Interview: Barbara Albert über „LICHT“ und die Lage des Kinos

Licht, der neue Film von Regisseurin und Filmdozentin Barbara Albert, der beim Filmfest Hamburg 2017 seine Deutschlandpremiere feierte, erzählt von der österreichischen blinden Pianistin Maria Theresia Paradis Ende des 18. Jahrhunderts. Im Zuge einer Art Kuraufenhalt scheint sie vorübergehend ihre Sehkraft wiederzuerlangen. Doch die Blindheit erweist sich auch als Schutzraum, den zu verlassen die junge Frau* auf verschiedenen Ebenen herausfordert.

Im Zuge meines kurzen Besuches des Filmfest Hamburgs im vergangenen Jahr hatte ich Gelegenheit, ein Interview mit Barbara Albert zu führen, in dem wir nicht nur über ihren Film und seinen emanzipatorischen Wert gesprochen haben, sondern auch über die Situation des deutschsprachigen Kinos und natürlich die Rolle der Filmemacherinnen darin.

„War Maria Theresia Paradis irgendwann mal klar, dass die Blindheit ihr auch eine Freiheit gibt?“

Filmlöwin: Mir ist in Licht vor allem die Nähe zur Hauptfigur Maria Theresia Paradis aufgefallen. Ihr Gesicht ist durch zahlreiche Close-Ups sehr präsent.

Barbara Albert: Wir haben lange überlegt, wie wir die Blindheit der Figur spürbar machen können. Ich wollte nicht mit Subjektiven arbeiten und behaupten, Resi sieht so. Das finde ich anmaßend und sehr artifiziell. Wir haben uns dann entschieden, dem Zuschauer die Möglichkeit zu nehmen wegzuschauen und damit seine Sicht einzuschränken. Deswegen also sehr nahe Aufnahmen. Das hat durchaus manchmal etwas Klaustrophobisches, im besten Sinne. Allerdings verändert sich das im Laufe des Films. Am Anfang verwenden wir noch weitere Bilder und kommen Resi dann näher. Die Idee war, sich von der Perspektive auf Resi als Objekt zu dem Subjekt Resi zu bewegen, ihr eine Stimme und eben auch einen Blick zu geben.

© farbfilm

Licht ist also auch eine Geschichte über Emanzipation.

Ja, das ist ganz wichtig. Es ist die Geschichte einer Frau*, die zu Beginn nicht sein darf, wer sie ist, und die sich dann mehr und mehr entfaltet, wenn auch mit einem ambivalenten Ende. In der Zeit, in der sie lebt, ist sie als blinde Frau* eigentlich freier. Als sehende, „funktionierende“ Frau* muss sie sich ganz anderen Zwängen unterordnen. Da stellt sich schon die Frage: War Maria Theresia Paradis irgendwann mal klar, dass die Blindheit ihr auch eine Freiheit gibt, ein eigenes Reich, nämlich die Musik?

„Das ist es, was mich als Filmemacherin interessiert hat: Sehen und Gesehenwerden.“

Warum hast Du Dich entschieden, diesen Ausschnitt ihres Lebens zu erzählen, in dem es vor allem um ihre Erkrankung geht, und nicht die Zeit danach, in der sie eine Karriere als Musikerin und Musikpädagogin macht?

Erstens basiert der Film natürlich auch auf dem Roman und der ist sogar noch stärker auf die Figur des Franz Anton Mesmer und die Beziehung der beiden ausgerichtet. Wir wollten uns aber auf die Frau* konzentrieren und ihre innere Entwicklung in den Mittelpunkt stellen. Gleichzeitig geht es nicht nur um Emanzipation, sondern auch um die Frage nach Musik und Wahrnehmung. Das ist es, was mich als Filmemacherin interessiert hat: Sehen und Gesehenwerden. Damit wollte ich unbedingt spielen. Resi wird einerseits betrachtet. Die erste Einstellung hat beispielsweise etwas Voyeuristisches. Gleichzeitig geht es um ihr Sehenlernen: Wie ist so ein ganz unschuldiger Blick auf die Welt, ein naives erstes Sehen? Und wie hört sie? Licht ist auch ein Film über das Hören, über Wahrnehmung allgemein.

© farbfilm

Der Film ist ja nicht ganz eindeutig in der Frage, ob und wie gut Resi durch die Behandlung sehen lernen kann.

Wir haben die Theorie der dissoziativen Störung verfolgt. Ich glaube schon, dass Resi gesehen hat. Aber es gibt auch andere Theorien, dass sie gar nicht wirklich sehen konnte und nur Mesmer gefallen wollte. Die Theorie ist nicht total absurd. Aber die andere ist einfach naheliegender und spannender für das Medium Film, also es so zu erzählen, dass sie wirklich für eine kurze Zeit sehen konnte. Und ich glaube, dass eine solche dissoziative Störung möglich ist, im Zuge derer sich ein Mensch einfach entzieht und sagt: Ich mach nicht mehr mit.

