Drei Gedanken zu: Queer

Mit Queer verfilmt Luca Guadagnino die gleichnamige Novelle von William S. Burroughs, der halb-autobiografisch von seinem Alter Ego Lee (Daniel Craig) erzählt. Im Mexico City der 1950er-Jahre umgarnt Lee den wesentlich jüngeren und an ihm wesentlich weniger interessierten Eugene (Drew Starkey). Lee ist dabei die Definition von zu viel – zu viel und zu verzweifelt wollen, zu viel wirres Zeug reden, zu viel trinken, zu viel sein.___STEADY_PAYWALL___

Farbfoto: Daniel Craig als Lee und Drew Starkey als Eugene, beide mit Sonnenbrille, sitzen unter einem gelben Handtuch. Filmstill aus Queer von Luca Guadagnino.

© Yannis Drakoulidis. Courtesy of A24.

Lee sitzt in Mexico City mit seinem Geld, seinem Colt, seiner Schreibmaschine und seinen Drogen. Er sitzt in Mexico City und hasst die Stadt und die amerikanischen Expats, mit denen er in den Bars Tequila trinkt, als wäre er Wasser. Lee verbringt seine Zeit mit diesen Menschen und schaut doch verachtungsvoll auf sie. Er verachtet sie, weil sie genauso sind wie er. Genauso alt und verschwitzt und verzweifelt, genauso einsam.

Sucht und Sehnsucht

Queer ist ein Film über Sucht. Daniel Craig spielt Lee wie jemanden, der von innen heraus zerfällt. Dessen verzweifelter Versuch, sich selbst loszuwerden, sich um jeden Preis von sich selbst abzulenken und dessen absolute Unfähigkeit, mit sich zu leben, ihn von innen her auffrisst. Dieses Vakuum, diese absolute Einsamkeit muss gefüllt werden. Lee will Nähe, die er nie bekommt – weder von den Drogen, die er nimmt, noch von den jungen Männern, mit denen er schläft, und erst recht nicht von Eugene, auf den er sich schließlich einschießt, als gäbe es kein Morgen. Es ist der Versuch, in der Beziehung zu einer anderen Person sich selbst komplett abzulegen, die eigene Haut abzustreifen und in das Gegenüber hineinzuklettern. Es ist fürchterlich anzusehen, Fremdscham, Mitleid, Ekel – und immer auch ein Sich-selbst-Erkennen.

Farbfoto: Ein verschwitzter Lee und ein rauchender Eugene in Queer von Luca Guadagnino.

© Yannis Drakoulidis. Courtesy of A24.

Lee lebt von seinem Geld, ohne zu leben. Er schreibt, ohne dass wir ihn je dabei sehen, ohne dass es Teil von ihm wäre. Mexico City in diesem Film besteht aus Kulissen; aus Pappe, Holz und Miniaturbauten. Die Stadt ist genauso irreal für uns wie für Lee, der den Bezug zum Außen mehr und mehr verliert. Die immer gleichen Straßen, die immer gleichen Sets, draußen wie drinnen.

Farbfoto: Dichte, gründe Pflanzen und mittig im Bild Drew Starkey als Eugene in Queer von Luca Guadagnino.

© Yannis Drakoulidis. Courtesy of A24.

Es ist malerisch und klaustrophobisch und irgendwann entschließt Lee sich zum Gehen. Er reist ab mit Eugene im Schlepptau. Nur ist es da, wo er hinkommt, ganz genauso. Wieder Kulissen. Also auf in den Regenwald. Lee sucht nach der Droge aller Drogen, dem Wundermittel, das es ihm ermöglichen wird, eins zu werden mit dem Objekt seiner Begierde. Er will alles Äußerliche ablegen, Haut und Knochen und Worte und Gesten, um direkt zu kommunizieren. Telepathie. Doch auch der Regenwald ist nur eine Ansammlung von Pflanzen. Wieder eine Kulisse. Wieder nicht das echte Leben und wieder nicht besser als das davor.

Und je weiter der Film voranschreitet, desto mehr legt Lee sein Selbst ab. Lee zerfällt vor unseren Augen, er schaut sich selbst dabei zu und wir schauen ihm zu und verstehen – genau wie er – nur noch die Hälfte.

Farbfoto einer Straßenansicht. Ein Geschäft, vor dem Bananen und Ananas aufgehäuft sind.

© Yannis Drakoulidis. Courtesy of A24.

Gemeinsam mit Kameramann Sayombhu Mukdeeprom und Szenenbildner Stefano Baisi inszeniert Guadagnino Queer, als spielte der Film im Hollywood von Alfred Hitchcock: unecht und beunruhigend. Im Hintergrund leiert der Score von Trent Reznor und Atticus Ross, als wäre es tatsächlich 1950, nur um von Grunge-Hits wie Nirvanas Come As You Are oder All Apologies von Sinéad O’Connor in eine andere Zeit gerissen zu werden. Immer wieder bricht der Soundtrack plötzlich ab, reißt ein Loch in die Szene, lässt uns allein zurück, ähnlich sehnsüchtig wie Lee.

Macht und Ungleichheiten

Im Zentrum von Queer steht die ungleiche Beziehung von Lee und Eugene. Die Machtdynamik zwischen den beiden ist interessant, denn während Lee Eugene mit einem All-inclusive-Abenteuer (also Geld) locken kann, während er älter und erfahrener ist, ist er emotional und zwischenmenschlich immer in der Bittstellerposition. Gewalttätig wird an einer Stelle Eugene – kurz und verstörend. Lee und Eugene sind nicht auf Augenhöhe, sondern verschränkt und verknotet in ihren Ungleichheiten. Ungut.

Farbfoto: Eugene (links) und Lee (rechts) sitzen an einem Tisch mit Drinks.

© Yannis Drakoulidis. Courtesy of A24.

Der Film betrachtet diese Beziehung, ohne sie zu romantisieren. Wir fühlen Lees Einsamkeit und sein Bedürfnis nach Nähe genauso wie seine penetrante Art, sein Klammern und Festbeißen, das genauso unangenehm wie erschütternd ist. Eugene ist mal kühl, dann wieder warm und immer unergründlich. Er lässt sich emotional nicht in die Karten gucken, behält alles für sich und ist dabei immer mehr als nur Objekt der Begierde.

Scham und Befreiung

Queer ist auch ein Film über Scham, die so tief sitzt, dass sie die gesamte Persönlichkeit durchdringt und zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird. Und es ist ein Film über das fragile Konstrukt hegemonialer Männlichkeit. Lee trägt immer einen Revolver am Gürtel – eine ständige Vergewisserung der eigenen Gewaltbereitschaft und Stärke. Lee bezeichnet andere schwule Männer abschätzig als „screaming f**s” und schleppt internalisierte Homophobie mit sich herum wie einen Klotz am Bein. Burroughs schrieb die Novelle zu einer Zeit, in der „queer” noch ein Schimpfwort war. Es muss sich damals ungefähr so angefühlt haben wie der Titel seines erst erschienenen Buches Junk.

Doch der Film selbst (und das ist wichtig) teilt Lees/Burroughs Einstellung nicht. Homosexualität an sich, schwules Begehren und Sex gehören zu den wenigen Momenten, in denen Lee (und damit auch wir) ein Gefühl von Verbundenheit und Befreiung erleben.

Kinostart: 2.01.2025

Theresa Rodewald
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