Drei Gedanken zu: The United States vs. Billie Holiday

Lee Daniels‘ Film über die Jazz-Ikone Billie Holiday (Andra Day) feierte in den USA bereits Premiere und wurde von den Kritiker:innen zwiespältig aufgenommen. Der Film sei chaotisch und desorganisiert und würde Holidays Biographie und Wirken nicht gerecht werden. Hier kommen drei Gedanken dazu, warum der Film (dennoch) sehenswert ist.

Billie Holday von hinten vor jubelnder Menge

© 2021 Hulu

1. Geschichte wiederholt sich

The United States vs. Billie Holiday beginnt mit einem fiktionalen Interview ,, zwei Jahre vor Billie Holidays Tod. Auf die Frage hin, warum sie nicht einfach gehorche und aufhöre „den verdammten Song“ zu singen, antwortet Holiday: „Strange Fruit erinnert sie daran, dass sie uns umbringen.“___STEADY_PAYWALL___

„Strange Fruit“, geschrieben von Komponist und Songwriter Abel Meeropol, thematisiert die gewaltsamen Lynchmorde, die bis in die späten 50er Jahre überwiegend in den Südstaaten der USA stattfanden, aber nie öffentlich anerkannt wurden. Billie Holiday (Andra Day) performte den politischen Song zum ersten Mal 1939, er gehörte fortan zu ihrem Standardprogramm. Im Film wird Holiday jedoch immer wieder davon abgehalten „Strange Fruit“ zu singen, wieviel Überspitzung als Stilmittel hier drin steckt, lässt sich nicht klar sagen. Fakt ist jedoch, dass bestimmte Label damals nicht bereit waren, den Song mit ihr aufzunehmen. Außerdem kann es als Zitat darauf gelesen werden, wie noch heute in den USA mit dem Thema Lynchmorde umgegangen wird und, dass eine Aufarbeitung weiterhin aussteht. Dem Film vorangestellt wird der Hinweis, dass 1937, das Jahr, in dem Meeropol „Strange Fruit“ geschrieben hat, ein erster Gesetzesentwurf gegen die gewaltvollen Morde an Afroamerikaner:innen blockiert wurde. Ein Gesetzesentwurf, der hass-getriebene Morde an Schwarzen Personen und PoC (People of Color) als solche anerkennen soll, wurde im Februar 2020 im Kongress verabschiedet, vom Senat jedoch bis heute nicht abgesegnet.

Es war eine Entscheidung der Filmemacher:innen, auf diese Gesetzesentwürfe zu Beginn und Ende des Films hinzuweisen, sicher nicht zuletzt, um deutlich zu machen, wie wenig sich auf dem Papier innerhalb von 84 Jahren bewegt hat. Auch mit Blick auf die Ermordung von George Floyd im Mai 2020. The United States vs. Billie Holiday ist nicht nur ein Zeitdokument, es ist auch ein Sinnbild zur Gegenwart.

Billie Holiday umzingelt von Journalist:innen

© 2021 Hulu

2. Was draufsteht ist auch drin

Wir brauchen solche Filme in Hollywood. Wir brauchen Filme, in denen neunzig Prozent der Besetzung PoC sind, in denen die einzigen weißen Figuren keine Sympathieträger:innen sind. die Soul-Sängerin Andra Day wurde für ihre Rolle bereits für die Golden Globe Awards ausgezeichnet und und war für die diesjährigen Oscars nominiert. Dieses Jahr stand sie zwar mit der Schauspielerin Viola Davis (ebenfalls Oscar-Gewinnerin) zu zweit auf der Short-List in der Kategorie beste Hauptdarstellerin, aber das war in der Geschichte der Oscars bisher eine Seltenheit.

Das Drehbuch schrieb Suzan-Lori Parks, die 2002 als erste afroamerikanische Dramatikerin den Pulitzer-Preis erhielt. Die Regie führte Lee Daniels, der unter anderem für Precious – das Leben ist kostbar bekannt ist. The United Stated vs. Billie Holiday ist nicht nur ein (möglicherweise nicht hundertprozentig auf wahren Gegebenheiten beruhendes) Biopic über die Schwarze Jazz-Sängerin Billie Holiday. Es ist vor allem ein Film, der institutionellen und strukturellen Rassismus in den USA der 40er und 50er Jahre aufzeigt. Nicht nur in dem persönlichen Fall, um den es in dem Film geht: der Kampf gegen Holidays Drogensucht. Es sind vor allem die kleinen Dinge, die Mikro- und Makroaggressionen: In einer Szene will Holiday ihre Freundin und Geliebte Tallulah Bankhead (Natasha Lyonne) in deren Suite eines Hotels begleiten und wird von dem Pagen vor dem Fahrstuhl aufgehalten und gebeten, den Dienstbotenaufzug zu nehmen. Der Page ist ein junger Schwarzer Mann und bittet Holiday keinen Aufstand zu machen, im Süden würden Menschen wie sie für weitaus weniger ermordet.

