Die Mittagsfrau

Nach ihrem letzten Spielfilm Licht beweist Barbara Albert mit Die Mittagsfrau erneut Feingefühl für vielschichtige Figuren und komplexe Beziehungen in historischen Settings. Dieses Mal umspannt die Geschichte, eine Adaption des 2007 erschienenen gleichnamigen Romans von Julia Franck, mehrere Jahrzehnte im Leben seiner Protagonistin: von Helene Würsichs Kindheit in Sachsen unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, von der progressiven Atmosphäre der Zwanziger in Berlin über den Nationalsozialismus und einer Phase des Neuanfangs nach dem Zweiten Weltkrieg. Der mit Feingefühl konstruierte historische Blick kehrt seine zeitgenössische Bedeutung hervor ohne mit der Offensichtlichkeit anachronistischer Stilmittel aufwarten zu müssen: Verbindungen zu heutigen politischen Tendenzen und deren konservativen Forderungen, die bereits einen Backlash gegen feministische Forderungen bewirken, lassen sich kaum ausblenden. Insofern erzählt uns Die Mittagsfrau viel mehr über unsere heutige Zeit als auf den ersten Blick vielleicht erwarten lässt.

© 2023 – Wild Bunch Germany, Lucky Bird Pictures / Foto: Nick von Nostitz

Die Mittagsfrau besteht aus verschiedenen Zeitebenen: Helene blickt auf ihre Lebensgeschichte zurück, während sie auf einem Bauernhof nach einer Person sucht, über die wir erst im weiteren Verlauf der Geschichte mehr erfahren. „Engelchen“ Helene (Helena Pieske) wächst in den 1910er Jahren mit ihrer Schwester Martha und der psychisch erkrankten Mutter im sächsischen Bautzen auf. Kaum volljährig ziehen die beiden zur Tante nach Berlin, wo sie eine ganz neue, berauschende Welt inmitten einer progressiven Atmosphäre erwartet. Helene (nun Mala Emde) lässt sich aber trotz wilder Feste nicht von ihrem Traum ablenken, einmal Ärztin zu werden und nimmt einen Stelle in der Apotheke an, um ihr Abitur zu finanzieren. Während eines Nachtdienstes lernt sie den tiefgründig-verspielten Karl (Thomas Prenn) kennen, mit dem sie bald eine innige, liebevoll-romantische Beziehung verbindet. Doch einige Zeit später stürzt der plötzliche Verlust von Karl Helene in eine Depression. Erneut erfolgt ein Zeitsprung: In den 1930er Jahren entscheidet sie den aufsteigenden Nazi Wilhelm (Max von der Groeben) zu heiraten, nachdem dieser von ihrer jüdischen Mutter erfahren hat und ihr einen gefälschten „Ariernachweis“ verspricht. Von nun an trägt sie den Decknamen Alice – auch im Ehebett. Wilhelms patriarchale Vorstellungen einer Partner*innenschaft, von Sex in der Ehe und von Elternschaft stehen Helenes bisherigen Erfahrungen mit Karl konträr gegenüber und zwingen sie in eine minderwertige Position innerhalb der Paarkonstellation. Einer Arbeit darf sie fortan nicht nachgehen, dafür soll sie sich um „ihre“ Aufgaben im Haus kümmern und für Nachwuchs sorgen.