„Die Frage ist: Wie viel können wir noch konsumieren?“

Thematischer Sprung. Du machst ja nicht nur Filme, Du unterrichtest auch an der Filmuni Babelsberg Konrad Wolf und bist Gründungsmitglied der Akademie des Österreichischen Films. Wie siehst Du denn die aktuelle Lage des Kinos? Stimmst Du in den allgemeinen Abgesang mit ein?

Man kann nicht leugnen, dass sich das Kino in der Zeit, seit ich angefangen habe Filme zu machen, massiv verändert hat. Ich hatte mit Nordrand 1999 sicher viel mehr Leute im Kino als ich es heute haben könnte. Die Leute schauen mehr zu Hause, es gibt die neue Lust an den Serien. Gleichzeitig machen auch immer wieder Kinos auf, die sich mehr als kuratierte Orte, als etwas Museales im besten Sinne verstehen. Es wäre schön, wenn jede mittelgroße Stadt sich so einen Ort leisten könnte, wo nicht nur die großen Event-Filme laufen.

Schauen die Menschen heute denn weniger alte Filme?

An der Filmuni bewerben sich bei uns junge Leute, die zum Teil irrsinnig cineastisch gebildet sind, weil das auf der anderen Seite auch wieder leichter ist als zu meiner Zeit, als es gerade mal VHS gab. Die jungen Leute, die die neuen Medien gut nutzen, sind heute mit 18 da, wo wir niemals hätten sein können. Gleichzeitig weiß ich nicht, ob früher bei sogenannten Arthouse Filmen wirklich die Massen ins Kino gegangen sind. Das waren vielleicht auch nur wenige, weil es weniger Filme gab. Es gab auch viel weniger Festivals. Alles war überschaubarer. Es gibt ja diese Theorie in der Publizistik: Wenn ein neues Medium dazu kommt, geht das ältere nicht verloren, sondern man konsumiert einfach mehr. Die Frage ist: Wie viel können wir noch konsumieren?

Es wird in Deutschland ja auch viel diskutiert, welche Filme gefördert werden und welche nicht. Ich habe da die letzte Liste von der FFA noch im Kopf. Das ist eine ganz bestimmte Form von Kino. Spielt das vielleicht auch eine Rolle?

Natürlich hat das alles miteinander zu tun. Das deutsche Kino ist auch in den letzten Jahrzehnten davon geprägt gewesen, dass es immer eine Förderung gab, die schon einen Verleih und eine Sendeanstalt vorausgesetzt hat. Das war in Österreich nicht so. Das ist natürlich ein anderes Arbeiten. Einerseits ja, es müssen auch Filme gefördert werden, die eben keine Garantie von so und so viel Zuschauern abgeben können. Unbedingt. Aber natürlich müssen auch kommerzielle Filme gefördert werden, weil die Branche davon lebt.

„Ich will nicht DEN weiblichen* Blick verkörpern.“

© Nick Albert

Auf der angesprochenen FFA Liste war kein Film von einer Regisseurin. Ist die Situation von Frauen* in der Regie ein Thema für Dich, zum Beispiel auch in der Lehre?

Ja, das ist ein Thema. Ich bin grundsätzlich für die Quote, Mitglied bei Pro Quote und Mitbegründerin von FC Gloria in Österreich. An der Filmuni merke ich, dass sich mittlerweile weniger Frauen* bewerben, insbesondere im Bachelor. Das hat sich in den letzten Jahren ein bisschen verändert, aber ich traue mich noch nicht, dazu Theorien aufzustellen.

Wie siehst Du die Entwicklung jenseits der Hochschule?

Ich war gerade in Toronto und da war ein Viertel der Filme von Frauen*. Ich werde in London sein und dort ist ein Drittel der Filme von Frauen*. Das ist schon sehr toll und macht eine andere Stimmung. Aber es gibt auch immer noch A-Festivals, die es schaffen, keinen oder nur einen Film von einer Frau* im Wettbewerb zu haben. Das ist die gläserne Decke, an der viele Leute arbeiten. Auch Männer*, die sehen, wie wichtig das Thema ist.

Frauen* in der Filmbranche zu unterstützen, bedeutet auch, eine diversere Kinokultur zu fördern. Würdest Du dem zustimmen?

Ja und gleichzeitig verwehre ich mich gegen den „weiblichen* Blick“, wenn damit beispielsweise ein besonders sensibler gemeint ist. Ich will nicht DEN weiblichen* Blick verkörpern.

Aber vielleicht eine andere Geschichte erzählen.

Genau. Da ist so eine Sehnsucht, die ich auch bei Licht gespürt habe und von der neulich auch Margarethe von Trotta in ihrer Master Class an der Filmuni im Rahmen des Festivals Moving History gesprochen hat: Eine Sehnsucht nach anderen Heldinnen, Frauen*, die Vorbilder sind.

Sophie Charlotte Rieger
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