Diese kleinen, behutsam und dennoch deutlich erzählten Szenen sind nur dank des Teams vor und hinter der Kamera möglich, weil sie sie aus den Erzählungen ihrer Familien kennen oder anders (vielleicht) schon selbst erleben mussten – über 60 Jahre später.

Holiday und Jimmy Fletcher unterhalten sich vor dem Tourbus. Im Hintergrund steht ihr neuer Freund und wartet vor seinem Auto.

© 2021 Hulu

3. “Das ist kein Biopic”

Regisseur Lee Daniels sagte in einem Interview, Suzan-Lori Parks hätte kein Biopic über Billie Holiday geschrieben. Vielmehr war es eine Interpretation der wenigen sicheren Fakten zu Holidays Leben. Das Drehbuch basiert auf einem Kapitel von Johann Haris Buch “Chasing the Scream” über den “Drogenkampf” (engl.: “War on Drugs”) in den USA. Im Gegensatz zu Lady Sings The Blues (1972), der erste Film über Holiday, in dem eine Liebesgeschichte und die Erzählung eines aufsteigenden Sterns am Jazz-Himmel im Vordergrund stand, wollten Parks und Daniels den Fokus auf ihren politischen Aktivismus durch “Strange Fruit” und den institutionellen Rassismus, unter dem Vorwand der Drogenbekämpfung, gegen sie richten.

Aus feministischer Sicht, stelle ich mir die Frage: Warum also erhält die Liebesgeschichte mit dem Bundesagenten Jimmy Fletcher (Trevante Rhodes), für die es keine Beweise gibt, mehr Aufmerksamkeit als z.B. Holidays langjährige Freundinnenschaft und Affäre mit der Schauspielerin und Bankertochter Tallulah Bankhead? Vielleicht ist Hollywood noch nicht bereit dafür, vielleicht ist es auch eine Ode an die Lovestory zwischen zwei Schwarzen Personen (Lady Sings The Blues), durch die Daniels zum Regisseur wurde. Vielleicht brauchte Parks diese Figur des Jimmy Fletcher, den sie als ziemlich selbstgerecht beschreibt, um den Unterschied zu Holidays sonst toxischen Liebesbeziehungen deutlich zu machen.

Vielleicht ist es auch nicht so wichtig. Denn obwohl diese Liebesgeschichte im Film existiert, spielt sie nicht die Hauptrolle. Außerdem ist es schön zu sehen, wie normal die Beziehung zu Bankhead dargestellt wird. Kein Drama, kein Skandal darum, sie wird einfach erzählt. Ebenso Holidays queere Wahlfamilie bestehend aus Miss Freddy (Miss Lawrence) und Roslyn (Da’Vine Joy Randolph), die sie auf Schritt und Tritt begleiten und von einer warmen Selbstverständlichkeit erzählen.

Billie Holiday singt (Nahaufnahme)

© 2021 Hulu

Fazit

Hatte ich schon erwähnt, dass Andra Day in der Rolle der Billie Holiday für die Oscars nominiert war? Und das zurecht. Dessen sind sich auch die Kritiker:innen einig, Day gibt eine atemberaubende Performance ab. Nicht nur schauspielerisch, sondern auch musikalisch. Denn der Film nimmt sich viel Zeit für die Musik der Jazz-Ikone. Billie Holidays Songs werden von Day performt und gesungen, zum Teil in voller Länge. Es ist schön, dass der Musik, trotz der ganzen Verstrickungen, Liebes- und Drogengeschichten, die teilweise sehr dramatisch verhandelt werden, so viel Raum gegeben wird. Über die Machart und das glatte Hollywood-Bild lässt sich sicherlich streiten. Aber der Film gibt auch nicht vor etwas anderes zu sein, als ein Hollywood-Drama, mitsamt seiner Ausstattung, Filmmusik, usw. Allerdings ist es ein Hollywood Drama von Schwarzen Filmemacher:innen mit Schwarzen Protagonist:innen. Gerade wenn Daniels sagt, kein Hollywood-Studio wollte das Projekt finanzieren, dass es immer noch schwer sei, Filme zu realisieren, die nicht von weißen Filmemacher:innen über weiße Protagonist:innen sind, ist The United States vs. Billie Holiday ein Film, der auf jeden Fall auf die Watch-List gehört.

United States vs. Billie Holiday ist ab dem 30. April als VoD verfügbar.