© 2023 – Wild Bunch Germany, Lucky Bird Pictures / Foto: Nick von Nostitz

Die Mittagsfrau porträtiert Helene als eine Person, die weiß, was sie will und sich ihre Entschiedenheit vor allem nicht durch die Männer in ihrem Umfeld nehmen lassen will. Besonders augenscheinlich wird dies, als sie zwei Mal ungewollt schwanger wird.  Als Karl erfährt, dass Helene eine Abtreibung durchführen hat lassen, reagiert er angesichts seines Kinderwunsches zwar enttäuscht, zeigt sich schließlich aber verständnisvoll und akzeptiert, dass eine solche Entscheidung bei Helene liegt. Nachdem sie viele Jahre später hingegen Wilhelm ihre Schwangerschaft und ihren Plan einer Abtreibung verlautbart, reagiert dieser mit Drohungen und ihr bleibt keine andere Wahl als das Kind zu kriegen. Wilhelms Forderungen repräsentieren deutlich das nationalsozialistische Ideal, demnach Frauen als Hausfrauen und Mütter unter Kontrolle gehalten werden sollten. Indem Alberts Film mehrere Phasen deutscher Geschichte während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchspielt, ermöglicht er es uns Unterschiede in den Beziehungen der Figuren untereinander wahrzunehmen. Während Karl für eine Phase der Progressivität steht, in der FLINTA in der Weimarer Republik in selbstbestimmtere Lebensläufe aufzubrechen begannen, repräsentiert Wilhelm jenen von der Politik des Nationalsozialismus herbeigeführten Backlash, der traditionelle, restriktive Geschlechterbilder zurück aufs Parkett holte und der lange nachwirkte. Wie wenig Alternativen und Verständnis es für Frauen gab, die sich abseits patriarchaler Erwartungen definierten, illustrieren, mitunter unangenehme, Szenen, in denen Wilhelm seine physische und psychische Macht in der Ehe ausübt – körperliche Gewalt gehört hier ebenso dazu.

© 2023 – Wild Bunch Germany, Lucky Bird Pictures / Foto: Ricardo vaz Palma

Ingeborg Bachmanns Feststellung, dass „der Faschismus das erste in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau“ sei, Faschismus also in Beziehungen und nicht mit dem Krieg selbst anfange, findet in der Darstellung von Helenes und Wilhelms Eheleben sein Pendant. Wilhelm verhält sich anfangs charmant und bemüht sich um Helene, aber nur so lange sich ihre Wünsche seinen unterordnen, sowohl was (Care-)Arbeit angeht, als auch seine sexuelle Lustbefriedigung. Weder die Schwangerschaft, noch die Geburt erfüllen Helenea in ihrer vorgesehenen Rolle als Ehefrau und Mutter, das schmerzhafte Stillen und das Heranziehen ihres Sohnes bringen sie viel mehr zur Verzweiflung. Wilhelm, der zwar begeistert ist von seinem kleinen „Prachtkerl“, kehrt den beiden bald den Rücken zu, um sie ihrem Schicksal selbst zu überlassen. Erst nach dem Krieg wird Helene eine folgenschwere Entscheidung treffen.

© 2023 – Wild Bunch Germany, Lucky Bird Pictures / Foto: Ricardo vaz Palma

Die Mittagsfrau regt durch seine komplexe Darstellung einer Mutterschaft dazu an, die vorherrschende Einseitigkeit von filmischen Repräsentationen von Mutter-Sein und Reproduktionsarbeit verstärkt wahrzunehmen. Empathie und eine Nähe zu seiner Hauptfigur – die Kamera weicht selten von der Seite der Protagonistin –  sind in dieser Hinsicht ein wesentliches Element der Narration, gleichzeitig versucht die Inszenierung durch ihr subtil wirkendes Sounddesign keine dick aufgetragenen emotionalisierenden Effekte zu schaffen. Zwischenzeitlich fügt Albert Aufnahmen mit Super 8 Look hinzu, die gewissen Momenten einen Eindruck von Unmittelbarkeit und Intimität verleihen, auch das Bildformat verändert sich und lässt uns im übertragenen Sinn über das Sich-Öffnen und Verengen gesellschaftlicher Strukturen reflektieren – sei es in einem Gestern, Heute oder Morgen, in der Fiktion oder in der Realität, in der Nähe oder in der Ferne.

Filmstart Deutschland: 28.9.2023
Filmstart Österreich: 25.10.2023

Bianca Jasmina Rauch
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