lange danach nagen können. Andererseits kommt The Father’s Shadow damit auch einiges an Spannung abhanden, denn die Geschichte kommt erst jenseits der Mittelmarke der Erzählzeit in Fahrt. Bis dahin trägt das große schauspielerische Talent der Hauptdarsteller:innen Nina Medeiros und Julio Machado die Qualität des Films fast von allein. Beide transportieren in ihrer Körperlichkeit ihre Rollen perfekt. Die Art wie sich die Körper durch das Bild bewegen – ernst, betrübt und voller Schwere – und ihre Mimiken der Kamera präsentieren trägt den Realismus, dem sich der Film verschrieben sieht, von ganz alleine. Vor allem Machado muss an dieser Stelle für seine herausragende Darstellung gelobt werden. Jede Szene dominiert er vollkommen mit seiner expressiven Wucht, mit der er einen gebrochenen Mann spielt, dessen Mensch-Sein immer zombieartigere Züge annimmt.

Doch nicht nur die Darsteller:innen leisten bei The Father’s Shadow eine filmpreisverdächtige Arbeit. Hinter den Kulissen ist es Kamerafrau Barbara Alvarez, die mit ihrer Arbeit erheblich zum Schauwert des Films beiträgt. Mit ihren Aufnahmen, die in jeder Szene eine passende Distanz zum Geschehen wahren, zieht sie die Zuschauenden in den wichtigsten Momenten nah an die Protagonist:innen dran und entfremdet diese gleichzeitig innerhalb des Filmbildes voneinander. So verweigert sie beispielsweise in den wenigen Szenen, die Medeiros und Machado zusammen spielen, eine Zusammenkunft der beiden in der gleichen Sequenz. Oft ist beispielsweise nur der verschwommene Hinterkopf von Dalva zu sehen, wenn Jorge mit ihr spricht, und vice versa. Alvarez’ Kameraarbeit transportiert eine Zerrissenheit zwischen den beiden Hauptfiguren, während sie gleichzeitig eine intime Verbindung zwischen Figur und Zuschauer:in forciert.

Jorge trinkt aus einer Tasse.

© Stray Dogs

Die Stimmung, die durch die Figurendarstellung und die sie unterstützende Filmsprache aufkommt, hätte durchaus das Potenzial gehabt in einem großen Knall, einem dramatischen Höhepunkt oder einem überwältigenden Ende zu münden. Doch der Film versäumt es leider zum Ende hin an das Erzähltempo hochzufahren und die Mystik auszunutzen, die immer mal wieder organisch in die Handlung eingeflochten wird. So bleibt am Ende ein leicht unbefriedigendes Gefühl zurück, denn der Film bietet kein Ventil an, durch das sich die so großartig aufgebaute Anspannung entladen könnte. Das mag für manche vielleicht nicht mal ein Kritikpunkt sein, verdeutlicht es doch eindrucksvoll die Perspektivlosigkeit trauernder Menschen. Während Dalva und Jorge ihrer Trauer nicht entkommen können, bleibt auch für die Zuschauenden eine unerfüllte Sehnsucht nach einem Abschluss bestehen.

Gabriela Amaral Almeida hat mit The Father’s Shadow also ein weiteres Mal bewiesen, dass sie in der Lage ist tief in Menschen und ihre Abgründe hineinzublicken, ihre Gefühle hervorzubringen und künstlerisch hochwertig sichtbar und spürbar zu machen. Mit ihrem Regiedebüt The Friendly Beast hatte die Regisseurin schon 2017 einen Film kreiert, der “das Potenzial hat, eine außergewöhnliche Regiekarriere einzuleiten, die es zu verfolgen gilt”. Und diese Einschätzung hat sich nun bewahrheitet, denn The Father’s Shadow steht seinem Vorgänger was atmosphärische Dichte und psychologische Tiefe angeht um nichts nach. Wieder einmal schafft es Gabriela Amaral Almeida einen Film zu präsentieren, dessen perfekt aufeinander abgestimmten Elemente in einer äußerst intensiven Stimmung kumulieren. Sowohl ihr als auch Barbara Alvarez ist nur zu wünschen, dass sie bald den Sprung auf die großen Festivalbühnen schaffen, um mit ihrer Arbeit ein noch größeres Publikum zu beeindrucken.

Sophie Brakemeier