FFHH 2024: Manchmal denke ich plötzlich an dich – Kurzkritik
Lilith (Marie Nasemann) und Adam (Artjom Gilz) verbringen mit ihrer Tochter Lulu (Finja Leibold) einen Familienurlaub auf der Hallig Hoge. Doch von Anfang an überschattet das angespannte Verhältnis von Mutter und Tochter die gemeinsame Auszeit. Die beruflich erfolgreiche Lilith empfindet ihr Kind immer wieder als Störfaktor, ja, sogar als bewusst feindselig. Hat es das kleine Mädchen wirklich auf seine Mutter abgesehen? Während der Urlaub voranschreitet, verliert Lilith mehr und mehr den Bezug zur Realität.
Debütregisseurin Lynn Oona Baur erzählt ihren Film Manchmal denke ich plötzlich an dich aus der Perspektive der weiblichen Hauptfigur als Psychodrama im geheimnisvollen Setting der winterlichen Hallig. Stürmisch und einsam ist die Natur, die Lilith umgibt, die Menschen scheinen etwas im Schilde zu führen, sie fühlt sich beobachtet – nicht nur von ihrer Tochter. Leider gelingt es Baur nicht, die Atmosphäre von Beklemmung und Bedrohung dauerhaft aufrechtzuerhalten und greift auf zu offensichtlich ikonische Bilder aus dem Horrorgenre zurück: Träume von ausfallenden Zähnen, ein Strand voller Würmer, enthauptete Puppen. Denn auch wenn all diese Bilder im Rahmen ihrer Erzählung inhaltlich Sinn ergeben, wirken sie innerhalb des Films zu stereotyp, zu gewollt, um tatsächlich Spannung zu erzeugen bzw. aufrechtzuerhalten und erzielen eher das Gegenteil: einen Abfall des Spannungsbogens.
Das ist deshalb besonders schade, weil die Regisseurin an vielen Stellen den Horror der Mutterschaft so ausgesprochen gut in Bild und Ton einfängt. Das immer wieder erklingende und durchdringende „Maamaa“ von Lulu zum Beispiel. Oder auch die Bedrohlichkeit anderer, scheinbar perfekter Mütter nicht nur für das Selbstbild, sondern auch die eigene Paarbeziehung. Mutterschaft ist in Manchmal denke ich plötzlich an dich wenig erstrebenswert, sondern eine Gefahr für Beruf, Körper und Beziehungsleben – Aspekte, die durch die wenigen Szenen von liebevoller Mutter-Kind-Interaktion nicht aufgehoben werden.
Je mehr sich die surrealen Elemente mehren, je mehr Lilith – und wir mit ihr – aus der Realität in ein albtraumhaftes Setting abdriftet, desto mehr offenbart sich die Bedeutungsebene des Films: Ist Lilith bereits Mutter oder ist Lulu nur eine Vision davon, wie es sein könnte? „Du musst Dich entscheiden“, sagt Adam zu ihr. Manchmal denke ich plötzlich an dich ist kein Film über Mutterschaft, sondern über die Frage danach, ob wir Mutterschaft erleben wollen, und die ausdrückliche Erlaubnis, uns dagegen zu entscheiden.
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Ich finde, die Rezension greift zu kurz. Ich sehe keinen Grund, dafür die „Atmosphäre von Beklemmung und Bedrohung dauerhaft aufrechtzuerhalten“. Ja, MDIPAD wird kein kommerziell erfolgreicher Horrorfilm werden, aber das war in meinen Augen auch nicht Baurs Ziel.
Vielmehr behandelt der Film tiefgreifende, emotionale und existenzielle Fragen. Die Kritikerin sieht den Film viel zu verkopft. Bilder, die hier als stereotyp kritisiert werden, dienen in meinen Augen nicht dazu, Angst zu schüren, sondern sind Metaphern für Liliths inneren Konflikt und die psychische Belastung, die sie durch ihre Rolle als (werdende) Mutter empfindet.
Den Film als bloßen Horrorfilm oder Psychodrama zu klassifizieren, wird ihm nicht gerecht, denn er spricht Themen an, die weit über Genregrenzen hinausgehen. Die Kritik übersieht auch die emotionale Wucht, die der Film entfaltet. Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist so intensiv und berührend dargestellt, dass es schwerfällt, unbeteiligt zu bleiben. Gerade diese emotionale Tiefe macht den Film so besonders – er rührt an etwas Universelles, das nicht auf Horror reduziert werden kann.